Archiv für November 3rd, 2004

Wirbel um die “sexy Sächsin”

Neulich lobte “Bild” die 18-jährige Landtagsabgeordnete Julia Bonk für ihre “Zivilcourage”, druckte große Fotos der “sexy Sächsin” mit “Schmollmund, roter Mähne, bauchfreiem T-Shirt” und verkniff sich sogar, die PDS, für die Bonk im Landtag sitzt, als “SED-Nachfolgepartei” zu bezeichnen.

Anderthalb Wochen darauf sagte Bonk gegenüber “Focus”, sie setze sich für eine Freigabe von Drogen wie Cannabis und “härterem Stoff” (“Focus”) ein. “Bild” gefiel das gar nicht. Prompt machte das Blatt die 18-Jährige zum “Verlierer des Tages”, weil ihre Forderung “sogar die Ex-SED-Genossen erschrecken” dürfte. Da war sie wieder, die “SED”-Keule.

Am Montag fragte “Bild”: “Was geht bloß in ihrem hübschen Köpfchen vor?”, druckte Bonks “Drogenverherrlichung” noch mal ausführlich und als Schlagzeile das “Geständnis” “Ja, ich nehme Drogen!” (obwohl Bonk im Text mit den Worten “Ja, ich habe Drogen genommen” zitiert wird) und verwies bei dieser Gelegenheit online nochmal auf die Bildergalerie, äh: die Bildergalerie “So schön kann Politik sein”.

Mal abgesehen davon, dass “Bild” vorher wahrscheinlich nicht den “Auszug aus dem Jugendwahlprogramm 2004 der PDS Jugend Sachsen zum Thema Drogen” gelesen hat, ist es doch völlig okay, Bonks Forderungen zu kritisieren, oder?

Klar! Es ist ja nicht so, dass “Bild” einen anderen Grund gehabt hätte, “Deutschlands schönste Politikerin” nicht mehr so sympathisch zu finden wie noch vor zwei Wochen. Oder?

“Ich habe nichts gegen die Berichte über meine Person. Aber ich will als Politikerin wahrgenommen werden”,

zitierte die “Badische Zeitung” Julia Bonk, die “allzu persönlichen Interviewanfragen eine Abfuhr” erteilt, am vergangenen Donnerstag, also noch vor der ganzen Aufregung. Und schreibt ganz nebenbei:

So hätte die ‘Bild-Zeitung’ gerne auch etwas freizügigere Fotos geschossen, doch es blieb bei Worten wie ‘sexy Sächsin’ oder ‘Schmollmund’.”

Mit Dank an mehrere sachdienliche Hinweiser.

Unumstritten renommiert

“BILD bleibt die mit Abstand wichtigste deutsche Tageszeitung! Keine andere Tageszeitung wurde im dritten Quartal häufiger mit Exklusivmeldungen zitiert”,

meldet “Bild” auf Seite 1 unter Berufung auf das “renommierte Bonner Medienforschungsinstitut Medien Tenor”.

Das ist erst einmal nicht weiter ungewöhnlich, weil auch andere Zeitungen gerne drucken, wie wichtig sie sind – wohl, um es selbst nicht zu vergessen.

Für den Hinweis, dass das stets renommierte Forschungsinstitut zuletzt gar nicht mehr so arg renommiert, sondern, ganz im Gegenteil, eher umstritten war, blieb in der knappen Meldung sicher einfach kein Platz mehr. Medien-Tenor-Beiratsmitglied Mathias Döpfner, nebenberuflich Vorstandsvorsitzender der Axel Springer AG, hätte das sowieso nicht gefallen.

Allgemein  

Monster-Ratten-Alarm

Himmel: Die Erdachse kippt, auf unseren Autobahnen lungern mörderische Afrika-Büffel herum, und jetzt wird Deutschland auch noch von mutierten Riesennagern bedroht!

Angst vor Monster-Ratten
Sie werden 60 Zentimeter lang, neun Kilo schwer und tauchen immer häufiger in Südhessen auf

Mit dieser Schlagzeile schockierte heute die “Bild” Frankfurt.

Monster-Ratten-Alarm am Rhein! Straßenbahnfahrer Joachim Jüngling (43) machte die schockierende Entdeckung mitten in Mannheim. Bei der Fahrt mit der Linie 4 fand er einen riesigen toten Nager auf den Gleisen und fotografierte ihn. Der Fund: 60 Zentimeter groß, lange rötliche Zähne und ein nackter Schwanz. Straßenbahnfahrer Jüngling: “Ich hatte furchtbare Angst.”

Na, kein Wunder. Wenn uns so eine mutierte Riesenratte mit ihren rötlichen Zähnen und dem fiesen nackten Schwanz anspringen würde …

… Moment, von anspringen kann natürlich keine Rede sein: Die Ratte war zwar Monster, aber tot. Und was ihre lebenden Freunde angeht, fassen wir zusammen, was bei “Bild” im Kleingedruckten steht:

Es handelt sich um Sumpfbiberratten (Nutria). Das sind Vegetarier. Sie sind sehr friedlich. Sie übertragen keine Krankheiten. Sie dringen nicht in Wohnungen ein wie normale Ratten. Sie scheuen den Menschen. Es gibt sie seit über 200 Jahren in Deutschland. Sie sind nicht auf mysteriöse Weise eingewandert, sondern wurden zunächst für Pelze gezüchtet und dann einfach freigelassen.

Mit anderen Worten: Jede Wollmaus ist gefährlicher.

Wir erwarten jetzt in “Bild” Frankfurt die Überschriften: “Panik wegen Riesen-Grashalm”, “Rückkehr der Killer-Küken” und “Angst vor Monster-Linealen”.

Ach, und Mannheim liegt gar nicht in Südhessen.