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“Bild” riskiert dicke Lippe

Das ist natürlich eine ganz billige Masche, mit der das britische Boulevardblatt “Sun” gestern ganz fies deutsche Soldaten verhöhnte. Sie würden Spiele spielen, während “unsere Jungs kämpfen” und seien “Kuchenesser”, schrieb das Blatt. Als Foto-Beweis hatte die “Sun” deutsche Soldaten in Afghanistan beim Tischfußball gezeigt.

Der “Sun”-Artikel
Primär geht es der “Sun” darum, dass sich deutsche Truppen nur im “sicheren Norden” Afghanistans aufhalten würden und die deutsche Regierung alles tue, um Verluste zu vermeiden. So dürften deutsche Soldaten ihre Basis nach Einbruch der Dunkelheit nicht verlassen und sich nicht weiter als zwei Stunden von einem Militär-Krankenhaus entfernen. Der “Sun” liege ein “geheimes Memorandum” deutscher Kommandeure vor, das Offiziere auffordere, nicht über Operationen zu sprechen, um die Diskussion um die “Kuchen-essenden Deutschen im Norden” nicht anzuheizen.

Aber was die “Sun” kann, kann die “Bild”-Zeitung natürlich schon lange (nur nicht so gut, wie wir gleich sehen werden) und revanchiert sich heute, indem sie sich über die gestrige “Sun”-Berichterstattung empört und ein Foto britischer Soldaten zeigt, die auch nicht kämpfen, sondern spielen.

Dumm ist allerdings, dass “Bild”* der “Sun” damit gleich Anlass zu neuerlichem Hohn gibt:

"Als wenn die Briten immer nur kämpften! Auch sie spielen in ihrer Freizeit -- z. B. Rugby, wie man sehen kann. Das Foto wurde im März 2007 in Camp Bastion, Süd-Afghanistan, aufgenommen."

Rugby ist ja dieses Feldspiel, das so ähnlich funktioniert wie American Football, aber ganz ohne Helm gespielt wird. Demnach kann das auf dem Foto-Beweis von “Bild” schon deswegen gar kein Rugby sein, weil die Soldaten sehr wohl Helme tragen:

"Kämpfen mit dem Brettspiel?"

Mit Dank an Chris H. für den sachdienlichen Hinweis.

*) Bei Bild.de hat man offenbar bemerkt, dass auf dem Foto kein Rugby gespielt wird und den Halbsatz “wie man sehen kann” inzwischen gestrichen.

AFP-Meldung beweist: Bild.de unschuldig

Es sieht ganz so aus, als trügen die Nachrichtenagenturen AFP und AP eine Mitschuld an dieser Bild.de-Geschichte:

"DNA-Test beweist: US-Bürger saß 27 Jahre unschuldig im Gefängnis"

AP hatte nämlich gestern eine Meldung unter der Überschrift veröffentlicht “US-Amerikaner saß fast 30 Jahre unschuldig in Haft”, während AFP letzte Nacht eine Meldung unter der Überschrift veröffentlicht hatte “US-Bürger saß 27 Jahre unschuldig hinter Gittern”. Allerdings ließ sich dem AFP-Text entnehmen, dass der US-Bürger John White zwar 1980 wegen einer Vergewaltigung — die er, wie sich jetzt rausstellte, nicht begangen hatte — zu lebenslanger Haft verurteilt worden war. 1990 aber wurde er auf Bewährung* entlassen und 1997 sei er wegen eines Diebstahls** wieder ins Gefängnis gekommen.

Das macht nach unserer Rechnung insgesamt 20 Jahre Gefängnis, von denen White jedoch lediglich 10 Jahre unschuldig gesessen hätte. Es wäre also für Bild.de gar nicht mal so schwer gewesen, die Überschrift als Unsinn zu entlarven.

Ach ja, AFP hat ihre Meldung heute um kurz nach 13 Uhr korrigiert.

Mit Dank an die zahlreichen Hinweisgeber.

*)Dass es bei Bild.de fälschlicherweise heißt, der Mann sei 1990 “begnadigt” worden, liegt demnach nicht an der AFP-Meldung, wahrscheinlich aber an der AP-Meldung.

**) Auch hier irrt die deutsche AFP. Tatsächlich wurde John White 1997 wegen Raubes verurteilt, nicht wegen Diebstahls, wie sich auch der englischsprachigen Version der AFP-Meldung entnehmen lässt. Die scheint aber auch insofern ungenau zu sein, als White offenbar zudem 1993 wegen eines Drogendelikts zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden war. Das wiederum berichtet die Nachrichtenagentur ap in einer englischsprachigen Meldung.

