Joseph Kardinal Ratzinger ist Papst Benedikt XVI., der erste Papst mit eigener Boulevardzeitung.
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“Schummel-Gracia”
Liebe “Bild”-Mitarbeiter, wir haben Ihnen einen kleinen Notizzettel geschrieben. Nur damit Sie nicht irgendwann selbst glauben, was Sie seit Tagen suggerieren. Wenn Sie die Sängerin Gracia, gegen deren Produzenten es Manipulations-Vorwürfe gibt, “Schummel-Gracia” nennen. Oder wenn Sie ihren Namen ganz dicht unter den Begriff “Grand-Prix-Betrug” schreiben. Oder wenn Sie unter ein Foto von ihr den Satz schreiben: “Grand-Prix-Gewinnerin Gracia ist sich keiner Schuld bewußt.” Oder wenn Sie die Frage formulieren: “Glaubt Gracia, daß ihre Karriere nach den Betrugsvorwürfen überhaupt noch eine Chance hat?”
Das ist alles so geschickt zweideutig formuliert. Im Gegensatz zu dem ganz und gar eindeutigen Satz in der Pressemitteilung der deutschen Phonoverbände:
Der Manipulationsverdacht richtet sich ausdrücklich weder gegen die betroffenen Künstler noch gegen die Vertriebsfirmen.
Struve dementiert “Struve”
Seit Tagen kämpft “Bild” gegen eine Teilnahme der Sängerin Gracia am Eurovision Song Contest. Weil ihr Manager beschuldigt wird, er habe die Plazierung ihrer Single “Run And Hide” in den Charts künstlich verbessert, zitiert “Bild” immer neue Unbeteiligte mit der Forderung, Gracia dürfe nicht beim Finale in Kiew antreten. Es gab allerdings nach Angaben des NDR, der dafür verantwortlich ist, keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Chart-Plazierung und Gracias Teilnahme am Vorentscheid zum Song Contest.
Bislang hat die ARD immer betont, an Gracia festzuhalten, weil sie von der Mehrheit der Zuschauer rechtmäßig per Telefonabstimmung gewählt worden sei. Die “Bild”-Zeitung tut heute so, als habe sich an dieser Position der ARD etwas geändert:
Immerhin will sich Programmdirektor Günter Struve (65) jetzt persönlich um den Fall kümmern. Struve zu BILD: „Wir werden auf unserer nächsten Sitzung darüber diskutieren. Wenn sich herausstellt, daß massiv betrogen wurde, ist Deutschland in Kiew nicht dabei.“
Dieses Zitat von Struve geistert heute durch viele Medien. Fragt man jedoch bei der ARD nach, heißt es, Struve habe sich nie so geäußert.
Heute nachmittag trat Struve im ARD-Boulevardmagazin “Brisant” auf. Dort sagte er über Gracias Teilnahme in Kiew exakt das Gegenteil von dem, was er angeblich “Bild” gegenüber gesagt haben soll:
“Es gibt gar keinen ernsten Grund, weshalb sie es nicht tun sollte, denn sie ist auf rechtmäßige Weise zustande gekommen. (…) Sie wird nicht nur in Kiew starten, sondern sie muss es, denn sie hat einen Vertrag mit uns.“
“Jetzt” II
Das ist eine merkwürdige Frage, die die “Bild am Sonntag” am vergangenen Wochenende stellte:
Merkwürdig nicht nur, weil die “BamS” die Antwort kennt und diese Antwort unwidersprochen ist: Ja, dieser Mann spionierte den Papst für die Stasi aus. Merkwürdig auch, weil diese Antwort seit vielen Jahren bekannt ist.
Ein Teil der Geschichte stand bereits am 17. Januar 1999 in der “Bild am Sonntag”:
Die Stasi bespitzelte sogar den Papst. Das geht aus Unterlagen der Gauck-Behörde hervor, die erst jetzt entschlüsselt werden konnten. Danach lieferten zwei Spione mit den Decknamen “Lichtblick” und “Antonius” 760 Informationen aus dem Vatikan an Markus Wolfs Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) in Ostberlin (…). “Antonius” wurde in den 60er Jahren angeworben und soll für die Katholische Nachrichtenagentur gearbeitet haben.
Wer sich hinter “Antonius” und “Lichtblick” verbarg, ist ebenfalls schon lange kein Geheimnis mehr. Nachzulesen war es z.B. in der Ausgabe 1/2000 der kritischen Kirchenzeitschrift “Imprimatur”. Bernd Schäfer vom Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung an der TU Dresden nannte darin nicht nur den Namen des IM “Antonius”, sondern auch, was aus ihm wurde:
Nach seinem Ausscheiden aus der [Katholischen Nachrichtenagentur] KNA wurde er, trotz kirchlicher Kenntnis über seine MfS-Verbindungen, Leiter der Koblenzer Pressestelle des Bistums Trier und inzwischen sogar Ordinariatsrat.
