Anders als in der ausländischen Presse gibt es in den Medien des deutschsprachigen Raums offenbar eine stillschweigende Übereinkunft, zum Schutz der Persönlichkeit die Mutter der neun toten Babys aus dem brandenburgischen Brieskow-Finkenheerd in der Berichterstattung nicht mit vollem Namen, sondern nur “Sabine H.” zu nennen. Die Nachrichtenagenturen tun das, die Zeitungen und Zeitschriften, die Fernseh- und Radiosender, Internetnachrichtenangebote – und eigentlich auch “Bild” und Bild.de.
Um so unverständlicher also, dass Bild.de in der vergangenen Nacht einen Text aus der heutigen “Bild” mit einem Foto von Sabine H. illustrierte und bis heute gegen 10 Uhr mit einer Bildunterschrift veröffentlichte, in der u.a. zwei Mal der komplette Nachname zu lesen war (siehe Ausriss).
Nachdem wir Bild.de darauf aufmerksam gemacht haben, lautet die Bildunterschrift nun:
Mit Dank auch an Thomas B., Joachim S., T.W., Maike S., Andie, Norbert B., Manfred J., Reinhard L., Christian R., Landei, Sylvie, Stefan H., Stephan D., Christoph S., Alexandra W., Nico U., Kai B., Christian R., Jörg-Stefan S. und Marius M. für den Hinweis.
Offenbar mag die Berliner “Bild”-Redaktion nebenstehendes Fahndungsfoto eines (seit heute übrigens nicht mehr unbekannten) Jugendlichen, der Ende Januar in der Berliner U-Bahnlinie 8 einen Fahrgast durch einen Messerstich verletzt hatte und dabei von einer Überwachungskamera in der U-Bahn gefilmt wurde.
In der Berlin-Brandenburg-Ausgabe der “Bild”-Zeitung erschien das obige Foto am 4. und 6. Februar sowie abermals am gestrigen Dienstag unter der Überschrift: “Warum verpfeift niemand den Berliner Messerstecher?”
Aber auch heute hat die Berliner “Bild” das Foto aus der U-Bahn wieder im Blatt. Zwar berichtet “Bild” dieses Mal über eine andere Polizeimeldung, bei der zwei Fahrgäste der Berliner Buslinie 148 von zwei Jugendlichen beleidigt und angegriffen wurden, was “Bild” im Übrigen mit den sinnentstellenden Worten wiedergibt: “Im Bus 148 (…) attackieren fünf Jugendliche andere Fahrgäste.” Aber zur Erläuterung dessen, was auf dem Foto zu sehen sei, hat “Bild” nun geschrieben:
“Messer-Attacke auf der Linie 148. In so einem älteren Bus ohne Kamera passierte es”
Und diese Sätze ergeben bei genauerer Betrachtung nicht nur keinen Sinn, sie sind abgesehen davon auch schlicht falsch.
Berlin – Der Berliner “Tagesspiegel” hat aus der Affäre um die angebliche Nominierung der ehemaligen Irak-Geisel Susanne Osthoff für den Grimme-Preis Konsequenzen gezogen: Laut ‘Süddeutsche Zeitung’ wurde dem Politik-Redakteur, der Osthoff beim Grimme-Institut vorgeschlagen hatte, gekündigt. Der Medien-Ressortleiter, der über den Vorschlag des Kollegen berichten ließ, und zugleich Mitglied der Grimme-Jury war, legte sein Amt nieder.”
So berichtet “Bild” – und hat es noch immer nicht begriffen:
Deshalb noch einmal zum Mitschreiben:Susanne Osthoff ist niemals für den Grimme-Preis no-mi-niert gewesen – und “angeblich” nur insofern, als auch “Bild” selbst im Gegensatz zum “Tagesspiegel”, der öfter mal kritisch über “Bild” zu berichten wusste, wiederholt den falschen Eindruck erweckt hatte, sie wäre. Osthoff war lediglich für einen Grimme-Preis vor-ge-schla-gen worden, was einen Unterschied macht, weil quasi jeder jeden vorschlagen kann. (Und vielleicht sollte man an dieser Stelle auch nochmals erwähnen, dass die Berufung des Medien-Ressortleiters in die Grimme-Jury mit dem Vorschlag des Kollegen wenig zu tun hat: Die Grimme-Jury berät über die Nominierten, nicht über die Vorschläge.) Wie “Bild” darüber hinaus darauf kommt, dass der Medien-Ressortleiter über den Vorschlag “berichten ließ”, ist schleierhaft: Unter der Meldung im “Tagesspiegel” steht für jedermann sichtbar sein persönliches Kürzel “jbh”. Und das wusste bislang sogar “Bild” besser.
