Autoren-Archiv

Focus  etc.

Hilfe, die Mohammedaner kommen! (2)

Die Meldung, dass die meisten Neugeborenen in England und Wales im vergangenen Jahr “Mohammed” genannt worden seien, hat über zwei Wochen gebraucht, um im vermeintlichen Nachrichtenmagazin “Focus” anzukommen. Auf dem Weg dahin ist sie älter geworden. Richtiger nicht.

Mohammeds Siegeszug in England. Der Prophet der Muslime ist auf dem Vormarsch in Großbritannien. Der meistgewählte Jungenname für Neugeborene in England und Wales lautete im Jahr 2009 zum ersten Mal Mohammed. Offiziell gaben die Angestellten des Büros für nationale Statistiken zwar an, der traditionell britische Name Oliver liege an erster Stelle, gefolgt von Jack, Mohammed komme erst auf Platz 16. Nur waren die Statistiker einem Irrtum aufgesessen und hatten zwölf verschiedene Schreibweisen des Prophetennamen - bespielsweise Muhammad oder Mohammad - getrennt gewertet.

Also noch einmal: Die Statistiker sind, anders als die beiden (!) Autoren des “Focus”, keineswegs einem “Irrtum aufgesessen”; es war einfach ihre Methode, die unterschiedlichen Schreibweisen von Namen getrennt zu zählen. Fasst man sie aber zusammen, muss man das natürlich nicht nur bei Mohammed/Muhammad tun, sondern zum Beispiel auch bei Oliver/Olli, Harry/Henry usw. Zählt man dann entsprechend durch, liegen Oliver und Harry aber wieder vor Mohammed.

Ihre Falschmeldung, Mohammed sei 2009 der beliebteste Jungenname in England und Wales gewesen, haben bis heute weder die Nachrichtenagenturen dpa und AFP noch Medien wie “Spiegel Online”, “Welt Online”, die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” oder die “Financial Times Deutschland” korrigiert.

Mit Dank an Kai!

Focus  

Nicht Stefan Raabs Mettbrötchen

Der aktuelle “Focus” enthält folgende Gegendarstellung von Stefan Raab:

FOCUS veröffentlichte am 25.10.2010 auf Seite 161ff den Artikel “Will der nur spielen?” über mich.

1. In dem Artikel wird behauptet, ich hätte mit meiner Lebensgefährtin im Haus meiner Eltern gelebt.
Hierzu stelle ich fest, dass ich nicht mit meiner Lebensgefährtin im Haus meiner Eltern gelebt habe.

2. Daneben behauptet FOCUS, ich hätte mir beim Turmspringen das Jochbein gebrochen.
Hierzu stelle ich fest, dass ich mir beim Turmspringen nicht das Jochbein gebrochen habe.

3. Weiter heißt es: “Zur Gewinnmaximierung nimmt Raab mit schöner Regelmäßigkeit Schleichwerbung ins Programm. Und sein Sender zahlt in noch schönerer Regelmäßigkeit Strafen dafür.”
Hierzu stelle ich fest, dass ich keine Schleichwerbung ins Programm nehme und mein Sender keine Strafen dafür bezahlt.

4. Weiter heißt es: “Er verdient auch mit am Beinahe-Erfolg eines Oliver Pocher und am Massenerfolg eines Mario Barth.”
Hierzu stelle ich fest, dass ich an Oliver Pocher und Mario Barth nicht mitverdiene.

5. Weiter heißt es: “Seine TV-Karriere startet 1993. Raab fährt vor mit einem Wagen, auf dem in großen Buchstaben steht: “Metzgerei Raab”.
Hierzu stelle ich fest, dass ich bei keinem Sender oder Produktionsunternehmen mit einem Wagen vorgefahren bin, auf dem “Metzgerei Raab” stand.

6. Weiter heißt es: “Der Metzgerssohn, der heute noch das Mettbrötchen mit Zwiebeln, Gurkenscheibe dazu, ganz hinten in seiner Stammkneipe schätzt (…).”
Hierzu stelle ich fest, dass ich nie Mettbrötchen mit Gurkenscheiben dazu esse und auch keine Stammkneipe habe.

7. Weiter heißt es: “Wenn der ‘lieve Jong’ einmal die Woche von seiner Villa seine Eltern (…) besuchen kommt (…).”
Hierzu stelle ich fest, dass ich meine Eltern in unregelmäßigen Abständen besuche.