Diese Karriere kann man — wie Schäfer — scharf kritisieren. Aber was die “Bild am Sonntag” aufschreibt und was laut “Bild am Sonntag” “jetzt entschlüsselt” wurde, ist lange bekannt. Die “BamS” erzählt es einfach alles noch einmal nach und tut so, als sei es neu. Kein Wunder, dass der Trierer Bistumssprecher gegenüber der Zeitung “Trierischer Volksfreund” den Bericht als “Alten Hut” bezeichnet:
“Das ist doch alles lange bekannt, eine uralte Geschichte. (…) Wir wissen, was damals gelaufen ist. Die Einstellung des Mannes lief unter dem Stichwort Versöhnung. Das steht uns Christen gut an.”
Danke an Tim R. für den sachdienlichen Hinweis.
Ups, verfragt
Hallo zusammen, schön, dass Sie Zeit gefunden haben, an unserem kleinen Kurs “Journalismus für Anfänger” teilzunehmen. Beginnen wir gleich mit der ersten Lektion: “Wie stelle ich die richtigen Fragen?” Nehmen wir einmal an, eine Sängerin sei nach Manipulationsvorwürfen aus den deutschen Musik-Charts ausgeschlossen worden. Weil sie sich in diesen Charts gut platziert hatte, durfte sie über eine “Wildcard” am Vorentscheid zum Schlager-Grand-Prix teilnehmen. Dort wurde sie von den Fernsehzuschauern zur Siegerin gewählt und darf nun nach Kiew zum Finale reisen. Was wäre dann die Frage, die wir stellen müssten? Irgendwelche Vorschläge? Ja, da hinten, die Herren Schommers und Wos von “Bild”?
Richtig. Gut gemacht. Nun müssen wir uns nur noch entscheiden, wem wir diese Frage stellen sollten. Wir haben da mal ein paar Antwortmöglichkeiten vorgegeben:
a) Dem Bürgermeister von Kiew.
b) Dem “Hitparaden”-Gründer Dieter Thomas Heck.
c) Irgendeiner Frau, die ihre Brüste zeigt.
d) Dem deutschen Grand-Prix-Chef.
Darf Gracia jetzt noch beim Grand Prix auftreten?
Hitparaden-Gründer Dieter-Thomas Heck (67) zu BILD: „Nein. Wenn gemogelt worden ist, dann ist Gracia raus. Dann darf sie nicht nach Kiew.“
Ah, schade, falsch. Nein, Herr Schommers, c) ist auch nicht richtig. Die richtige Antwort wäre d) gewesen, und schauen Sie mal, Herr Schommers, Herr Wos, die Nachrichtenagentur AP wusste das und hat für Sie schon beim deutschen Grand-Prix-Chef nachgefragt und um 16.41 Uhr seine Antwort gemeldet:
“Gracia bleibt die Vertreterin Deutschlands beim Eurovision Song Contest am 21. Mai in Kiew”, erklärte NDR-Unterhaltungschef Jürgen Meier-Beer in Hamburg.
Was sagen Sie, Herr Schommers? Wenn das so ist, hätten Sie ja auch gar nicht schreiben können, dass das “der größte Skandal der deutschen Grand-Prix-Geschichte” sei? Eben, Herr Schommers. Eben.
Abstieg in die Niveaulosigkeit
Jürgen Richter war von 1994 bis 1998 Vorstandsvorsitzender des Axel Springer Verlages, in dem “Bild” erscheint. Privat hat er ein Faible für Ferrari. Soviel vorweg.
Am vergangenen Mittwoch gab er der “Süddeutschen Zeitung” ein Interview, in dem er Springer und nicht zuletzt die “Bild”-Zeitung kritisierte.
“Ich habe Bild 30 Jahre lang gelesen, um mich aktuell zu informieren. Mir hat die Mischung damals immer gefallen. Heute verzichte ich auf die Zeitung. Der Akzent hat sich zu sehr in Richtung Gesellschaft, Skandale und Kampagnen verschoben – ein solider, neutraler Überblick über Wirtschaft und Politik fehlt. Es ist bedenklich, dass da jetzt sogar pornographische Texte erscheinen – von da ist weiterer Abstieg in die Niveaulosigkeit sehr leicht.”