Die “Süddeutsche Zeitung” übrigens, auf die sich “Bild” bezieht, berichtet über der Sachverhalt hingegen völlig korrekt.
“Bild” berichtet ja heute über “Gotteslästerung in Deutschland” und “erklärt” ihren über elf Millionen Lesern, “was deutsche Gerichte als ‘Blasphemie’ (…) beurteilen”. Und heute mittag hatten wir ja schon darauf hingewiesen, dass ein Fall, in dem jemand in Griechenland angeklagt und freigesprochen wurde, nicht dazuzählt.
Das ist aber leider noch nicht alles. Denn unter der Zwischenüberschrift “Das ist verboten” heißt es außerdem:
“Christliche Kirchen dürfen nicht als ‘Verbrecherorganisation’ bezeichnet werden, so ein Urteil des Landgerichts Göttingen von 1985.”
Doch auch das ist falsch*. Christliche Kirchen dürfen sehr wohl als “Verbrecherorganisation” bezeichnet werden, sogar als “größte Verbrecherorganisation aller Zeiten”, und ein entsprechendes Urteil stammt zwar aus dem Jahr 1985, jedoch nicht vom Landgericht Göttingen, sondern vom Amtsgericht Bochum.
Und für alle, die das jetzt noch genauer wissen wollen, war’s nämlich so: Im November 1984 wurde in ein paar deutschen Städten ein Flugblatt verteilt, das ein Bochumer Medizinstudent verantwortete und in dem sich das “Kommitee zur Abschaffung von §166 StGB” kritisch damit auseinandersetzte, dass ein Mitglied des “Internationalen Vereins zur Verbreitung der Lebensfreude e.V.” wegen des Verteilens von Aufklebern mit den Aufschriften “Lieber eine befleckte Verhütung als eine unbefleckte Empfängnis” sowie “Masochismus ist heilbar” in Göttingen zu einer Geldstrafe von 400 D-Mark verurteilt worden war. In dem Flugblatt hieß es u.a. dazu: “(…) wer über die Machtpolitik der Kirche aufklärt und beim Namen nennt, daß sie die größte Verbrecherorganisation aller Zeiten ist, die einen in der Geschichte einmaligen Rekord an Folter und Mordopfern aufweist – 22 Millionen allein während der Kreuzzüge – (…) muss mit hohen vom Staat verhängten Strafen rechnen.” Im Zuge der Ermittlungen gegen den Studenten fanden drei Hausdurchsuchungen bei ihm statt. Doch nachdem es dem Kirchenkritiker Karlheinz Deschner mit einem 30-seitigen Gutachten offenbar gelungen war, dem Gericht glaubhaft zu machen, dass es sich bei der christlichen Kirche tatsächlich um die größte Verbrecherorganisation aller Zeiten handeln könnte, endete die mündliche Verhandlung im Oktober 1985 nach wenigen Stunden mit einem Freispruch.
Und eigentlich sollte eine Zeitung wie “Bild”, die immer wieder die Nähe zur Katholischen Kirche sucht und deren Chefredakteur und Herausgeber selbst bekennender Katholik ist, sowas wissen (oder in einem Buch nachlesen), statt ihren über elf Millionen Lesern die Unwahrheit zu erzählen* nur die halbe Wahrheit zu erzählen.
Mit Dank auch an Zeljko K. für den Hinweis!
*) Nachtrag, 8.2.2006:
Wir müssen uns korrigieren: Auch im Fall der in Göttingen zu 400 D-Mark Strafe verurteilten Birgit Römermann ging es nicht nur um die oben erwähnten Aufkleber, sondern ebenfalls um ein Flugblatt mit der Äußerung: “Sieht man sich die Geschichte der Kirchen an, ist man Mitglied einer der größten Verbrecherorganisationen der Welt. Hexenverfolgungen, 6 Millionen Frauen verbrannt, Völkermorde, Religionskriege, Kreuzzüge, Unterdrückung und Verarschung des Volkes durch alle Jahrhunderte, Judenverfolgung, Segnung von Waffen, Verteufelung der Lust und und und, um nur einige Beispiele zu nennen.” Und auch in der Bezeichnung “Verbrecherorganisation” erkannte das Landgericht Göttingen 1984 (!) einen Verstoß gegen § 166 StGB. Insofern stimmt, was “Bild” behauptet. Allerdings entschied ein anderes Gericht ein Jahr später in einem anderen Fall anders. Die Frage, ob die Bezeichnung “Verbrecherorganisation” verboten ist oder nicht, hängt also im Einzelfall u.a. davon ab, ob sie den öffentlichen Frieden stören kann oder nicht.
