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Deutschlands schnellste Meinungsmache

Seit gestern kann man im Online-Angebot der “Bild”-Zeitung darüber abstimmen, ob man die “Urteile gegen die U-Bahn-Schläger für gerecht” halte.

Wem diese Frage zu kompliziert ist, oder wer beispielsweise mit Begriffen wie Gerechtigkeit nicht so viel anfangen kann, dem bietet “Deutschlands schnellste Meinung” die Möglichkeit, die Frage gar nicht zu beantworten und sich für die Option “D” zu entscheiden. Eine Mehrheit der Leser (derzeit 47 Prozent) hat das getan:

"Halten Sie die Urteil gegen die U-Bahn-Schläger für gerecht? Ausländische Straftäter immer ausweisen!"

Passend dazu fragt “Bild” heute:

"Wann werden die Schläger abgeschoben?"

Gut möglich, dass das genau die Frage ist, die “Bild”-Leser heute bewegt. Aber sie ist falsch gestellt – und die Antwort, die “Bild” gibt, auch deshalb wenig hilfreich:

Die Täter müssen einen Teil der Strafe in Deutschland absitzen, erklärt die zuständige Behörde. Mindestens die Hälfte, möglicherweise aber auch drei Viertel der Haft. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) kündigte erneut an, an der Abschiebung nach der Haft festzuhalten.

Das hatte Herrmann schon gestern gefordert – in “Bild”. Doch was “Bild” offenbar nicht wahrhaben will: Herrmann kann das überhaupt nicht entscheiden, sondern die “zuständige” Ausländerbehörde (gegen deren Entscheidung wiederum vor dem Verwaltungsgericht geklagt werden kann). Und die müsste erstmal klären, ob die “Schläger” überhaupt ausgewiesen werden dürfen. Anders als “Bild” offenbar meint, ist das keineswegs sicher.

Zwar steht in Paragraph 53 Aufenthaltsgesetz, ein Ausländer “wird ausgewiesen”, wenn er zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Aber EU-Bürger genießen einen erhöhten Ausweisungsschutz (einer der Verurteilten ist Grieche). Und der Paragraph 56 schränkt die “zwingende Ausweisung” aus Paragraph 53 unter bestimmten Voraussetzungen ein. So zum Beispiel für Leute, die längere Zeit rechtmäßig in Deutschland leben oder “mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft” leben (der andere Verurteilte wurde in Deutschland geboren, ist mit einer Deutschen verlobt und hat ein Kind mit ihr). Gemäß Paragraph 56 Aufenthaltsgesetz genießt ein Ausländer in diesen Fällen einen “besonderen Ausweisungsschutz”:

Er wird nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen.

Bei Verurteilungen zu Haftstrafen von über drei Jahren liegen diese Gründe zwar “in der Regel” vor – aber eben nur “in der Regel”. Und das Bundesverfassungsgericht entschied im August 2007, dass es bei sogenannten “faktischen Inländern” (Ausländer, die seit vielen Jahren rechtmäßig in Deutschland leben) immer auf deren “individuelle Lebensumstände” ankommt.

Auch wenn die “Bild”-Zeitung und ihre Leser es offenbar gerne anders hätten, müsste die korrekte Frage auch nach der Verurteilung der beiden “U-Bahn-Schläger” noch immer lauten:

"Werden die Schläger abgeschoben?"

Mit Dank an die zahlreichen Hinweisgeber.

Halbwahrheiten über Sterbehilfe in der Schweiz

Anlässlich der Sterbehilfe, die der ehemalige Hamburger Justizsenator Roger Kusch Anfang vergangener Woche einer Rentnerin leistete, berichtete “Bild” am Samstag in einer großen Titelgeschichte über “Die Wahrheit über Sterbehilfe in Deutschland”.

Im Artikel ging es jedoch auch um Sterbehilfe in der Schweiz:

Wie unsagbar grausam AKTIVE Sterbehilfe sein kann, zeigt der Fall einer unheilbar kranken Krebspatientin († 43) aus Deutschland. Die Frau war 2007 in die Schweiz gereist, um sich dort legal von der Sterbehilfe-Organisation “Dignitas” beim Sterben helfen zu lassen. Doch das Gift wirkte nicht richtig! Als die Frau im Sterbezimmer den Todes-Cocktail trank, schrie sie laut vor Schmerzen “Ich verbrenne! Ich verbrenne!” und lief violett an. Erst nach 38 Minuten Höllenqualen stellte ein Arzt den Tod fest.