8. Weiter heißt es: “Die Nervosität steigert sich im Wochenrhythmus, wenn Raab auf die Quoten wartet.”
Hierzu stelle ich fest, dass die Quoten meiner Sendungen am Folgetag im Teletext veröffentlicht werden.

9. Zudem wird behauptet, ich wäre anlässlich meines Grundwehrdienstes Politikern begegnet.
Hierzu stelle ich fest, dass ich anlässlich meines Grundwehrdienstes keinen Politikern begegnet bin.

10. Weiter heißt es: “Zu Terminen fliegt er gern mit dem eigenen Hubschrauber.”
Hierzu stelle ich fest, dass ich keinen Hubschrauber habe.

11. Zudem wird behauptet, ich meide hartnäckig die (Gerichts)Öffentlichkeit”(…) – und das selbst auf die Gefahr hin, dass er ein Ordnungsgeld riskiert.”
Hierzu stelle ich fest, dass ich stets rechtzeitig durch die Gerichte vom persönlichen Erscheinen entbunden wurde und niemals ein Ordnungsgeld riskiert habe.

12. Weiter heißt es: “Eine Dornröschen-Hecke umschließt den Garten, und nur manchmal reitet der Prinz auf seiner Harley-Davidson aus.”
Hierzu stelle ich fest, dass mein Grundstück von keiner Hecke umschlossen ist und ich keine Harley-Davidson habe.

13. Weiter heißt es: “Zur September-Ausgabe seiner Millionenshow kommt Stefan Raab erst gerade eine Stunde vor dem Sendebeginn. In derselben Kleidung tritt er vor die Kameras. Sie riecht noch nach dem heimischen Grill.”
Hierzu stelle ich fest, dass ich zur September-Ausgabe meiner Show früher als eine Stunde vor Sendebeginn erschienen bin, an dem Tag nicht gegrillt und meine Kleidung – wie vor jeder TV-Show – gewechselt habe. Diese Kleidung trug auch keinen Grillgeruch.

14. Weiter heißt es: “Die Metzgerfamilie Raab kauft sich ein ins Aloisiuskolleg in Bad Godesberg.”
Hierzu stelle ich fest, dass ich mich für die Aufnahme ins Aloisiuskolleg beworben habe und erst nach einer persönlichen Vorstellung aufgrund einer Entscheidung des Kollegs aufgenommen wurde. Meine Familie hat sich nicht ins Kolleg eingekauft.

15. Weiter heißt es: “Schüler Stefan zieht in das Haus ‘Stella Rheni’.”
Hierzu stelle ich fest, dass ich nie im Haus “Stella Rheni” gewohnt habe.

16. Zudem wird behauptet, Stefan Raab habe sich vor einem Modellschiff aufgebaut und gesagt: “Das wär’s, einmal mit einem Segelschiff um die Welt.”
Hierzu stelle ich fest, dass ich mich weder vor diesem noch vor einem anderen Modellschiff aufgebaut und keine solche Äußerungen vor dem Modellschiff getätigt habe.

17. Weiter heißt es: “Die Gitarre hat Stefan Raab stets dabei. Wenn er (…) im Tor steht, liegt sie griffbereit hinterm Netz. Geht im Spiel etwas schief, singt Stefan sofort sein Spottlied.”
Hierzu stelle ich fest, dass ich niemals meine Gitarre griffbereit hinterm Netz hatte. Ich habe auch keine Spottlieder auf dem Spielfeld gesungen.

18. In der Bildunterzeile des Fotos auf S. 162, das ein Modellschiff zeigt, heißt es: “Sein Traumschiff – im Internat”.
Hierzu stelle ich fest, dass das Modellschiff nicht mein Traumschiff ist.

19. In der Bildunterzeile des Fotos auf S. 163, das ein Klassenzimmer zeigt, heißt es: “Seine Klasse – im Internat”.
Hierzu stelle ich fest, dass es sich nicht um mein Klassenzimmer handelt.

20. In der Bildunterzeile des Fotos auf S. 166, das ein Mettbrötchen zeigt, heißt es: “Sein Brötchen – in der Kölschkneipe”.
Hierzu stelle ich fest, dass es sich nicht um mein Mettbrötchen handelt.