Kurz korrigiert (447)

Was hat John Wayne beim Pferdeholen mit dem Nobelpreis zu tun? Eigentlich nichts, aber als am Montag die Nobelpreise in Stockholm und Oslo verliehen wurden, nahm Al Gore seinen Friedensnobelpreis in Cowboy-Stiefeln entgegen. Diese Tatsache war für “Bild” offenbar so wichtig, dass sie sich gestern in der Klatsch-Rubrik auf der letzten Seite ausführlich damit beschäftigte. Rund die Hälfte des Textes über die “Nobelpreis-Überreichungs-Zeremonie” drehte sich allein darum.

Nicht so wichtig war für “Bild” hingegen, wer da eigentlich sonst noch wofür irgendwelche Nobelpreise bekam:

Genauso höflich verneigten sich seine deutschen Preisträger-Kollegen bei Schweden-König Carl Gustaf XVI. (61): die Physik-Nobelpreisträger Professor Gerhard Ertl (71) und Professor Peter Grünberg (69).

Gerhard Ertl bekam den Chemie-Nobelpreis, während der Physik-Nobelpreis an den Deutschen Peter Grünberg und den Franzosen Albert Fert ging.

Mit Dank an wayne für den sachdienlichen Hinweis.

Allgemein  

“Durchgeknalltes Gesindel” bei “Bild”

Es gibt offenbar bestimmte Regeln im Pressekodex, die “Bild” kategorisch ablehnt. Zwar bekennt sich Axel Springer — wo “Bild” bekanntlich erscheint — zur Einhaltung der Standards des Pressekodex (und hat im Jahr 2003 sogar Leitlinien verabschiedet, die “das Verständnis der publizistischen Grundsätze des Pressekodex” in bestimmten Bereichen “konkretisieren und erweitern”). Doch für “Bild” scheint das nicht zu gelten.

Anders ist kaum zu erklären, mit welcher Regelmäßigkeit “Bild” sich beispielsweise über Ziffer 8 des Pressekodex hinwegsetzt, wo es einleitend schlicht heißt:

Die Presse achtet das Privatleben und die Intimsphäre des Menschen.

Ganz besonders große Ignoranz zeigt “Bild” in der Berichterstattung über psychisch Kranke, von deren erhöhter Schutzbedürftigkeit die Richtlinien 8.1 (4) und 8.4 des Pressekodex handeln.

Drei Beispiele aus jüngster Zeit:

Im September wurde “Bild” vom Presserat gerügt, weil sie den offenbar psychisch kranken Khaled al-Masri abwertend und damit ehrverletzend als “irre” und “durchgeknallt” bezeichnet hatte. Für diese Rüge hatte man bei “Bild” überhaupt kein Verständnis und berichtete vor einigen Tagen entsprechend darüber. Dabei setzte sie al-Masri en passant quasi gleich mit “Hasspredigern, Nazis oder sonstigem durchgeknallten Gesindel” (wir berichteten).

Ende November hatte “Bild” über eine Geiselnahme im Berliner Hauptbahnhof berichtet und dabei den Täter völlig unverpixelt und klar identifizierbar auf großen Fotos gezeigt. Obwohl es von Anfang an Hinweise gab, dass er schuldunfähig sein könnte. “Bild” schrieb am ersten Tag ihrer Berichterstattung, er habe “offenbar Kokain geschnupft” und sei “in eine Psychoklinik eingewiesen” worden. Am zweiten Tag der “Bild”-Berichterstattung wusste man über den Täter, dass er möglicherweise wegen Wahnvorstellungen schuldunfähig gewesen sei. Dennoch zeigte “Bild” ihn erneut ohne jede Unkenntlichmachung (wir berichteten).

Und heute berichtet “Bild”, wie viele Zeitung, über “die unfassbare Tragödie, die ganz Deutschland entsetzt”. Eine Mutter aus einem kleinen Ort in Schleswig-Holstein hat offenbar ihre fünf Söhne getötet. Wie viele Zeitungen zitiert auch “Bild” den Oberstaatsanwalt:

“Wir beschuldigen die Mutter des fünffachen Mordes, allerdings im Zustand der absoluten Schuldunfähigkeit”

Deutlicher geht es kaum. Und dennoch: “Bild” illustriert den Artikel mit einem großen Foto, das nicht nur die fünf Söhne, sondern auch die Mutter ohne jegliche Verfremdung zeigt*:

"Diese 5 Jungen wurden von ihrer Mutter getötet"

Hier also noch einmal im Wortlaut die entscheidende Passage aus Richtlinie 8.1 (4) des Pressekodex — auch wenn sie für “Bild” offenbar keinerlei Bedeutung hat:

Liegen Anhaltspunkte für eine mögliche Schuldunfähigkeit eines Täters oder Tatverdächtigen vor, sollen Namensnennung und Abbildung unterbleiben.