Nun handelt es sich bei diesem Fall allerdings, anders als “Bild” schreibt, nicht um “AKTIVE Sterbehilfe”. Die ist auch in der Schweiz verboten. Vielmehr geht es hier um eine – in der Schweiz straflose – Form der Beihilfe zum Selbstmord. Dignitas hatte der Krebspatientin zwar offenbar den “Todes-Cocktail” besorgt, getrunken hat sie ihn aber selbst (wie sich ja auch aus der “Bild”-Schilderung ergibt).

Was allerdings den konkreten Ablauf angeht, existieren dazu zwei Versionen:

  • die von “Bild” geschilderte, die Anfang 2007 in der Schweizer “SonntagsZeitung” stand (und die “Bild” auch damals übernommen hatte)
  • und die des Dignitas-Chefs Ludwig A. Minelli: Zwar hätten zwei der vier anwesenden Zeugen den Tod der Krebspatientin so wie von “Bild” geschildert dargestellt, so Minelli zu uns. Die anderen beiden “Begleitpersonen” hätten Dignitas jedoch “mündlich und schriftlich versichert”, dass “die Schilderung der beiden haltlos” sei. Die Krebspatientin habe nicht gelitten und auch nicht “Ich verbrenne” geschrien. (Ähnlich war das auch schon Anfang 2007 beispielsweise in der “Berliner Zeitung” und bei “Spiegel Online” nachzulesen.)

Was stimmt, wissen wir ebenso wenig wie “Bild”. Nur hat sich “Bild” entschieden, eine der beiden Versionen als Tatsache zu präsentieren.

Bild.de unseriöser als “The Sun”

"Gift-Anschlag der al-Qaida? Britische Superspion im Koma"

So berichtet Bild.de seit gestern darüber, dass Alex Allan, Chefkoordinator der britischen Geheimdienste, im Koma liegt:

Sicherheits-Experten vermuten, dass er Opfer eines Gift-Anschlags von Russen oder des Terroristen-Netzwerks der al-Qaida geworden ist. (…)

Der Top-Sicherheitsexperte Chris Dobson: “Der plötzliche Zusammenbruch von Alex Allan erweckt Vermutungen, dass es einen Anschlag von ausländischen Geheimdiensten oder Terror-Gruppen gegeben haben könnte.”

Bild.de gibt zwar keine Quelle für diese Nachricht an, aber was dort steht, unterscheidet sich kaum von dem, was gestern in der britischen Boulevardzeitung “The Sun” stand. Und der “Top-Sicherheitsexperte” Dobson kommt offenbar ausschließlich in der “Sun” zu Wort.

Allerdings fehlt bei Bild.de etwas, das selbst die “Sun”, ein Blatt, das kaum für seine Seriosität bekannt ist, nicht verschweigt:

Doch führende Quellen aus Sicherheitskreisen sagen, man sei “so sicher, wie das zu diesem Zeitpunkt möglich ist”, dass Mr Allan nicht das Ziel eines Angriffs von Bin Ladens Handlangern geworden ist. Und sie behaupten, bislang sei “nichts Verdächtiges” gefunden worden.

Was Bild.de den Lesern unterschlägt, kann man noch deutlicher freilich auch in anderen Medien nachlesen. Und sogar auf deutsch.

Mit Dank an Jadawin für den sachdienlichen Hinweis.

Madame Tussauds nimmt “Bild” den Hitler weg

Weil im ersten Deutschen Wachsfigurenkabinett von Madame Tussauds, das morgen eröffnet, “Hitler in Berlin zur Schau gestellt” werde, sieht “Bild” sich mal wieder gezwungen, Hitler heute selbst zur Schau zu stellen und über eine “Empörung in ganz Deutschland” zu berichten:

Und Franz Josef Wagner schreibt an das “Kabinett von Madame Tussaud”:

Hitler als Showman – wie kann man das den ermordeten, misshandelten Millionen von toten Seelen erklären (…). Kommt alle zur Eröffnung, um zu kotzen.