Köln, den 10.11.2010
Stefan Raab

Die Redaktion der Illustrierten wollte das offenbar nicht unkommentiert lassen, verzichtete interessanterweise aber auf die übliche Beteuerung, sie bleibe bei ihrer Darstellung. Stattdessen schrieb sie unter Raabs Gegendarstellung:

Bekannt ist STEFAN RAAB, 44, als Spaßvogel und als Musikfreund, der Lena Meyer-Landrut großgemacht hat. Eine andere Seite zeigt Raab, wenn es um die eigene Person geht. Dies verrät diese Gegendarstellung, die FOCUS mit Blick auf den Informationsgehalt sehr gern druckt. Schon zu Beginn der Recherche zum Stefan-Raab-Porträt “Will der nur spielen?” hatte der Medienunternehmer mit rechtlichen Schritten drohen lassen. FOCUS recherchierte trotzdem. Reporter gingen ins Handelsregister, sie sprachen mit Nachbarn und Weggefährten, mit Mitschülern und Jugendfreunden, mit Anwälten, einstigen Lehrern und Priestern. Einige haben schon angeboten, ihre Erinnerungen mit eidesstattlichen Versicherungen zu unterstützen. Den Wahrheitsgehalt der Gegendarstellung wollen wir nicht kommentieren. Unseren Lesern, die sich ein eigenes Bild machen möchten, empfehlen wir besonders die Punkte 6, 18 und 20.

Wie man Zustimmung zu Stuttgart 21 produziert

Das ist eine überraschende Nachricht heute in “Bild”:

Die meisten Umfragen bisher hatten eine Mehrheit gegen das Bahnhofsprojekt gesehen. Entweder gibt es also, wie “Bild” suggeriert, einen Stimmungsumschwung.

Oder nicht.

Zunächst einmal ist die Umfrage nicht repräsentativ — eine Information, zu der “Bild” sogar laut Pressekodex verpflichtet wäre.

Der Verein “Mobil in Deutschland”, auf dessen Seite die Online-Befragung veranstaltet wurde, nennt als ein zentrales Ziel seiner Arbeit, “Mobilität zu fördern”, unter anderem durch den “Ausbau der Infrastruktur (Strasse, Schiene, Flughäfen)”. “Mobil in Deutschland” kämpft auch konkret für “Stuttgart 21”.

Entsprechend jubelt der Verein in einer Pressemitteilung über die angeblichen Ergebnisse seiner Umfrage:

Was noch vor 3 oder 4 Wochen undenkbar schien, wird jetzt offenbar Realität. Eine klare Mehrheit der Bevölkerung scheint hinter Stuttgart 21 zu stehen. “Offenbar hat sich der Wind gedreht”, so Dr. Michael Haberland 1. Vorsitzender von Mobil in Deutschland e.V. “Gesprächsbereitschaft, Verhandlung und Kommunikation aber auch Beharrlichkeit in dem Ziel der Umsetzung scheint ein gutes Konzept zu sein.”

Und Desinformation, natürlich. Anders als der Verein und “Bild” behaupten, wurden die Teilnehmer der Umfrage nämlich gar nicht gefragt, ob sie “für” oder “gegen” “Stuttgart 21” sind. Die erste Frage lautete stattdessen:

Halten Sie Stuttgart 21 für ein wichtiges Verkehrsprojekt?

59 Prozent antworteten mit Ja — aber für ein wichtiges Projekt kann man Stuttgart 21 auch halten, wenn man gegen seine Verwirklichung ist.

Die Frage, auf die sich “Bild” in seiner Überschrift bezieht, ist die zehnte. Sie lautet:

Sollte die Politik an großen Infrastruktur- und Verkehrsprojekten wie Stuttgart 21 festhalten?

Der Mobilitäts-Verein schreibt dazu:

Dies ist die entscheidende Frage in unserer Umfrage und hat ein klares Ergebnis. Fast 58 % der Befragten sind der Meinung, dass man an Stuttgart 21 festhalten soll. Nur 37 % der Befragten möchten das nicht.

Die Uminterpretation des Ergebnisses ist fast schon lächerlich plump. Es ist, als würde man die Menschen fragen: “Sollten Eltern ihre Kinder erziehen (z.B. durch Hausarrest)?” — und wenn 58 Prozent mit Ja antworten, behaupten, 58 Prozent der Menschen seien für Hausarrest.

