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Schock-Beichten-Schock: Alles schon gebeichtet!

Das hat sich Buchautor Brandon Hurst sicher nicht träumen lassen, als er alte Zeitungs- und Zeitschriftenarchive nach brauchbaren Zitaten von Angelina Jolie durchsuchte, um eine weitere Biographie über die Schauspielerin damit zu bestücken: Dass die deutsche “Bild”-Zeitung aus diesem recycleten Material einmal eine Titelgeschichte machen und es als “Schock-Beichte” bezeichnen würde und vermeintlich seriöse deutsche Medien den Unsinn auch noch ungeprüft übernehmen würden.

Der “Bild”-Artikel beginnt so:

“Ganz ehrlich, ich mag ganz verschiedene Typen: jungenhafte Mädchen, mädchenhafte Jungs. Ich fühle mich feminin und maskulin. Ich besitze selbst das ruhelose Gemüt eines Mannes.”

(Angelina Jolie in dem Enthüllungsbuch “Angelina Jolie”.)

Mehr müsste man gar nicht lesen, um zu wissen, dass entweder das Buch oder “Bild” oder beide hochstapeln. Denn das Zitat findet sich nicht erst in diesem “Enthüllungsbuch”. Es kursiert seit vielen, vielen Jahren im Internet.

Auch dass sie eine langjährige Affäre mit Jenny Shimizu hatte, ist schon lange bekannt. “Bild” behauptet:

Angelina, die lange geschwiegen hatte, bestätigt nun: “Ich wollte sie nur noch küssen und berühren. Ich bemerkte, dass ich sie so ansah, wie ich Männer ansah. Das war toll. Es war nichts, nach dem ich gesucht hatte. Es passierte einfach, dass ich mich in ein Mädchen verliebte.”

Das Zitat scheint allerdings aus einem CBS-Interview von 2001 zu stammen. Darin wird sie allerdings allgemein auf ihre Bisexualität angesprochen:

Yeah, I was open about it because I learned and I wasn’t looking to be promiscuous or looking to be bisexual. I just suddenly looked at a woman and felt these things that I felt when I looked at a man and I understood and I had a beautiful time loving another person who happened to be a woman.

Zur “Schock-Beichte” gehört laut “Bild” auch diese Enthüllung in Bezug auf ihren Ex-Ehemann Billy Bob:

Über ihre Gedanken damals berichtet sie: “Wenn es einen sicheren Weg geben würde, sein Blut zu trinken, würde ich es gern tun.”

Im Original lautet das Zitat: “If there was a safe way to drink his blood, I’d love to.” Angelina Jolie sagte es gegenüber der Zeitschrift “Rolling Stone”, die es vor fast sechs Jahren, im Juli 2001 veröffentlichte.

Auch darüber, dass sie mit vierzehn einen Freund hatte, den sie überredete, ihr mit Messern Schmerzen zuzufügen, berichtete sie damals schon. Und anscheinend 2000 schon in der Zeitschrift “Maxim” und 1999 in der Zeitschrift “Access Hollywood”. Und ähnlich 2003 bei ABC.

Aus einem Buch, das all die alten Zitate wiederverwertet, macht “Bild” eine “Schock-Beichte” auf Seite 1. Und “Spiegel Online”* fällt voll drauf rein. Und die Online-Ableger von “Süddeutscher Zeitung”* und “Rheinischer Post”* haben beim Abschreiben nicht einmal gemerkt, dass der von “Bild” erweckte Eindruck, es handele sich um eine Autobiographie, falsch war.
 
*) Nachtrag, 26.3.2007: Süddeutsche.de hat den Artikel nachträglich ergänzt. Eingangs heißt es dort nun: “Bei diesem Buch handelt es sich um eine unautorisierte Biographie.” Und am Ende: Aber wie gesagt: Das Buch “Angelina Jolie” zitiert Angelina Jolie rauf und runter, aber Angelina Jolie selber hat dieses Buch nie autorisiert.” Bei rp-online.de ist inzwischen “ein Fehler aufgetreten” und der Artikel “leider nicht verfügbar”. “Spiegel Online” indes bleibt offenbar bei seiner Darstellung.