Einen Tag später stand neben dem täglichen Busenmädchen auf Seite 1 der “Bild”-Zeitung folgender Text:
Alexandra ist sauer auf Ferrari-Jürgen
Mann, war das eine Enttäuschung! Alexandra hat in der Disco den feschen Jürgen kennengelernt. Der machte flotte Sprüche, große Versprechungen und fuhr bei Alexandra im knallroten Ferrari vor. Nach der Spritztour dann der Schock: Der flotte Jürgen — nix als heiße Luft! Und abgehauen ist er auch noch. Aber immerhin weiß Alexandra jetzt: “Je größer der Flitzer, desto kleiner der Schaltknüppel!”
Sage niemand, dass die “Bild”-Zeitung auf den Vorwurf, sie sei niveaulos und pornographisch, nicht angemessen reagiere.
(Nach einem Bericht des “Spiegel”.)
Nachtrag, 15. April: Mehr über “Alexandra” steht hier.
Gehen und gegangen werden
Nachdem Kurt Jara, der Trainer des 1. FC Kaiserslautern, angekündigt hatte, den Verein am Ende der Saison zu verlassen, legte ihm der Verein nahe, sofort zu gehen, und man trennte sich “einvernehmlich”.
Testfrage: Hat Kurt Jara gekündigt? Oder ist er gekündigt worden?
Die Redakteure von Bild.de meinten, sich entscheiden zu müssen:
Und entschieden sich später einfach noch mal um:
Danke an Julian M. für den Hinweis!
Kritik ist Blasphemie
Die “Bild”-Zeitung hat viel mit der katholischen Kirche gemein. Beide haben einige Leichen im Keller. Bei beiden schrumpft hierzulande die Zahl der Anhänger. Beide teilen die Welt in Gut und Böse. Beide lieben das Okkulte und stehen der Aufklärung skeptisch gegenüber. Und beide pflegen eine Kultur des Gehorsams, nicht der Diskussion.
Am Montag hatte “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann in einem Kommentar auf Seite 1 über Johannes Paul II. geschrieben:
Ein Papst dieser Art darf, ja muß umstritten sein.
Er meinte damit natürlich nicht, dass über den Papst und seine Entscheidungen gestritten werden darf. Entscheidungen des Papstes sind nicht dazu da, Diskussionen anzuregen, sondern befolgt zu werden. Das weiß auch die “Bild”-Zeitung.
Anfang dieses Jahres hatte der Vatikan noch einmal unmissverständlich deutlich gemacht, dass die katholische Kirche Kondome als Mittel ablehnt, die Aids-Epidemie einzudämmen, an der im vergangenen Jahr weltweit über 3 Millionen Menschen starben:
“Wir akzeptieren den Gebrauch von Präservativen nicht, nicht einmal zur Lösung des Aidsproblems.”
Wer eine andere Meinung hat, ist ein Ketzer und wird von “Bild” mit unnachgiebiger Härte verfolgt. Am 22. Februar 2005 wagte es der Entertainer Jürgen von der Lippe, in einem Interview mit der Münchner “Abendzeitung” Folgendes zu sagen:
(…) was der Papst von sich gibt, streift meiner Ansicht nach den Rand der Schwerkriminalität. Ich finde es einfach schlimm, wenn man zum Beispiel Kondome sogar zur Aids-Prävention oder gar HIV-Kranken verbietet.
Am Tag darauf machte “Bild” ihn deshalb zum “Verlierer des Tages”.
Was ist denn in den gefahren? Jürgen von der Lippe (56), heute als katholischer Priester im TV („Der Heiland auf dem Eiland“), beleidigt den Heiligen Vater, der sich gegen Verhütung ausspricht. (…)
BILD meint: Wohl von Sinnen, von der Lippe!
Von der Lippes Begründung für seine Aussage nannte “Bild” nicht.
Am vergangenen Sonntag wagten es mehrere Menschen in der Talkshow “Sabine Christiansen”, Kritik an der konservativen Linie des verstorbenen Papstes zu üben. “Bild”-Kolumnist Franz-Josef Wagner nennt diese Sendung heute deshalb eine “Schande-Talkshow” und die Papst-Kritiker “böse, rechthaberische Männer”.
Da hackten die Leichenfledderer Heiner Geißler und Hans Küng, linker Theologe, dem der Papst die Lehrerlaubnis entzogen hat, auf den Toten ein.
Zölibat, Kondome, Aids. Frau Christiansen, die Karriere-Frau ohne Kinder, stellte die Frage nach der Rolle der Frau. (…)
Ihre Talkshow, Frau Christiansen, war das Dümmste, was ich jemals sah. Sie verkürzen die Frage des Glaubens nach Karriere und Spaß im Bett. Gott verzeiht, ich nicht.