Ein Verein macht Stimmung für sich und ein von ihm unterstütztes Projekt. Und Medien wie “Bild” und die “Abendzeitung” helfen ihm dabei.

dpa  etc.

Hilfe, die Mohammedaner kommen!

Wenn deutsche Medien in diesen Tagen melden, dass “Mohammed” in England und Wales zum beliebtesten Vornamen neugeborener Jungen aufgestiegen ist, dann ist das nicht nur eine dieser belanglosen Statistiken auf den vermischten Seiten. Wie eine solche Nachricht bewertet wird und auf welchen Nährboden sie fällt, zeigt beispielhaft ein Leserkommentar dazu auf “Welt Online”:

Bevor es in Deutschland zu Ähnlichem kommt - handeln! Revolution - noch heute!

(Die Zahlen neben den kleinen Handzeichen bedeuten übrigens, dass 1168 Lesern dieser Kommentar gefallen hat und nur 78 nicht.)

Die Nachricht selbst steht fast überall, und sie mag zwar die Überfremdungsängste von Thilo Sarrazin und seinen Anhängern bestätigen, aber sie ist falsch. Ihren Ursprung hat sie in der konservativen britischen Tageszeitung “Daily Telegraph”. Unter der Überschrift “Mohammed, der (geheime) Lieblingsname des Landes” berichtete sie, dass die offizielle Vornamenstatistik, wonach die meisten 2009 geborenen Jungen “Oliver” genannt wurden, die “Wahrheit” verschleiere. Wenn man alle unterschiedlichen Schreibweisen von “Mohammed” (also etwa Muhammad oder Mohammad) zusammenzähle, rücke nämlich der Name des islamischen Propheten vom 12. Platz an die erste Stelle.

Nun ist das an sich schon nicht so spektakulär und signifikant, wie es scheint, weil viele Moslems traditionell ihren erstgeborenen Sohn “Mohammed” nennen – in nicht-muslimischen englischen Familien gibt es keine entsprechende Präferenz. Daher suggeriert die Häufung eine stärkere islamische Dominanz als Realität ist.

Und wenn der “Daily Telegraph” schon alle verschiedenen Schreibweisen von “Mohammed” zusammenfasst, um die “Wahrheit” abzubilden, muss er das natürlich auch mit den anderen Namen in der Statistik machen. Das hat er aber nicht. Es reicht schon, alle “Olivers” und “Ollies” zusammenzufassen, um die verschiedenen “Mohammeds” wieder zu überholen. Auch “Harry” und “Henry” sind zusammengenommen populärer.

Blind und blöd haben dennoch die deutschen Nachrichtenagenturen dpa (“Mohammed ist beliebtester Vorname in England”) und AFP (“Mohammed steigt in England zum beliebtesten Jungennamen auf”) die falsche Rechnung übernommen. Auch die “Rheinische Post” behauptet, dass “erstmals ein ganz unbritischer Name auf der Insel an die Spitze der Hitliste für Jungennamen gerückt” sei, “Bild” und “Spiegel Online” haben die Meldung natürlich auch übernommen.

Der Zahlentrick ist übrigens alt: Auch im vergangenen Jahr hat der “Telegraph” schon auf dieselbe Weise den bösen arabischen Namen künstlich nach vorne katapultiert, und schon 2007 übernahm AFP die Milchmädchenrechnung aus der “Times” und behauptete, Mohammed sei bald der beliebteste Vorname. Die beiden ersten “Welt Online”-Leser-Kommentare lauteten damals: “Rette sich wer kann” und “Das macht wirklich Angst”.

PS: Nach Berechnungen des Watchblogs “Tabloid Watch” hatten die “Mohammeds” in ihren verschiedenen Schreibweisen 2009 einen Anteil von 2,08 Prozent an allen neugeborenen Jungen in England und Wales. Im Jahr zuvor waren es 2,09 Prozent.

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“…nur weil ‘Menschenrechte’ verletzt würden”

Zur guten Tradition der “Bild”-Zeitung gehört es, die Erfolge ihrer Kampagnen immer gleich in der Leserbriefspalte zu dokumentieren. Heute geht es dort natürlich um die außerhalb des Blattes umstrittene Sendung “Tatort Internet”, die potentielle Kinderschänder in die Falle lockt und vorgibt, vor den Gefahren von Chaträumen für Kinder zu warnen.