Michel Friedman spricht laut “Bild” von der “Banalisierung eines der brutalsten Massenmörder der Menschheitsgeschichte.”

Anmerkung: Die obigen Ausrisse stellen lediglich eine sehr kleine und sehr unvollständige Auswahl an Hitler-Schlagzeilen aus “Bild”-Ausgaben der letzten zwei Jahre dar, die nicht mal ansatzweise Anspruch auf Vollständigkeit erhebt.

Dreisatz mit x

"Der Finanzminister von der SPD ist Merkels neuer Liebling"

So viel ist mal klar: Kanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Peer Steinbrück sind ganz dicke miteinander. Die “verstehen sich blendend”, er ist ihr neuer “Herzbube” und “mancher CDU-Minister wird blass vor Neid”, wie “Bild” heute weiß.

Wer nun aber glaubt, die “Bild”-Autoren Nikolaus Blome, Hanno Kautz und Rolf Kleine hätten sich da nur irgendwas zusammen fantasiert, um in ihrer hochbrisanten großen Seite-2-Geschichte, nach der Steinbrück der “neue Liebling der ‘Chefin'” sei, Zeilen zu schinden (“…weil er redet wie Merkel!”, “…weil er denkt wie Merkel!”, “…weil er offen kämpft”), der hat sich verrechnet. Die drei “Bild”-Männer haben da auch handfeste Insiderinfos für. Zum Beispiel diese:

"Beide lieben Mathematik."

Das weiß außer Blome Kautz und Kleine keiner. Im Gegenteil. Die meisten glauben ja immer noch, Steinbrück möge trotz seines Jobs als Finanzminister gar kein Mathe. Und das bloß, weil er unter anderem deswegen in der Schule sitzen blieb und dem WDR offenbar gesagt hat: “Mathe und Altgriechisch, das war nix für mich.”

Mit Dank an Adrian C. für den sachdienlichen Hinweis.

“Bild” lässt Mark Medlock tief fallen

Mark Medlock, der letztjährige Gewinner von “Deutschland sucht den Superstar”, ist recht erfolgreich. Als Sänger wie als Schlagzeilenlieferant für die “Bild”-Zeitung. Wobei er im ersten Halbjahr dieses Jahres offenbar eher selten für die ganz großen Geschichten taugte.

Ende Juni jedoch konnte “Bild” über Medlock berichten, dass wegen Beleidigung gegen ihn ermittelt werde, weil er bei der Kofferkontrolle am Flughafen eine “Sicherheits-Mitarbeiterin bepöbelt” habe. Und vorgestern schrieb “Bild”, die Staatsanwaltschaft Berlin ermittele wegen “des Verdachts auf Körperverletzung” gegen Medlock, weil er in einer Sauna einen 52-Jährigen “blutig geschlagen” habe.

Gestern fand “Bild” Medlock dann sogar Titelseiten-würdig:

"Der tiefe Fall des Superstars Mark Medlock – Staatsanwalt ermittelt wegen sexueller Nötigung"

Und jetzt kommt auch noch raus: Die Berliner Justiz ermittelt in einem weiteren Fall (…). Das Opfer schildert den Tathergang so: “(…) Kurz darauf fasste [Medlock] mir von hinten mit der rechten Hand an meinen Penis. Er war dabei so energisch und ließ nicht los, dass ich ihn wegdrängen musste.”

Was “Bild” so groß und aufgeregt aufschreibt, klingt bei sueddeutsche.de schon wesentlich weniger dramatisch. Dort hat man, ebenso wie “Bild”, mit dem zuständigen Staatsanwalt gesprochen und zur Anzeige wegen sexueller Nötigung befragt, würdigt das jedoch ganz anders:

Auf sueddeutsche.de-Nachfrage formuliert der zuständige Berliner Staatsanwalt Michael Grunwald allerdings betont zurückhaltend: “Anzeigen kann jeder jeden. Es gilt die Unschuldsvermutung.”

Das klingt in der Tat zurückhaltend.

Zudem wurde die Anzeige wegen sexueller Nötigung, ebenso wie die wegen Körperverletzung, schon Ende letzten Jahres gestellt. “Bild” wusste also offenbar schon vor der Geschichte über die Körperverletzung davon, tut jedoch einen Tag später so, als wäre es eine Neuigkeit (“Und jetzt kommt auch noch raus”).