Mit Dank an Matthias S., Sebastian U., Maja I., Volker K., Torsten R. und Oliver P. für den sachdienlichen Hinweis.

*) In Teilen der “Bild”-Auflage ist die Frau offenbar auch auf der Titelseite abgebildet und nicht unkenntlich gemacht.

Bild.de verbreitet weiter “Bild”-Ente weiter

Bereits am Montag meinte “Bild” es ganz genau zu wissen: Der Dortmunder Fußballer Nelson Valdez habe das 1:0 beim Spiel gegen den VfB Stuttgart “nicht selbst geschossen”:

Fernseh-Bilder bewiesen: Der Stürmer stümperte den Ball erst hinter der Linie ins Netz. Das 0:1 war eigentlich ein Eigentor von Stuttgarts Abwehrspieler Delpierre — unter gütiger Mithilfe von Torhüter Schäfer. Die DFL führt trotzdem Valdez als Torschützen.

Und am Dienstag verkündete “Bild”:

"Valdez: DFL nimmt ihm das Tor weg"

Die DFL bestätigte BILD gestern offiziell: Das Tor wird dem kleinen Stürmer aus Paraguay aberkannt und statt dessen als Eigentor des Stuttgarters Delpierre geführt.

Kurioserweise hatte die DFL jedoch “nach dem Studium der TV-Bilder” und am selben Tag, als diese “Bild”-Meldung erschien, entschieden, das Tor doch zugunsten von Valdez zu werten — was “Bild” immerhin einen Tag darauf richtig stellte (“Chaos um Valdez-Tor”).

Darüber, ob die DFL “Bild” am Montag wirklich das Gegenteil “offiziell” bestätigt hatte, wollte man uns bei der DFL keine Auskunft geben.

Falsch ist die “Tor-weg”-Meldung vom Dienstag jedenfalls. Bei Bild.de jedoch findet sie sich auch zwei Tage nach der nun wirklich offiziellen Entscheidung noch immer auf der Startseite der “Borussia Dortmund Klub-News”, und die Korrektur sucht man vergebens*:

Mit Dank an Sebastian L. und Frank für den sachdienlichen Hinweis.

*) Die Korrektur der “Tor-weg”-Meldung wurde zwischenzeitlich über das Sport-Telegramm bei Bild.de verbreitet, wo sie aber nicht mehr zugänglich ist.

Kurz korrigiert (445)

"Der Sänger begibt sich freiwillig in Lebensgefahr: Was macht Karim, der Knutscher, in Afghanistan?"

Der Ex-Touché-Sänger Karim Maataoui, von “Bild” auch “Karim, der Knutscher” genannt, hat einen Benefiz-Song für Afghanistan aufgenommen und ist nun selbst vor Ort, um “zu sehen, was da los ist”. Außerdem schreibt er “exklusiv” ein Tagebuch für Bild.de.

Heute wundert sich Karim, dass er “bislang noch nicht einen einzigen ausländischen Soldaten auf der Straße gesehen” habe:

"Weder einen Deutschen, noch einen Ami oder sonst einen KFOR-Soldaten -- komisch!"

Och, weißt du, Karim, so komisch ist das gar nicht. Schließlich sind die Soldaten der KFOR, wie der Name (“Kosovo Force”) schon nahe legt, zumeist im Kosovo stationiert. Und du bist, nur zur Erinnerung, in Af-gha-nis-tan. Musst du mal nach ISAF-Soldaten Ausschau halten.

Mit Dank an Martin S. für den sachdienlichen Hinweis.

Nachtrag, 6.12.2007: Inzwischen hat Bild.de die KFOR ersatzlos gestrichen.