Die Strategie von “Bild”, Kritik an der Sendung zu marginalisieren und Stephanie zu Guttenberg, die in der ersten Folge als Gast auftrat, zu heroisieren, scheint aufgegangen zu sein:

Leser schreiben in BILD / Zu: Stephanie zu Guttenberg entsetzt über Art der Debatte / Ich finde es ganz supertoll, dass Frau zu Guttenberg als einzige Person den Mut gefunden hat, diese Sendung mit ins Leben zu rufen und allen zu zeigen, wie leicht unsere Kinder Kinderschändern ins Netz gehen können. Bitte machen Sie weiter so, Frau zu Guttenberg, und lassen Sie sich nicht von falscher Kritik entmutigen. Man sollte sich fragen, wieso Presserechtler gegen diese Sendung vorgehen? Es geht um den Schutz der Kinder und wenn die Strafen so lasch sind, muss man halt die möglichen Straftaten von Anfang an vereiteln. / BITTE, BITTE helfen Sie alle mit, die Menschen wachzurütteln, helfen Sie Stefanie zu Guttenberg! Es darf nicht sein, dass eine so gute Sache verschwindet, nur weil

Auch am heutigen Dienstag erweckt “Bild” den falschen Eindruck, zu Guttenberg sei an der Produktion der Sendung oder der “Enttarnung” der “Sex-Ekel” beteiligt. Die wachsende Kritik an der Sendung auch von Kinderschützern wird nicht erwähnt.

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“Bravo, Stephanie zu Guttenberg!”

Es gibt viel Kritik an der RTL2-Show “Tatort Internet”, in der gezeigt wird, wie Männer in Chats vermeintlich 13-jährige Mädchen ansprechen, sich mit ihnen verabreden und sie treffen. Die renommierte Medienanwältin Dorothee Bölke wirft dem Sender vor, “die journalististischen Pflichten bei der Verdachtsberichterstattung nicht beachtet” zu haben. Der Presserechtler Carsten Brennecke bezeichnet die Darstellung der angeblichen Täter als “klar rechtswidrig”. Drei Kinderschutzvereine nennen die Show ein “reißerisches und vorurteilsstärkendes” Format, das keinen Beitrag zum Schutz von Mädchen und Jungen vor sexualisierter Gewalt leiste. “Es erfüllt einzig und allein die Aufgabe, potentielle Sexualtäter an den Pranger zu stellen und altbewährte Ressentiments zu verstärken.” Und Clemens Bieber, der Vorsitzende des Würzburger Caritas-Verbandes, fordert die Absetzung der Show.

Einer der Männer, die den Verantwortlichen von “Tatort Internet” in die Falle gingen, war der Leiter eines Kinderdorfes der Caritas. Der 61-jährige war, wie andere potentielle Kinderschänder auch, unzureichend unkenntlich gemacht worden. Am Donnerstag vergangener Woche kündigte ihm die Caritas. Seitdem ist der Mann verschwunden. Am Freitag wurde er als vermisst gemeldet; Vertraute fürchten, er könne sich etwas angetan haben.

Die Aufnahmen mit dem Pädagogen waren bereits im Mai entstanden. Caritas-Chef Bieber wirft dem Sender vor, den Arbeitgeber fünf Monate lang nicht über das Fehlverhalten des Mannes informiert und so weitere Opfer riskiert zu haben. Es stelle sich die Frage, sagte er der “Süddeutsche Zeitung”, “ob es dem Sender wirklich um den Schutz der Kinder geht oder doch nur um die Einschaltquote.”

Und so berichtete am vergangenen Samstag die “Bild”-Zeitung über den Fall:

“Bild”-Chefreporter Hans-Jörg Vehlewald erwähnt in seinem Stück keinen einzigen der Vorwürfe gegen die Sendung. Aber selbst wenn man die ganze Kritik für vernachlässigenswert hält, ist es sehr abwegig, den Artikel mit “Bravo, Stephanie zu Guttenberg” zu überschreiben. Anders als Vehlewald behauptet, gehört Stephanie zu Guttenberg, die Ehefrau des Bundesverteidigungsministers und Präsidentin des Kinderschutzvereins “Innocence in Danger”, nämlich keineswegs zum “Reporterteam” der Sendung. Sie war nur Gast in der ersten Ausgabe der Show — nicht einmal der, in der es um den Kinderdorf-Leiter ging. Nach Angaben des Produzenten der Sendung ist sie nicht in die internen Abläufe der Sendung eingebunden.

