Archiv für April 18th, 2009

Bild, dpa  

Die Phantom-Oma von Heilbronn

Die folgende kleine Geschichte hat eigentlich zwei Aspekte. Fangen wir mit dem etwas längeren an. Es geht um  jenes Phantom von Heilbronn, das jahrelang die deutsche Polizei und natürlich auch die Medien beschäftigte. Tausende Stunden arbeitete man sich an der überaus merkwürdigen Spurenlage ab, das ZDF sendete eine 45-Minuten-Doku (die übrigens angesichts der damaligen Erkenntnisse ziemlich gut war), die “Süddeutsche Zeitung” widmete der Suche nach der mysteriösen Dame eine Seite 3 (die ebenfalls gut war). Alles vergebens, wie man inzwischen weiß: Das Phantom von Heilbronn hat nie existiert, stattdessen waren verunreinigte Wattestäbchen die Ursache für die immer wieder auftauchende DNA-Spur.

Mittlerweile weiß man auch, wer die vermeintliche Superverbrecherin war — denn “Bild” hat “aus Polizeikreisen” erfahren, dass die DNA einer inzwischen 71-jährigen Frau aus Polen zuzuordnen ist, die vor Jahren bei der Hersteller-Firma der Wattestäbchen als Packerin gearbeitet hat.

Gen-Spur stammt von Polen-Oma (71)

Die dpa nahm die Recherchearbeit der “Bild” gerne an — und verbreitete unter Berufung auf die Zeitung, die 71-jährige Packerin aus Polen sei das vermeintliche “Phantom”. Nachgedruckt wurde die Meldung unzählige Male.

Ganz offensichtlich reicht es den Kollegen der dpa völlig aus, wenn “Bild” eine Geschichte bringt, um auf weitere Recherchen zu verzichten. Als stern.de schon Ende März berichtete, die DNA-Spur führe zu einer 71-jährigen Frau, berichtete niemand darüber (“Bild” natürlich auch nicht).

Und schließlich kommen wir noch zum zweiten Aspekt der Geschichte — nämlich dem, dass sie zumindest nach Angaben der zuständigen Sonderkommission gar nicht stimmt:

Die Gen-Spuren an den bei der Fahndung nach der vermeintlichen “Phantomkillerin” verwendeten Wattestäbchen können keiner bestimmten Person zugeordnet werden. Das sagte der Leiter der Sonderkommission, Frank Huber, SWR4 Baden-Württemberg. Die Proben seien aus Personenschutzgründen anonym durchgeführt worden, so Huber. Es war berichtet worden, dass eine aus Polen stammende 71-jährige ehemalige Packerin der Herstellerfirma die Wattestäbchen verunreinigt haben soll.

Das meldete der SWR heute  in seinem Regionalstudio Heilbronn — und sonst: eigentlich niemand.

Mit Dank an Edelbert F.

Das BILDbloggen muss “Bild” noch üben

Die “Bild”-Zeitung hat schon Recht: Man kann es heuchlerisch finden, dass Heribert Prantl, ein Leitender Redakteur der “Süddeutschen Zeitung”, andere Medien dafür kritisiert, dass sie detailliert und mit Namensnennung über den Fall einer Sängerin berichtet haben, der vorgeworfen wird, im Wissen um die eigene HIV-Infektion ungeschützten Geschlechtsverkehr gehabt zu haben. Prantl behauptete gestern:

“Die Süddeutsche Zeitung hat über die Verhaftung und den Tatvorwurf deshalb sehr zurückhaltend berichtet; sie wird den Namen der Sängerin auch weiterhin nicht nennen — obwohl dieser nun landauf, landab genannt wird.”

“Auch weiterhin”? Die “Süddeutsche Zeitung” hat den Namen der Sängerin am Mittwoch in einem Teil ihrer Auflage genannt. Bundesweit hat sie den Namen der Gruppe genannt, zu der die Sängerin gehört, und so alle vier Mitglieder unter den Verdacht gestellt, gemeint zu sein. In ihrem Online-Archiv hat sie sämtliche “SZ”-Artikel zum Thema, einschließlich Prantls, auch mit dem Nachnamen der Sängerin indiziert. Online ist Prantls Artikel mit einem Foto der Gruppe illustriert. Und auf sueddeutsche.de sind Meldungen über den Fall erschienen, die unter Namensnennung der Verdächtigen detailliert über die Vorwürfe berichteten.

Vor diesem Hintergrund ist es sehr berechtigt, wie “Bild” zu fragen, ob es “Dummheit oder Heuchelei” sei, wenn Prantl die eigene Vorbildhaftigkeit gegenüber den anderen herausstelle.

Allerdings ist “Bild” dann die übliche Rechercheschwäche in die Quere gekommen. “Bild” erwähnt einen ausführlichen Artikel, der am Dienstagabend auf sueddeutsche.de erschien und unter Namensnennung über die Vorwürfe gegen die Sängerin berichtete, und schreibt:

Wer auf der SZ-Internetseite nach [dem Namen der Band] sucht, findet nur noch Prantl und einen Artikel vom Dezember 2008. Soll nach Prantls Predigt etwa der Eindruck erweckt werden, der gelöschte Artikel sei nie geschrieben worden?

Die “Süddeutsche” will sich dazu nicht äußern.

Wie zum Beweis zeigt “Bild” sogar einen Ausdruck des Artikels, auf dem jemand handschriftlich notiert hat: “MITTLERWEILE AUS DEM INTERNET GELÖSCHT !!”

Nur: Die “Süddeutsche Zeitung” hat den Artikel nicht “aus dem Internet” gelöscht, nicht einmal aus ihrem eigenen Online-Auftritt. “Bild” ist nur zu doof, ihn wiederzufinden. Er ist genau dort, wo er immer war und auch auf dem Screenshot von “Bild” zu sehen ist: im “Newsticker”, wo die Agenturmeldungen auf sueddeutsche.de einlaufen. Und man findet ihn, indem man dort zum Beispiel den Namen der Band eingibt.

Nachtrag, 20. April. Jetzt ist der von “Bild” gezeigte und angeblich gelöschte Artikel tatsächlich auf sueddeutsche.de nicht mehr zu finden — wie alle Meldungen im Newsticker dort, die älter als fünf Tage sind.