Archiv für Juli, 2005

Sie sind hübsch und

Was haben Melanie W. und Anna-Lena Grönefeld gemeinsam? Eigentlich: fast nichts. Aber eben nur fast.

Melanie W. sitzt wegen Kokainschmuggels in Brasilien im Gefängnis und hat kürzlich an der merkwürdigen Wahl zur “Miss Knast” teilgenommen. “Bild” druckte deswegen reihenweise “erotische” Fotos der 21-jährigen Berlinerin, dem “schönen Knast-Mädchen”, und berichtete:

“Brasiliens ‘Miss Knast’ ist eine Deutsche.”

Aber das stimmt nicht (wie “Bild” ja selbst weiß und schreibt: Melanie W. hat bei der Miss-Wahl in Brasilien den zweiten Platz belegt, ist also quasi “Miss Vize-Knast” [siehe “B.Z.”]).

Anna-Lena Grönefeld wiederum hat nicht nur ein “süßes Lächeln” und eine “lockere Art”, sondern auch “schlanke Beine” und einen “blonden Pferdeschwanz, der auf dem Platz hin- und herfliegt”. Ach ja: Außerdem kann die 20-Jährige gar nicht übel Tennis spielen.

“Bild” schreibt:

“Sie ist hübsch und schaffte es bis ins Wimbledon-Finale. (…) Beim Tennis-Klassiker von Wimbledon hat’s unsere Anna-Lena Grönefeld bis ins Finale geschafft! An der Seite von Martina Navratilova unterlag Anna erst im Endspiel gegen das Weltklasse-Duo Kusnezowa/Mauresmo mit 4:6, 4:6.”

Auch das ist falsch (wie zum Beispiel die “Welt am Sonntag” und dpa berichten): Grönefeld und Navratilova sind nämlich bereits im Halbfinale gegen Amelie Mauresmo und Swetlana Kusnetzowa ausgeschieden, die im Finale wiederum gegen Cara Black und Liezel Huber verloren.

Aber wer interessiert sich schon für Fakten, wenn es bloß darum geht, Fotos von gut aussehenden jungen Frauen abzudrucken? “Bild” jedenfalls nicht.

Dank für die sachdienlichen Hinweise an Sascha und Marius M.-F.

Das Fotografieren einzustellen

Am vergangenen Freitag ist in Berlin ein siebenjähriges Mädchen beim Spielen aus einem offenen Fenster im ersten Stock gestürzt und hat sich dabei schwer verletzt. “Tagesspiegel” und dpa berichten, das Mädchen habe sich bei dem Sturz einen Arm und ein Bein gebrochen sowie innere Verletzungen zugezogen.

Der “Tagesspiegel” schreibt weiter:

“Verwandte des Mädchens griffen nach dem Unfall einen Reporter der Boulevardzeitung ‘Bild’ an, weil dieser sich geweigert hatte, das Fotografieren einzustellen.”

Mit Dank an Sabina S. für den Hinweis.

Wo Menschenverachtung beginnt (Nachtrag)

Am 20. Juni hatte die “Süddeutsche Zeitung” über den Prozess gegen den mittlerweile verurteilten Kindermörder Marc Hoffmann berichtet und “Bild” in diesem Zusammenhang zu Recht Menschenverachtung vorgeworfen. Auch, weil “Bild” Marc Hoffmann mehrfach als “fette Bestie” bezeichnet hatte.

Inzwischen sieht es ganz so aus, als hätte man sich bei “Bild” den Vorwurf zu Herzen genommen. Jedenfalls kommen die jüngsten Artikel in “Bild” und auf Bild.de, die über die Verurteilung Hoffmanns berichten, ohne menschenverachtende Formulierungen aus.

Außerdem hat sich online ein Artikel verändert, der am 9. Juni bei “Bild” und Bild.de erschienen war. Die Überschrift lautete damals:

Warum schützt der Richter die fette Bestie?

Mit Veröffentlichungsdatum 29. Juni heißt es jetzt bei Bild.de:

Warum schützt der Richter diesen Kindermörder?

Außerdem hieß es ursprünglich eingangs des Textes:

Er schnappte sich Levke (8) und Felix (8), mißbrauchte und ermordete die Kinder brutal – die fette Bestie Marc Hoffmann (31).

Online beginnt der Artikel nun folgendermaßen:

Er schnappte sich Levke (8) und Felix (8), mißbrauchte und ermordete die Kinder brutal – Kindermörder Marc Hoffmann (31).

Und dort, wo es früher hieß, “Die Bestie hatte gehofft, in eine geschlossene Anstalt zu kommen (…)”, steht online jetzt dies:

Der Mörder hatte gehofft in eine geschlossene Anstalt zu kommen (…)

In gewisser Weise ist das erfreulich. Es gibt jetzt, so könnte man sagen, ein bisschen weniger Menschenverachtung im Hause “Bild”. Einerseits.

Andererseits macht es einen Unterschied, ob Bild.de rein faktische Fehler in längst erschienen Artikeln korrigiert oder einen längst erschienenen Artikel nachträglich so verändert, dass er viel harmloser klingt und plötzlich — anders als die Original-Version — weitgehend im Einklang mit dem Pressekodex steht.

Mit Dank für den sachdienlichen Hinweis an Tobias M.

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