Allgemein  

Irrer Presserat terrorisiert “Bild” weiter

Der Presserat hat seine Meinung geändert. Gestern noch hatte er grundsätzlich nichts an der abstrusen Art und Weise auszusetzen,"Irre! Presserat rügt BILD wegen dieses Brandstifters" mit der die “Bild”-Zeitung darüber berichtete, dass sie für ihre al-Masri-Berichterstattung gerügt worden war (siehe Ausriss). Das jedenfalls sagte uns Presserats-Geschäftsführer Lutz Tillmanns (wir berichteten). Heute indes hat man sich beim Presserat entschieden, eine Pressemitteilung herauszugeben, damit sich “Leser (…) ein korrektes Bild von der öffentlichen Rüge gegen BILD machen können”:

Aus der Berichterstattung der BILD-Zeitung vom 29.11.2007 (…) geht nicht hervor, weshalb der Deutsche Presserat — bereits im September — gegen BILD eine Rüge ausgesprochen hat. Deshalb stellt der Presserat allen interessierten Lesern die komplette Entscheidung des Beschwerdeausschusses 1 vom 11.09.2007 nachfolgend zur Verfügung: (…)

Leider ist nicht davon auszugehen, dass beispielsweise “Bild”-Leser Oliver B. zu diesen “interessierten Lesern” gehört. Oder die “Bild”-Leser Hans L., Günter E., Gert L., Hans-Jürgen N. oder P.M. Obwohl das wünschenswert wäre. Deren Leserbriefe an “Bild”, die das Blatt heute abdruckt, demonstrieren nämlich eindrucksvoll, dass sie die Entscheidung des Presserats genauso gut verstanden haben, wie “Bild” sie gestern erklärt hat:

Und angesichts der Stellungnahme des Axel Springer Verlags, die in der Entscheidung des Presserats dokumentiert ist, muss man sich ernsthaft fragen, ob “Bild” ihre Leser womöglich gar nicht bewusst falsch informiert hat. Denn Springers Rechtsabteilung geht ausführlich darauf ein, dass “an der Aufdeckung des Falles” al-Masri ein “hohes Informationsinteresse” bestehe, referiert ausführlich alte und neue Vorwürfe gegen al-Masri und schreibt, dass “nicht erst eine Traumatisierung durch seine Entführung ihn zu Gewalttätigkeiten veranlasst habe”.

Dass “Bild” jedoch einen psychisch Kranken herabsetzend als “irre” und als “durchgeknallten Schläger” bezeichnet hatte und damit seine Würde verletzt und eindeutig gegen Richtlinie 8.4 des Pressekodex verstoßen hat, rechtfertigt Springer offenbar nur mit der dürftigen Behauptung, “Bild” bewege sich “mit den wertenden Bezeichnungen im Rahmen zulässiger Meinungsäußerung”.

Das erstaunt. Beim Presserat handelt sich schließlich um eine freiwillige Selbstkontrolle, bei der die Verlage sich selbst zum Pressekodex bekennen und dazu, “die von den zuständigen Gremien des Deutschen Presserats wegen des Verstoßes gegen den Pressekodex (…) ausgesprochenen Sanktionen zu befolgen” (Paragraph 10 der Satzung des Presserats).

Teil dieser Sanktionen war übrigens auch die Bitte des Presserats, die Rüge unter Beachtung des Grundsatzes abzudrucken, “dass die Persönlichkeitsrechte Betroffener durch den Abdruck nicht erneut verletzt werden”.

Sieben “Bild”-Kartons für Marcos Richter

Aus der Petition:
(…) Wir respektieren die Unabhängigkeit der türkischen Justiz (…). Aber ist es angemessen, dass ein Junge 222 Tage in Untersuchungshaft sitzt? (…) Finden Sie es angemessen, dass der Prozess sechs Mal vertagt wird, nur weil das Gericht über Monate auf die übersetzte Aussage von Charlotte wartet?
WIR FINDEN DAS NICHT! (…)

Am 19. November hatte die “Bild”-Zeitung ihre Leser aufgefordert, eine Petition zu unterzeichnen, in der der Richter des in der Türkei inhaftierten Marco W. aufgefordert wird, “diesen Prozess” und die “Tortur” Marcos zu beenden. “Bild” hatte versprochen, alle Petitionen bei Gericht im türkischen Antalya abzugeben. Laut Angaben von “Bild” sind 18.900 Leser dem Aufruf gefolgt. Schöne Aktion. Oder?

Marcos Anwalt Michael Nagel findet das nicht. Am Mittwoch sagte er in der Sendung “Quer gefragt” des SWR auf die Frage, ob die Aktion von “Bild” wenigstens eine moralische Unterstützung für Marco sei:

“Man muss wirklich unterscheiden: Dass sich die deutsche Bevölkerung so hinter Marco stellt, das ist, glaube ich jedenfalls, in meiner Wahrnehmung von Marco mittlerweile überlebenswichtig. Nichtsdestotrotz ist es schädlich, durch solche Aktionen zu versuchen, unmittelbar auf das Gericht einwirken zu wollen.”