Man mag ja von Hellseherei, Wahrsagekunst und Prophetie halten, was man will. Und insofern spielt es ja vielleicht gar keine Rolle, dass Bild.de heute über einige Prophezeiungen einer blinden bulgarischen Hellseherin berichtet und dabei in einigen wesentlichen Punkten von dem abweicht, was Pravda.ru bereits am 3. Februar in englischer Sprache aufschrieb. Ob also Vanga Pandeva 1988 in einer Prophezeiung sinngemäß sagte, “Zwei große Anführer gaben sich die Hand” (“Two big leaders shook hands”), wie Pravda.ru schreibt. Oder ob sie damals meinte, “Zwei große Führer werden ihre Hände schütteln“, wie Bild.de schreibt. Aber abgesehen davon, dass letzteres sicher lustig aussieht, macht es auch aus Sicht einer Prophetin keinen Sinn. Jedenfalls dann nicht, wenn man davon ausgeht, dass der INF-Vertrag zur Abrüstung atomarer Mittelstreckenraketen gemeint war (was Bild.de und Pravda.ru offenbar tun). Denn den unterzeichneten Reagan und Gorbatschow schon im Dezember 1987. Pandeva wäre also etwas spät dran gewesen. Aber das ist Geschichte.
Im Hinblick auf eine weitere Prophezeiung Pandevas könnte es allerdings noch mal wichtig werden ob die Vision Version von Bild.de korrekt ist, oder die von Pravda.ru. Letztere zitiert die bulgarische Prophetin mit den Worten:
Alles wird schmelzen wie Eis, aber der Ruhm Wladimirs, der Ruhm Russlands sind das einzige, was bleibt. Russland wird nicht nur überleben, es wird die Welt beherrschen.
Bild.de hingegen schreibt:
Rußlands Weltherrschaft kündigte sie bereits 1979 an. Zuvor würde aber der Ruhm “Wladimirs” schmelzen wie Eis in der Sonne. Daß der aktuelle russische Präsident Putin, den damals noch keiner kannte, diesen Vornamen hat, läßt Vangas Anhänger glauben: Auch diese Vision wird sich sehr bald erfüllen …
Nicht, dass es hinterher Streit darüber gibt, ob Pandevas Prophezeiung nun wahr geworden ist, oder eher das Gegenteil.
Mit Dank an Maja I. und Phil für den sachdienlichen Hinweis.
Nachtrag, 21.00 Uhr: Übrigens wird Vanga Pandeva, von Pravda.ru und Bild.de abgesehen, offenbar überwiegend Vanga Dimitrova genannt, oder einfach: “Baba Vanga“. Insofern können wir wohl mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass es sich bei den Prophezeiungen von Bild.de bloß um schlechte Übersetzungen handelt.
“Was wird bei uns bestraft?” fragt “Bild” – und berichtet heute in großer Aufmachung über “Gotteslästerung in Deutschland”(siehe Ausriss) und “erklärt, was deutsche Gerichte als ‘Blasphemie’ (griechisch: Schmähung, Verleumdung) beurteilten – und was nicht!”
Nach einem Zitat aus dem deutschen StGB und unter der Zwischenüberschrift “Das ist verboten” schreibt “Bild”:
“Ein Gericht verurteilte den Karikaturisten Gerhard Haderer in Abwesenheit zu sechs Monaten Haft. Sein Comic ‘Das Leben des Jesus’ zeigte Gottes Sohn als ‘Weihrauchkiffer’, den Gang über den See Genezareth als ‘Surf-Trip’. Das Urteil wurde später aufgehoben.”
Und mal abgesehen davon, dass es einigermaßen verwunderlich ist, ein Urteil, das “später aufgehoben” wurde, in der Rubrik “Das ist verboten” unterzubringen: Der österreichische Karikaturist war im Januar 2005 in Griechenland (!) zu sechs Monaten Haft verurteilt und per Europäischem Haftbefehl zur Festnahme ausgeschrieben, ein Vierteljahr später aber im Berufungsverfahren von einer höheren Instanz in Athen freigesprochen worden. (Außerdem war gegen Haderer auch im österreichischen Wien ein Strafverfahren eröffnet, bald darauf aber wieder eingestellt worden.)
Quasi als Zusatzinformation für die Leser behauptet Bild.de seit gestern in einem Artikel über die “luder-lichsten Polizeifotos der Welt” (?), Prostitution sei “in den USA verboten, nur in der Spielerstadt Las Vegas erlaubt”.
Das ist nicht richtig. Prostitution ist fast überall in den USA verboten, außer in den meisten Bezirken von Nevada. Clark County, in dem auch Las Vegas liegt, gehört jedoch zu den wenigen Bezirken Nevadas, in denen Prostitution verbotenist.