Nachtrag, 27.3.2007 (nur der Vollständigkeit halber): Süddeutsche.de hat den Artikel inzwischen vollständig, also auch inklusive der zahlreichen kritischen Leserkommentare, aus dem Angebot entfernt. Und “Spiegel Online” hat den ursprünglichen Satz “In wenigen Tagen kommt die Biographie der schönen Schauspielerin in Deutschland auf den Markt” nachträglich um den Hinweis “die allerdings nicht autorisiert ist” ergänzt.

Kurz korrigiert (322-323)

Die Kompetenz der “Bild”-Zeitung in Sachen Harry Potter ist eher nur so mittel. Insofern würden wir der Behauptung der “Bild am Sonntag”, Harry Potter werde entgegen früherer “Bild”-Behauptungen im siebten Band der Reihe nicht sterben, keine größere Bedeutung schenken.

Insbesondere, da “Bild” in dem Artikel sowohl das Erscheinungsdatum des Buches falsch angibt (der Verkauf der englischen Ausgabe beginnt nicht am 7. Juli, sondern am 21. Juli) als auch den Titel: Es heißt nicht “Harry Potter and the Deathly Hollows” (etwa: …und die tödlichen Hohlräume), sondern “Harry Potter and the Deathly Hallows” (etwa: …und die tödlichen Weihen).

Danke an Verena D. und Volker für die sachdienlichen Hinweise!

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Falscher Riesen-Wirbel um Riesen-Wirbel

Die Regel, dass man Fragen in “Bild”-Schlagzeilen bis zum Beweis des Gegenteils getrost mit “Nein” beantworten kann, gilt auch bei diesem großen Artikel vom Freitag:

Extrem-Wetter-Kongress in Hamburg. Zerstören Hurrikane unser schönes Mallorca?

“Bild”-Autor Christian Schmidt malt sich die Sache lustvoll aus:

Schwarze Wolken jagen über den Himmel, schwere Regentropfen fluten auf die Strandpromenade von El Arenal, Sturmböen zerfetzen die Werbeschilder der Kioskbesitzer. Ein Hurrikan trifft Mallorca.

Ein Horror-Szenario für Millionen Sommerurlauber, das schon bald Wirklichkeit werden könnte! (…)

HURRIKAN-ALARM auf MALLORCA!

Nun denkt sich “Bild” ja solche Geschichte nicht aus. Also, jedenfalls nicht ganz. Im konkreten Fall beruft sich die Zeitung auf den Meteorologen und Hurrikan-Experten Thomas Sävert von der Firma Meteomedia, der beim Hamburger Extremwetterkongress die “alarmierendste Studie” vorgestellt habe:

Pro Jahr ziehen bis zu drei Hurrikane über die Mittelmeer-Region. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis einer Mallorca trifft.

Sävert ist die einzige Quelle für das Mallorca-Katastrophenszenario von “Bild”. Ausführlich referiert das Blatt seine angeblichen Erkenntnisse, zum Beispiel die Prognose, dass in Folge der Klimaveränderung im Mittelmeer stärkere Hurrikane entstehen könnten.

Erstaunlich nur: In anderen Berichten von der Konferenz ist von dieser akuten Bedrohung für “unser” Mallorca keine Rede. Oder, vielleicht doch nicht erstaunlich. Gegenüber BILDblog erklärt Thomas Sävert:

“Ich bezog eindeutig Stellung, dass es zwar hurrikanähnliche Stürme im Mittelmeeraum gibt, die aber keinesfalls die Stärke der tropischen Hurrikane erreicht und daher auch nicht als solche bezeichnet werden sollten. Die Insel Mallorca habe ich mit keinem Wort erwähnt, und ich habe auch nicht davon gesprochen, dass diese ‘Hurrikane’ stärker werden sollen. Alle Zitate sind gefälscht. Ich bin eigentlich als seriöser Wissenschaftler bekannt, der solche Aussagen, wie sie in der ‘Bild’-Zeitung getroffen wurden, nie machen würde.”