Schade also, dass die “Bild”-Zeitung tatsächlich “Wort gehalten” hat, wie sie heute stolz verkündet:

"Marco in der Türkei vor Gericht: 18.900 Petitionen der BILD-Leser sind da!"

Gestern Mittag, viertel vor zwölf, Schwurgericht von Antalya (Türkei). Reporter großer türkischer Zeitungen (u.a. “Hürriyet”, “Sabah”) und TV-Teams warten bereits, als ein Bote sieben große Kartons anlieferte. Es waren die 18 900 Petitionen der BILD-Leser! Familien, Vereine, ganze Schulklassen hatten einen Brief an den Richter von Marco (17) aus Uelzen, Abdullah Yildiz unterzeichnet: “Wir appelieren an Ihre Menschlichkeit … Beenden Sie diesen Prozess!”

Mit Dank an Lothar Z. für den sachdienlichen Hinweis.

Allgemein  

Irrer Presserat terrorisiert “Bild”

Es entspricht fairer Berichterstattung, vom Deutschen Presserat öffentlich ausgesprochene Rügen abzudrucken, insbesondere in den betroffenen Publikationsorganen.
(Ziffer 16, Pressekodex)

Es ist ja nicht so, als würde die “Bild”-Zeitung vom Presserat gegen sie ausgesprochene Rügen immer nur Monate später ganz verstohlen, möglichst unauffällig im Blatt platzieren. Heute zum Beispiel berichtet “Bild” ziemlich ausführlich und prominent auf der Seite 2 platziert darüber, dass sie vom Presserat wegen ihrer Berichterstattung über Khaled al-Masri gerügt wurde:

"Irre! Presserat rügt BILD wegen dieses Brandstifters"

Zur Erinnerung: al-Masri (der übrigens für “Bild”-Chef Kai Diekmann persönlich ein Beispiel für den “großen Selbst-Betrug” der Deutschen ist, das ihn besonders erregt) soll vom amerikanischen Geheimdienst nach Afghanistan verschleppt, dort misshandelt und monatelang festgehalten worden sein. Nachdem der offensichtlich unter psychischen Problemen leidende al-Masri später in Deutschland einen Großmarkt angezündet hatte, wurde er in die Psychiatrie eingewiesen. “Bild” nannte ihn mehrfach “irre” und einen “durchgeknallten Schläger” (wir berichteten). Der Presserat sah darin eine Verletzung der Ziffern 8 und 9 des Pressekodex, weil “Bild” das Persönlichkeitsrecht “des offenkundig kranken al-Masri” verletzt und “in ehrverletzender Art und Weise” das Verhalten eines psychisch Kranken dargestellt habe (wir berichteten).

Und so berichtet “Bild” in ihrer heutigen Ausgabe über die Rüge:

Auch privat sorgte der Sozialhilfeempfänger [al-Masri] für Schlagzeilen: Einen Mitarbeiter der Dekra attackierte er, der Geschäftsführerin eines Elektromarkts spuckte er ins Gesicht. Später zertrümmerte er mit einem Beil die Eingangstür des Markts, goss Benzin aus und legte Feuer. Schaden: rund 500000 Euro. Anlass war ein Streit über einen defekten MP3-Player.

Wir haben darüber berichtet — unter der Überschrift “Warum lassen wir uns von so einem terrorisieren?”. Und gefragt, ob al-Masri noch ganz richtig im Kopf sei. Dafür wurden wir nun vom Presserat gerügt.

Wir stehen zu unserer Darstellung. Ein gewalttätiger, bei geringsten Anlässen ausrastender Brandstifter, der sich laut Verfassungsschutz nahe der islamistischen Szene bewegt, bleibt für uns ein gewalttätiger und durchgeknallter Brandstifter.

Wir werden unsere Berichterstattung nicht weichspülen — so wenig wie bei Hasspredigern, Nazis oder sonstigem durchgeknallten Gesindel.

Wer sich selbst als “psychisches Wrack” bezeichnet, den deutsche Sozialbehörden “zu seinen Straftaten getrieben”* (!) hätten, muss es hinnehmen, dass wir fragen**, ob er irre ist.

Welchem ehrenwerten Staatsbürger der Presserat zur Seite springt, sei noch einmal kurz zusammengefasst: (…).