Und es ist durchaus fraglich, ob der Vorfall, wie ihn das “Opfer” in “Bild” schildert, überhaupt den Tatbestand der sexuellen Nötigung erfüllt. Nach unseren Informationen spricht jedenfalls vieles dafür, dass es wegen dieser Anzeige nicht zu einem Prozess kommt. Auch wenn “Bild” den Anwalt des vermeintlichen Opfers mit der gegenteiligen Annahme zitiert (“Wir gehen davon aus, dass es zu einem Prozess kommt”).

So gesehen taugt Medlock vielleicht doch nicht für die ganz großen Geschichten. Zumindest nicht an zwei Tagen hintereinander und nicht für eine Titelgeschichte am zweiten Tag – außer eben in “Bild”.*

Mit Dank an Christian K. für den Hinweis.

*) Beim Kölner Boulevard-Blatt “Express” sieht man das offenbar so ähnlich wie bei der “Bild”-Zeitung.

Heute anonym XIX

  • Finden Sie eigentlich, dass die Medien das Persönlichkeitsrecht von Angeklagten achten sollten?
  • Oder ist es Ihnen eher egal, wenn über einen mutmaßlichen Straftäter, der zur Tatzeit noch minderjährig war, mit Foto und ohne Unkenntlichmachung berichtet wird?

Bei Bild.de hat man gestern Abend unter einem Text über die beiden mutmaßlichen “U-Bahn-Schläger” Serkan A. und Spyridon L. eine Lösung gefunden, beide Leser-Typen zufrieden zu stellen, wie dieser Screenshot zeigt:

Mit Dank an Boris H. auch für den Screenshot.

Mancher gibt sich viele Müh’

Kann man über Doof schreiben, ohne Dick auch nur eine Zeile zu widmen? Über Nanni berichten, ohne Hanni zu erwähnen? Geht Eva ohne Adam, Julia ohne Romeo, Bert ohne Ernie, Diekmann ohne Kohl?

Anders ausgedrückt: Lässt sich Moritz’ alleinige Übeltäterei überhaupt erfassen und bewerten?

"TV-Zeugnis: KMH kriegt eine 2! Und für Urs ist es heute schlussendlich vorbei"“Bild” stellt heute ein “TV-Zeugnis” für viele Moderatoren und Kommentatoren aus, die einem während der Fußball-EM im Programm von ARD und ZDF häufiger begegnet sind. Also auch Leute wie Reinhold Beckmann, der zusammen mit Mehmet Scholl moderierte, oder Johannes B. Kerner, der mit Urs Meier und Jürgen Klopp die Spiele analysierte. Natürlich ist auch Günter Netzer dabei.

Günter Netzer, Sie wissen schon, der “Bild”-Kolumnist, der immer mit diesem ARD-Mann die Fußballspiele analysiert. “Bild” nannte ihn und diesen anderen da von der ARD im April “die ‘Max & Moritz’ der Fußball-Moderatoren!” “Bild”-Kolumnist Netzer bekommt von “Bild” eine glatte 1. Und dieser andere, mit dem er immer zusammen vor der Kamera rumsteht, dieser Schlaksige, der kriegt eine… Sekunde mal… …der bekommt die Note…

Nee, sorry, der wird in dem halbseitigen Artikel mit keinem Wort erwähnt.

Mit Dank an Thomas W. für seinen kurzen Hinweis.

Nachtrag, 27.6.2008: Bereits gestern reichte “Bild” die Note für Max Gerhard Delling, der wegen eines “technischen Versehens” gefehlt habe, in den “EM-News” nach: 3+.

Bild.de verlinkt Neonazi

"Wie doof sind die denn? ARD zeigt falsche deutsche Fahne"Peinlich, was der ARD da am Samstag in den “Tagesthemen” passiert ist. Sehr peinlich sogar: Sie blendete eine falsche Deutschlandfahne ein, die statt schwarz-rot-gold, rot-schwarz-gold war. In “Bild” ist dieser “Fahnen-Flop” heute Titelschlagzeile (siehe Ausriss).

Bild.de berichtet schon seit gestern in einem kurzen Text darüber. Und weil “die entsprechende Passage” aus der ARD-Mediathek “bereits verschwunden” sei, verlinkte Bild.de auf ein YouTube-Video:

Das verlinkte Video wurde von einem Benutzer bei YouTube eingestellt, der sich den Namen “Volkwarth” gegeben hat. Es ist nicht sein einziges Video.