Frau zu Guttenberg ist natürlich trotzdem eine der wichtigsten Mitwirkenden. Ohne sie wäre das Format vermutlich nicht prominent auf der Titelseite von “Bild” angekündigt worden.

Der Fall ist ein Paradebeispiel dafür, wie das System von Freundschaften und Abhängigkeiten funktioniert, das unter Chefredakteur Kai Diekmann die Berichterstattung von “Bild” prägt. Das Blatt darf zum Beispiel exklusiv die Klage zu Guttenbergs über die Sexualisierung unserer Welt zwischen seine Tittenbilder drucken und arbeitet dafür an ihrer Heiligsprechung. Es ist eine Win-Win-Situation, von der beide profitieren, nur vielleicht die Wahrheit nicht, oder weniger pathetisch formuliert: die Leser.

Heute erfahren sie zwar immerhin, dass “Presserechtler” der Show “Rechtswidrigkeit” vorwerfen (verpackt in einen Absatz, der damit beginnt, dass “die Ministergattin in Teilen der Öffentlichkeit Hohn und Spott für ihr Engagement gegen Kindesmissbrauch erntet”). Der Artikel ist aber ganz im Sinne zu Guttenbergs verfasst, die sich in ihrer der Zeitung auch selbst zu den Vorwürfen äußert. Gegenüber anderen Medien hatte sie eine Stellungnahme abgelehnt.

PS: Auf Seite 1 macht “Bild” heute einen Mann zum “Verlierer” des Tages, weil er Guttenberg und andere dafür kritisiert, sich “mit dem Thema Kinderpornografie ‘im Internet’ profilieren (zu) wollen” und den Missbrauch von Kindern populistisch zu missbrauchen: den Politiker Jörg Tauss, der ein Buch über die “Kinderporno-Lüge” plant. “Widerlich!” urteilt “Bild”.

Klitzekleines Detail: Tauss ist kein SPD-Mitglied; er ist bereits im Juni 2009 aus der Partei ausgetreten. Aber womöglich war das nur ein Versehen von “Bild”.

Mit Dank an Oliver O., Dennis B. und Tbo!

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In Sachen Schwarzer ./. Kachelmann

Berichtigung: Anders als in BILD am 15.10.2010 berichtet, hat Jörg Kachelmanns Verteidigung das mutmaßliche Opfer nicht als Stalkerin bezeichnet und auch nicht verlauten lassen, der Moderator kenne es gar nicht.

“Typisch ‘Bild'”, möchte man angesichts dieser Berichtigung heute sagen, aber das wäre ungerecht. “Typisch Alice Schwarzer” träfe es vielleicht eher.

Die “Emma”-Herausgeberin berichtet bekanntlich für das Blatt über den Vergewaltigungsprozess. Manchmal müsse “man etwas selber erleben und darf sich nicht nur mit Informationen aus zweiter Hand begnügen”, erklärte sie ihr Engagement, bei dem sie sich manchmal mit Informationen aus zweiter Hand begnügt und dabei so tut, als hätte sie etwas selber erlebt.

Munter und frei von juristischem Sachverstand schreibt die Frau, die “Bild” am vergangenen Mittwoch zum “Gewinner” ernannt hatte, gegen Kachelmann und seine vermeintlichen Unterstützer in den Medien an. Freitag klagte sie über die “Spielchen” und “taktischen Manöver” der Verteidigung, weil die empört war, dass das angebliche Opfer als Zeugin nicht vom Gericht über sein Aussageverweigerungsrecht belehrt wurde: Nach Paragraph 55 der Strafprozessordnung hat ein Zeuge das Recht, die Aussage zu verweigern, wenn er sich damit selbst belasten könnte, und muss auf dieses Recht hingewiesen werden.