Tatsächlich wurde “Bild” nicht “nun” vom Presserat gerügt, sondern vor über zwei Monaten. Und abgesehen davon, dass hier die Auffassung durchscheint, der Pressekodex sollte nur für “ehrenwerte Staatsbürger” gelten, fragt man sich, ob “Bild” die Rüge und Richtlinie 8.4 des Pressekodex verstanden hat. Dort heißt es:

Körperliche und psychische Erkrankungen oder Schäden fallen grundsätzlich in die Geheimsphäre des Betroffenen. Mit Rücksicht auf ihn (…) soll die Presse in solchen Fällen (…) abwertende Bezeichnungen der Krankheit oder der Krankenanstalt, auch wenn sie im Volksmund anzutreffen sind, vermeiden.

Das Erstaunliche ist, dass der heutige “Bild”-Artikel nach Ansicht des Presserates der Pflicht zum Abdruck einer Rüge nach Ziffer 16 Pressekodex genügt. Das bestätigte uns der Geschäftsführer Lutz Tillmanns. Man könne eine Zeitung schließlich nicht zwingen, der gleichen Meinung zu sein wie der Presserat. Und eine ausführliche Auseinandersetzung mit einer Entscheidung des Presserats sei ja auch sinnvoll.

Natürlich könnte man auch diesen “Bild”-Artikel jetzt wieder vom Presserat prüfen lassen; zum konkreten Beschwerdeverfahren sagt Tillmanns aber:

Dieser Fall ist für den Presserat erledigt.

*) “Bild” selbst hatte im Mai dieses Jahres geschrieben, al-Masris Anwalt Manfred Gnjidic habe sich so geäußert. Uns sagt Gnjidic jedoch, sowas habe er “mit Sicherheit nicht gesagt”.

**) “Fragen”?

Nachtrag, 30.11.2007: Auch die “Süddeutsche Zeitung” und die “taz” berichten heute über die Rügen-Berichterstattung der “Bild”-Zeitung.

… und das in den Pyramiden sind Comics

Alex von Roon ist offenbar Schauspieler. Und Bild.de-Kolumnist. Als solcher schreibt er in der Rubrik “Hollywood Intern” beispielsweise über “Party-Nächte mit Paris & Britney”, über den “jüngsten Promi-Jäger der Welt”, über seinen “Talk mit Teri Hatcher” oder darüber, “wo die A-Stars schlemmen”.

Kürzlich hat von Roon “Grendels nackte Mutter” Angelina Jolie getroffen und für Bild.de ein blumiges Rührstück darüber geschrieben (“Frauen verachten sie ob ihrer Schönheit, Männer folgen ihrer Aura wie Motten dem Licht”). Zu Beginn des Artikels allerdings geht’s um Fakten:

Grendel? — Dahinter verbirgt sich die Geschichte um “Beowulf”, ein Phantasie-Buch, das in Hollywood kürzlich verfilmt wurde und derzeit die amerikanischen Kinokassen klingeln lässt.

Ein “Phantasie-Buch”?! Was auch immer von Roon damit meint: Es dürfte der Tatsache nicht wirklich gerecht werden, dass es sich bei “Beowulf” um ein vermutlich im 8. Jahrhundert entstandenes episches Heldengedicht in angelsächsischen Stabreimen mit 3.182 Versen handelt, das laut Wikipedia das “bedeutendste erhaltene Einzelwerk angelsächsischer Sprache” ist.

Wäre von Roon nicht erst seit 2007 Bild.de-Kolumnist, er hätte womöglich über “Troja” geschrieben, der Film basiere auf einer ollen Abenteuer-Geschichte, “Die Passion Christi” sei eine krude Bestseller-Verfilmung und “Drei Nüsse für Aschenbrödel” eine Groschenroman-Adaption. Um die Leser nicht mit unnötiger Allgemeinbildung zu belasten.

Mit Dank an Markus S. für den sachdienlichen Hinweis.

Nachtrag, 1.12.2007: Bild.de-Kolumnist Alexander von Roon fühlt sich missverstanden und teilt uns mit, der “Beowulf”-Regisseur Robert Zemeckis habe basierend auf dem Heldengedicht “einen Film gedreht und selbst eingestanden, viel Phantasie bei der Umsetzung verwandt zu haben. Soviel Phantasie, dass er insgeheim hofft, die Literaturwelt mit seiner Version zu verblüffen.” Nach von Roons Ansicht “gehören derartige Hintergründe nicht in eine Kolumne, daher die Abkürzung ‘Phantasiebuch’.”

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