Mit Dank an Peter R. für den Hinweis.
Nachtrag, 14:30:
Obige Bild.de-Meldung findet sich heute unter der Überschrift “Huren-Pranger” …ups, “Huren-Pranger” auch in der gedruckten “Bild”. Dort heißt es korrekt: “In den meisten Bundesstaaten der USA ist Prostitution verboten. Ausnahme: Teile von Nevada in der Umgebung der Sündenstadt Las Vegas.” (Und weil Bild.de wiederum die “Bild”-Meldung übernommen hat, steht’s dort nun zwei Mal, einmal richtig, einmal falsch.)
Ausriss aus der aktuellen “Nachrichten”-Seite von Bild.de:
Mit Dank an Claudia A. und Olaf K. für den Hinweis.
Nachtrag, 14:20:
Bild.de hat den “Lachen mit BILD”-Teaser inzwischen verändert. Nun heißt es dort: “Fragt die Lehrerin den kleinen Peter…” Klickt man drauf, kommt man nach wie vor zum Schiffbrüchigen-Witz.
Im Rahmen einer Magisterarbeit für das IfKW München findet derzeit eine Online-Befragung statt, bei der es um die Nutzung von Weblogs im Vergleich zur klassischen Printmedien-Nutzung geht.
Die Umfrage (knapp 30 Fragen) dient wissenschaftlichen Zwecken und hat keinen kommerziellen Hintergrund. (Mehr dazu hier.)
“Nicht richtig ist, daß Brad Pitt von seiner Seite aus irgendeine Forderung an ‘Die Goldene Kamera’ von ‘Hörzu’ gestellt hat.”
Ja, fallen wir ruhig mit der Tür ins Haus. Die “BamS” hatte ja im Rahmen ihrer “Goldene Kamera”-Berichterstattung behauptet, Pitt habe “für sein Erscheinen eine Million Dollar gefordert”. Und obiges Zitat stammt nicht etwa von Brad Pitts Sprecherin, die ja bereits gestern auf unsere Anfrage hin einen Bericht der “Bild am Sonntag” als “komplett unwahr” bezeichnet hatte. Im Gegenteil: Obiges Zitat stammt von Beate Wedekind, der Organisatorin des “Hörzu”-PR-Events.
Wedekind betont, die “Hörzu” habe Brad Pitt zwar “schon seit einigen Jahren auf der Kandidaten-Liste als Preisträger”, aber “selbstverständlich” respektiere man seinen Wunsch, zwischen Privatleben und Beruf scharf zu trennen”, so die Organisatorin auf unsere Anfrage.
Und da ist es dann schon mehr als seltsam, dass die “BamS” sich die Sache mit Leichtigkeit aus erster Hand hätte erklären lassen können, stattdessen aber auf dubiose “BamS-Informationen” zurückgreift, die sich im Nachhinein als “nicht richtig” bzw. “komplett unwahr” herausstellen. Ja, nicht mal beim Springer-Konzern (unter dessen Dach nicht nur die “Goldene Kamera”-Verleihung stattfand, sondern auch “Hörzu” und “BamS” erscheinen), war zu den deutlichen Dementis Gegenteiliges zu erfahren. Stattdessen beantwortete die Unternehmenssprecherin eine Bitte um Stellungnahme überraschenderweise mit dem knappen Hinweis, Anfragen zur “Goldenen Kamera” und der begleitenden Presseberichterstattung seien an die Organisatorin der Veranstaltung, Beate Wedekind, zu richten…
Das hatten wir zwar zuvor bereits getan, aber okay, zitieren wir sie halt nochmal:
“Nicht richtig ist, daß Brad Pitt von seiner Seite aus irgendeine Forderung an ‘Die Goldene Kamera’ von ‘Hörzu’ gestellt hat.”
Nachtrag, 22:17:
Wie aus einem fehlerhaften “BamS”-Bericht eine noch fehlerhaftere GMX-Meldung wird, parodiert übrigens bereits seit gestern eindrucksvoll das… GMXblog?
Nachtrag, 12.2.2006:
Obwohl nicht nur Brad Pitts Sprecherin und die “Goldenen Kamera”-Organisatorin der “BamS”-Darstellung, Pitt habe eine Million Dollar gefordert, ausdrücklich widersprechen, sah sich die “BamS” offenbar nicht dazu veranlasst, den Sachverhalt in ihrer aktuellen Ausgabe richtigzustellen. Selbst in der Rubrik “Korrekturen” wird stattdessen nur die Verwechslung von Thüringen und Sachsen-Anhalt “in der kleinen Grafik auf Seite 93” berichtigt.