In “Volkwarths” Profil finden sich neben den deutschen Spielfilmen “Friedrich Schiller – Der Triumph eines Genies” (1940) oder “Bismarck” (1940) beispielsweise auch Mitschnitte von TV-Dokumentationen zum Thema Ausländerkriminalität. Zudem gibt es Videos von NPD-Kundgebungen und -Reden. Martin Walsers umstrittene Rede in der Paulskirche ist dort zu finden und ein “Privatgespräch Hitler Mannerheim”. Zudem zeigen diverse Videos Mitschnitte von Fernsehsendungen, deren Thema auf die ein oder andere Art der “jüdische Einfluß” auf Politik und Gesellschaft ist: “Jüdischer Einfluß – Die Israel-Lobby”, “Senta Bergers Erlebnisse im jüdischen Hollywood”, “Holocaust Konferenz und jüdischer Einfluß / demaskieren”

Kurz gesagt: “Volkwarths” YouTube-Videos beschäftigen sich primär mit Ausländerkriminalität, der NPD und den Juden. Diese Themenauswahl sollte einen vielleicht zweimal nachdenken lassen, ob es sinnvoll ist, dorthin zu verlinken – insbesondere, wenn man, wie Bild.de, täglich mehrere Millionen Leser hat.

Nichts mehr zu überlegen gibt es, wenn man sich einige Kommentare durchliest, die “Volkwarth” unter seinen Videos abgegeben hat:

Nachdem also ausgerechnet ein Internet-Angebot der Axel Springer AG zu einem YouTube-Nutzer mit offensichtlich rechtsradikalen und antisemitischen Ansichten verlinkt, wollten wir von der “Bild”-Pressestelle wissen, ob das Absicht war, und ob auf Bild.de verlinkte Seiten vorab redaktionell überprüft werden. Bisher haben wir zwar noch keine Antwort erhalten, aber der Link, der seit gestern Nachmittag online war, wurde kurz nach unserer Anfrage aus dem Artikel entfernt.

Mit Dank an Frank T. für den sachdienlichen Hinweis.

Nachtrag, 15.29 Uhr: Auch “Spiegel Online” verlinkt das YouTube-Video von “Volkwarth”. Allerdings direkt auf der eigenen Seite eingebunden. Ebenso wie Netzeitung.de.

Nachtrag, 15.50 Uhr: Die “Bild”-Pressestelle hat sich mittlerweile für den “Hinweis” bedankt, unsere Fragen jedoch unbeantwortet gelassen.

Nachtrag, 22.42 Uhr: “Spiegel Online” und Netzeitung.de haben den Link zum Video inzwischen geändert.

Presserat missbilligt “Bild”-Berichte

Der Presserat hat aufgrund von Beschwerden von BILDblog zwei “Bild”-Berichte beanstandet.

  • “Bild” zeigte blutenden Tierpfleger

    "Löwe zerfleischt Pfleger"Am 13. Juli 2007 hatte die “Bild”-Zeitung unter der Überschrift “Löwe zerfleischt Pfleger” berichtet, dass ein Mann in Mashad im Iran Opfer eines Löwenangriffs geworden sei (siehe Ausriss) – und auf einer halben Zeitungsseite zum Teil blutige Bilder des Angriffs gezeigt, die aus einem mindestens drei Monate alten Privatvideo stammten (wir berichteten.). Eines der Fotos zeigte den am Boden liegenden Pfleger mit weit aufgerissenen Augen. In der Bildunterzeile hieß es: “Gerade noch rechtzeitig! Der schwer verletzte Pfleger kann vom Notarzt reanimiert werden.”

    Der Presserates sah die gesamte “Bild”-Berichterstattung als “unangemessen sensationell” an. Er monierte insbesondere den Abdruck des Bildes mit dem schwer verletzt und blutend am Boden liegenden Pfleger, weil er so “zum Objekt, zu einem bloßen Mittel herabgewürdigt” wurde. Indem “Bild” das Foto abdruckte, sei über einen “körperlich oder seelisch leidenden Menschen in einer über das öffentliche Interesse und das Informationsinteresse der Leser hinausreichenden Art und Weise” berichtet worden, wie es in Richtlinie 11.1 des Pressekodex heißt.