Der Anwalt Udo Vetter kommentiert in seinem Blog:

Der Nebenklägerin, die Kachelmann vergewaltigt haben soll, sind bereits unwahre Aussagen nachgewiesen worden (…). Darüber steht natürlich die weitaus größere Möglichkeit, dass die Nebenklägerin die Vergewaltigung insgesamt erfunden hat. (…)

Jedes Wort, das die Zeugen also sagt, kann für sie strafrechtlichen Ärger bedeuten. Um so wichtiger, dass ihr das Gericht vor der Aussage erklärt, wie sie diesen Ärger vermeiden kann. Um so unverständlicher, wieso das Landgericht Mannheim meint, ausgerechnet bei Kachelmanns Ex-Freundin bestehe für die Belehrung, die vielleicht mal anderthalb Minuten dauert, keine Notwendigkeit. (…)

Die Weigerung, die Zeugin korrekt zu belehren, wirft erneut ein schlechtes Licht auf die Richter. Denn es gibt wenige andere Erklärungsansätze als jenen, dass sie offenbar schon jetzt meinen, die Nebenklägerin lüge keinesfalls.

Alice Schwarzer, die verwirrenderweise formuliert, die Zeugin solle “zusätzlich ‘nach § 55’ vereidigt” werden, sieht in dem Bestehen auf einer rechtlichen Vorschrift aber bloß den Versuch, die Nebenklägerin als Lügnerin hinzustellen. Kachelmanns Verteidiger bezichtige sie “damit indirekt des Vortäuschens einer Straftat”.

Ihr Angriff auf Kachelmanns Verteidigung endet so:

Wir erinnern uns: Kurz nach der Verhaftung des Wetter-Moderators hieß es, Jörg Kachelmann kenne diese Frau gar nicht, sie sei eine Stalkerin. Dann hieß es, es sei “vor allem um Sex” gegangen. Sodann erfuhren wir: Die beiden hatten elf Jahre eine Beziehung, er hatte ihr die Ehe versprochen und mit ihr auch schon das gemeinsame Heim im Schwarzwald besichtigt. Alles schien gut. Bis zu der Nacht vom 9. Februar 2010…

Der (falsche) Vorwurf des Stalkings hat aber eine andere Quelle. Er stammt ironischerweise aus der “Bild”-Zeitung. Die schrieb am 23. März:

Ein enger Geschäftspartner von Kachelmann erklärte gegenüber BILD, Kachelmann habe in Schwetzingen niemals eine langjährige Bekanntschaft gepflegt. Er sprach von “Stalking”.

Weder Bild.de noch Alice Schwarzer noch Emma.de haben Schwarzers Kolumne selbst korrigiert.

Mit Dank auch an Helmut O.

  • Die (juristische) Fortsetzung der Geschichte steht hier.
heute  

Von Gewalt gegen die Polizei und Polizeigewalt

Die Bundesregierung hat gestern einen Gesetzentwurf beschlossen, durch den Polizeibeamte und andere Einsatzkräfte besser vor gewalttätigen Angriffen geschützt werden soll. Unter anderem soll schon der bloße Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte mit drei statt bisher zwei Jahren Gefängnis geahndet werden können.

Zur Illustration zeigte die “heute”-Sendung des ZDF diverses Archivmaterial, das Angriffe auf die Polizei zeigen sollte. Während der Sprecher von Leuten sprach, “die sich gegen das Abführen oder einen Polizeigriff wehren”, waren diese Bilder zu sehen:

Die gezeigten Aufnahmen haben eine gewisse Berühmtheit erlangt. Und tatsächlich wurde dem Mann im blauen T-Shirt vorgeworfen, bei der Demonstration “Freiheit statt Angst” in Berlin vor einem Jahr Polizisten gestört und Widerstand geleistet haben.

Zur Illustration des Themas eignen sich die Aufnahmen dennoch denkbar schlecht. Die Ermittlungen gegen den Mann wurden nämlich eingestellt. Stattdessen wurde gegen zwei Polizisten ermittelt, die ihn zusammengeschlagen haben sollen.

Mit Dank an Johannes Z.!

Und Galileo rotiert im Grab immer nach Süden

Manchmal testet das ProSieben-Vorabendmagazin “Galileo” nicht nur, wie viel Essen in einen Jumbo geht, sondern versucht auch, seinen Zuschauern die Welt zu erklären. Gestern überprüfte die Sendung in einem “Grundschulwissenstest”, was die Menschen noch von den elementaren Dingen behalten haben, die sie als Kind gelernt haben. “Jeder Deutsche sollte unseren Test mit Bravour bestehen”, sagte der “Galileo”-Sprecher, denn es handele sich um “absolutes Basiswissen”.