Eine andere Frage ist es, warum die ARD Ihnen erlaubt hat, auf den Papst zu spucken. Wann waren Sie das letzte Mal in der Kirche, Frau Christiansen?
Natürlich ist der Papst nicht die einzige Autorität, an der sich Kritik grundsätzlich verbietet. Da ist auch noch “Bild”-Kolumnist Franz Beckenbauer, den das Blatt im Jahr 2000, nachdem er die WM nach Deutschlang holte, fast ganzseitig als Denkmal zeigte, mit der Inschrift:
“Dem deutschen Fußballkaiser Franz Beckenbauer zu Dank und ewiger Erinnerung.”
Am vergangenen Wochenende wagte es der Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit, sich gegen Franz Beckenbauer als Uefa-Präsidenten äußern. Entsprechend diskussionslos ist Cohn-Bendit heute “Verlierer des Tages” in “Bild”.
(Alle Hervorhebungen von uns.)
Nachtrag, 20.45 Uhr. … und der evangelische Bischof Wolfgang Huber ist für “Bild” “Gewinner des Tages”, weil er bei “Christiansen” die “plumpe Papst-Kritik” der anderen Talkshow-Teilnehmer angriff.
Danke an Stefan E. für den Hinweis.
Frage und Antwort
Am 12. März fragte die “Bild”-Zeitung:
Hätte sie einfach noch ein bisschen gewartet, hätte sie die Antwort selber geben können:
Ist hier irgendwo Geist?
“Bild” schreibt groß über die Entdeckung von Licht ferner Planeten und macht daraus einen gewaltigen Aufmacher. Vielleicht hätten sie jemanden fragen sollen, der sich damit auskennt.
Es ist einer dieser “Bild”-Artikel, bei denen man gar nicht weiß, ob man wirklich versuchen soll, all die Fehler im einzelnen aufzudröseln, oder es beim pauschalen: “Alles Humbug!” belassen soll. Versuchen wir’s.
Es fängt an mit dem Bild. Nein, so hat man ihn nicht gesehen, den fernen Planeten, dessen Licht gerade erstmals gemessen werden konnte. So sieht er auch nicht aus. Das Bild ist eine künstlerische Darstellung der Nasa, wie ein Stern und ein ihn eng umkreisender Planet von der Nähe aussehen könnten, und zwar nicht im normalen Licht, sondern in Infrarotlicht. Es ist ein Modell, ein Symbolbild, wie aus der Veröffentlichung der Nasa deutlich hervorgeht. Nur “Bild” hat das ignoriert überlesen.
Und was schreibt “Bild” treuherzig unter die Abbildung?
Feuerrot umkreist der neue Planet seine Riesensonne.
Nein, tut er nicht. Graubeige sähe er vermutlich aus (wenn man ihn sehen könnte). Und was an dem Planeten “neu” ist, weiß “Bild” allein. Von seiner Existenz wussten die Forscher jedenfalls vorher schon.
Der Autor des “Bild”-Textes hat nicht im Ansatz verstanden, was das Besondere an der Entdeckung der Astronomen ist: Erstmals wurde die Wärmestrahlung, das Infrarotlicht von Planeten außerhalb unseres Sonnensystems gemessen. Der Durchbruch besteht nicht darin, dass man Himmelskörper entdeckt hat, die besonders weit von uns entfernt sind, sondern dass es sich um Planeten handelt, nicht um Sterne. Und was schreibt “Bild”?
Menschheit gelingt erster Blick in die Unendlichkeit
Humbug. Die beiden beobachteten Planeten sind rund 150 bzw. 500 Lichtjahre von uns entfernt. Wenn das die Unendlichkeit ist, hat fast jeder von uns schon diverse “Blicke in die Unendlichkeit” getan, und das mit bloßem Auge: Der helle Polarstern zum Beispiel ist 430 Lichtjahre von uns entfernt.
Weiter bei “Bild”:
Astronomen haben erstmals mit dem supermodernen “Spitzer Weltraumteleskop” (es ist mit Infrarotkameras ausgerüstet) das Licht fremder Welten außerhalb unseres Sonnensystems eingefangen.
Was für ein Quatsch. Das “Licht fremder Welten außerhalb unseres Sonnensystems” kennt jedes Kind. Es nennt es Sternenhimmel.
Am besten an dem “Artikel” ist allerdings die Frage:
Genau: Auf irgendeinem Planeten ein paar Hundert Lichtjahre von uns entfernt sitzt Gott. Vielleicht sollte die “Bild”-Chefredaktion da beim nächsten Besuch beim Papst doch noch einmal genauer nachfragen.
(Fundiertere Berichte zum Thema stehen z.B. hier, hier, hier und hier.)