    Der Axel Springer Verlag hatte argumentiert, dass die Berichterstattung den Lesern die Gefährlichkeit von Raubtieren habe vor Augen führen sollen. Insbesondere, da “in den Medien” häufig der Eindruck erweckt würde, “Wildtiere wie Löwen, Eisbären etc.” seien “possierliche Weggefährten”.

    Diese “grundsätzliche Thematik” allerdings konnte der Presserat nicht erkennen. Selbst wenn es “Bild” darum gegangen wäre, so der Beschwerdeausschuss, hätte “diese Art der Bebilderung” und insbesondere das Bild mit dem am Boden liegenden Pfleger nicht erscheinen müssen.

    Der Presserat erkannte in der “Bild”-Veröffentlichung einen Verstoß gegen Ziffer 11 (Sensationsberichterstattung) des Pressekodex und sprach eine Missbilligung* aus.
     

  • “Bild” druckte Interview mit Marco W. in Untersuchungshaft

    Laut Presserat hat die “Bild”-Zeitung unlautere Methoden angewandt, als sie am 26. und 27. Juni 2007 ein Interview mit dem 17-jährigen Marco W. abdruckte. Ein “Hurriyet”-Reporter hatte das in “Bild” veröffentlichte Gespräch – ohne Einverständnis seiner Eltern und seines Anwalts – geführt, als Marco W. wegen des Vorwurfs der sexuellen Belästigung einer 13-Jährigen in einem türkischen Gefängnis in Untersuchungshaft saß (wir berichteten). Laut Presserat habe sich Marco W. jedoch “in einer seelischen Extremsituation” befunden, und für “Bild” hätte sein Schutzbedürfnis “einem derart detaillierten Interview entgegen gestanden”. Der Presserat:

    Gerade vor dem Hintergrund der politischen Dimension des Falles wäre eine erhöhte Sensibilität erforderlich gewesen. (…) Mit den Aussagen, die er in der Zeitung tätigte, konnte er nicht abschätzen, ob er sich vielleicht damit selbst belastet oder nicht.

    Außerdem hätte “Bild” laut Presserat “die Pflicht gehabt, die Umstände, unter denen das Interview mit dem türkischen Medienkollegen entstand, sorgfältiger zu prüfen”.

    Interessanterweise fühlt sich die “Bild”-Zeitung jedoch eigentlich gar nicht so richtig zuständig für das von ihr gedruckte Interview mit Marco. Schließlich hätte “Bild” in den Berichten doch “mehrfach deutlich herausgestellt”, dass das Interview von einem ‘Hürriyet’-Reporter geführt worden sei. Laut Presserat argumentierte die Axel Springer AG wie folgt:

    Wäre es tatsächlich eine Initiative und ein ausdrücklicher Auftrag von BILD gewesen, dann hätte BILD dies deutlich gemacht und hätte nicht mehrfach darauf verwiesen, dass es sich um einen Journalisten der ‘Hürriyet’ handelt.

    Deshalb sei es “unrichtig”, “dass das Interview mit Marco auf Veranlassung und im Auftrag von BILD geführt worden sei”.

    Das allerdings lässt für uns nur einen Schluss zu:

    "Für BILD war Dursun Gündogdu von der großen türkischen Tageszeitung Hürriyet vor Ort."
     
    A: Springer lügt.

    B: Springer kann nicht lesen.

    Oder C: “Bild” schreibt in einer Sprache, die nur so aussieht wie deutsch (siehe Ausriss).
     
     
     
    Der Presserat erkannte in dem “Bild”-Interview eine Verletzung von Richtlinie 13.3. (Straftaten Jugendlicher) sowie einen Verstoß gegen Ziffer 4 (Grenzen der Recherche) des Pressekodex und sprach eine Missbilligung* aus.

*) Eine Missbilligung durch den Presserat ist für die missbilligte Zeitung folgenlos. Der Presserat “empfiehlt” den Zeitungen allerdings, die Missbilligungen abzudrucken — “als Ausdruck fairer Berichterstattung”. Die “Bild”-Zeitung verzichtet in der Regel auf diesen Ausdruck fairer Berichterstattung.

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