Und so sollten die Kandidaten zum Beispiel mithilfe einer Schale Wasser, eines Holzstückchens, einer Nadel und eines Magneten einen Kompass bauen, was den meisten misslang. “Jeder Grundschüler sollte diese Aufgabe meistern können”, sagte der Sprecher streng. “Ganz klar: Hier fehlt den Kandidaten Basiswissen.”

Freundlicherweise gab “Galileo” Nachhilfe, und zwar so:

 

 

“Das ist unsere Erde.

Am Nordpol lagern riesige Eisen-Vorkommen.

Magnete zieht das magisch an.

Nadeln auch.

Sofern sie magnetisch sind.”

Ganz klar: Hier fehlt “Galileo” Basiswissen.

Irgendwelche riesigen und offenbar magnetischen Eisen-Vorkommen am Nordpol sind nicht dafür verantwortlich, dass Kompassnadeln sich nach Norden ausrichten — diese Eisenmassen müssten zum Beispiel auch munter unter der Erde durch die Gegend wandern, um die wechselnden Positionen des magnetischen Nordpols und die sogar gelegentliche Umkehrung von Nord- und Südpol zu erklären.

In Wahrheit ist die Erde von einem Magnetfeld umgeben, das durch den sogenannten Geodynamo-Prozess entsteht: das sind Induktionsvorgänge im äußeren, flüssigen, elektrisch leitfähigen Erdkern.

Und morgen bei “Galileo” Jumbos großer Vergleichstest: Nordpol oder Nordpolen, wo gibt’s das beste Eis?

Mit Dank an Ronny R.!

Agenturmeldung vergurkt

Bei “Spiegel Online” werden Meldungen von Nachrichtenagenturen in aller Regel nicht veröffentlicht, ohne von einem Redakteur noch einmal bearbeitet worden zu sein. Das ist nicht immer eine gute Idee.

Am Wochenende berichtete “Spiegel Online”:

Mit eintägiger Verzögerung ist eine Sojus-Kapsel mit drei Astronauten der Internationalen Raumstation ISS sicher in der kasachischen Steppe gelandet. (…) Die drei Astronauten sind wohlauf. Zur Begrüßung gab es eine Gurke.

Das mit der Gurke fand der Redakteur so interessant, dass er auch die Überschrift daraus machte:

Sojus-Kapsel von der ISS: Verspätet gelandet, mit Gurke begrüßt

Verwirrenderweise heißt es aber am Ende seines Artikels dann:

“Wir sind sanft und zart auf der Erde aufgekommen”, sagte Kosmonaut Alexander Skworzow, der am Samstag als erstes aus der Kapsel stieg. Wie in Russland traditionell üblich, reichten ihm Helfer als erstes Nahrungsmittel einen Apfel. Skworzow biss breit grinsend hinein, merkte dann aber an, dass er nächstes Mal lieber eine Gurke hätte. “Wir müssen die Tradition ändern”, sagte er. “Ich hatte seit einem halben Jahr keine Gurke mehr!”

Hm. Hätte es dann nicht in der Überschrift heißen müssen: “Verspätet gelandet, ohne Gurke begrüßt”? Welche von den beiden Versionen stimmt denn nun?

Die überraschende Antwort lautet: keine. Jedenfalls heißt es in der AFP-Meldung, auf der der “Spiegel Online”-Bericht beruht, dass die Kosmonauten zwar mit dem klassischen Apfel begrüßt worden seien. Nicht Skworzow, sondern sein Kollege Kornjenko habe dann aber gesagt: “Wir müssen die Tradition ändern. Ich hatte seit einem halben Jahr keine Gurke mehr!”

Ein Tag später veröffentlichte AFP dann noch eine aktualisierte und um ein Happy-End ergänzte Fassung:

Prompt wurde ihm sein Wunsch erfüllt: Der Weltraumfahrer bekam seine Gurke.

So gesehen stimmt natürlich jetzt die “Spiegel Online”-Überschrift wieder. Auf eine Art.

Mit Dank an Andreas M.!

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