Sävert hält den Artikel für rufschädigend und prüft rechtliche Schritte.

Das gefährlich aussehende Wirbelwinddings auf der großen Fotomontage, mit der “Bild” die vermeintliche Hurrikan-Gefahr illustriert, ist übrigens nicht einmal ein Hurrikan. Sondern ein Tornado.

Rätsel der Wissenschaft

Von der wissenschaftlichen Forschung immer noch unbeantwortet ist die Frage, ob es theoretisch denkbar ist, eine Nachricht so kurz und schlicht zu formulieren, dass es nicht einmal dem Überschriftenpraktikanten von Bild.de gelingt, sie falsch zu verstehen.

Testspiel: Schweizer besiegen die USA. Fußball-EM-Gastgeber Schweiz gewinnt das Testspiel in den USA gegen Jamaika mit 2:0.

Danke an Florian K. und Thomas R.!

Nachtrag, 22.30 Uhr. Der Überschriftenpraktikant hat sich die Meldung dann nachträglich doch noch einmal ganz genau durchgelesen.

Neues von Gärtnern und Böcken

Die Axel-Springer-AG hat gestern einige weitere Wechsel in der “Bild”-Redaktion bekanntgegeben. Interessant ist die Person des neuen Redaktionsleiters von “Bild”-Hamburg: Gerald Selch führte zuletzt für das Magazin der “Süddeutschen Zeitung” ein Interview mit Michael Ballack, in dem der unter anderem erklärte, warum er nicht mit “Bild” spricht.

Vor fast genau einem Jahr musste Selch als stellvertretender Chefredakteur bei der Münchner Boulevardzeitung “tz” gehen, nachdem die behauptet hatte, Bastian Schweinsteiger, Paul Agostino und Quido Lanzaat seien in einen Wettskandal verwickelt. Die “tz” widerrief dies später und entschuldigte sich bei den Spielern, von Selch trennte man sich “im gegenseitigen Einvernehmen”.

Wahrnehmungsstörung (vermutl. chronisch)

Heute lernen wir wieder etwas darüber, wie “Bild” (oder im konkreten Fall: Bild.de) die Welt sieht. Wenn Sie sich bitte zunächst diesen Ausschnitt aus einem Bild.de-Artikel von heute über einen dramatischen Vorfall nach dem FA-Cup-Spiel Tottenham gegen Chelsea durchlesen würden:

Jetzt stellen Sie sich die beschriebene Szene bitte bildlich vor.

Fertig?

Gut, dann vergleichen Sie den Film, den Bild.de Ihnen soeben vor Ihrem geistigen Auge entstehen ließ, jetzt bitte mit diesem Film, den Fernsehkameras von dem Geschehen aufgenommen haben:


Vielen Dank an Sascha W.!

Deutschlands dümmste Anonymisierer

Den Mann, der im vergangenen Jahr in einer Drogerie mit Lotto-Annahmestelle die Herausgabe des Jackpots forderte, nennt “Bild” “Deutschlands dümmsten Lotto-Räuber”.

Die Besitzerin des überfallenen Ladens nennt “Bild” “Roswitha R.”.

Tja. Wie mag sie wohl mit Nachnamen heißen?

Danke an Manfred H. für den sachdienlichen Hinweis!

Kurz korrigiert (321)

Franz Josef Wagner schreibt heute an das “liebe Eisbär-Baby Knut”:

Man hat Dir Antibiotika gespritzt, weil es in der Antarktis keine Viren und Bakterien gibt.

Wenn das Geld bei “Bild” nicht für eine richtige Schlussredaktion reicht — vielleicht würde es schon helfen, die Artikel wenigstens Kindern zur Kontrolle vorzulegen.

Nachtrag, 21.25 Uhr:
Erschwerend kommt hinzu, dass Antibiotika bekanntlich gegen Viren überhaupt nicht helfen. Und genau genommen gibt es sowohl in der Antarktis als auch der Arktis sehr wohl Bakterien. Aber das ist nun auch schon fast egal.

Danke an Christian N., Benjamin G., Neil G. und all die anderen Hinweisgeber!

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