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Das Santenmännchen ist da!

Oliver Santen war früher Pressesprecher bei der Allianz-Versicherung und der Axel-Springer-AG. Und man kann sagen, dass ihn diese Jahre ganz gut vorbereitet haben auf seine jetzige Position als Ressortleiter Wirtschaft bei “Bild”. Das heutige Arrangement aus glückstrahlendem Lufthansa-Chef, Bambusgehölz, Wasser und Werbespruch auf der Seite 2 der Zeitung (siehe Ausriss) hätte kein Lufthansa-Werbechef schöner komponieren können. Und tatsächlich ist das große Foto ein Werbebild aus dem Lufthansa-Magazin, und der Satz aus der Überschrift stammt nicht von Wolfgang Mayrhuber, sondern von Oliver Santen — der Lufthansa-Mann musste im Interview nur “Ja, so ist das!” dazu sagen.

Bei Santen geben sich die Wirtschaftsführer gerade die Klinke in die Hand, und hinter der Tür erwartet sie eine in mildes Licht getauchte PR-Plattform, in der sich kein Widerspruch, keine Recherche, keine unangenehme Nachfrage zwischen ihre Botschaft und die “Bild”-Leser stellt. Allein in diesem Herbst spielte Santen u.a. Mikrofonhalter für:

Das heutige Kuschelgespräch mit Lufthansa-Chef Mayrhuber passt ganz gut zur gleichzeitig von “Bild” gemeinsam mit Greenpeace, dem BUND, dem WWF und anderen veranstalteten Aktion “Rettet unsere Erde”, die dazu auffordert, am 8. Dezember für fünf Minuten “für unser Klima” das Licht auszuschalten. Wer es gelesen hat, wird im Sinne des Umweltschutzes den Satz “Öfter mal das Auto stehen lassen…” mühelos vervollständigen mit “…und lieber das Flugzeug benutzen”.

Auf die Stichworte des “Bild”-Redakteurs referiert Mayrhuber unter anderem, dass “unsere Erde es gar nicht merken würde”, wenn man morgen den Flugverkehr in Europa vollständig striche; dass die Lufthansa-Flotte pro Passagier nur 4,4 Liter Benzin auf 100 Kilometer verbrauche, und dass ab 350 Kilometern Entfernung das Flugzeug umweltfreundlicher sei als Auto oder Bahn.

Und Oliver Santen hat entweder nichts auf seinem Zettel stehen, was dem entgegen steht. Oder sieht keine Veranlassung dazu, am grünen Lack, den seine Zeitung dem Lufthansa-Mann auftragen hilft, gleich wieder zu kratzen.

Das hat stattdessen “Spiegel Online” getan, mit Methoden, die man bösartig als “journalistisch” bezeichnen könnte. Offenbar spricht nicht ganz so viel für das Fliegen, wie der Lufthansa-Chef behauptet, wenn man berücksichtigt, dass Flugzeuge nicht nur CO2 ausstoßen, sondern auch Stickoxide und Wasserdampf, die das Klima wesentlich und negativ beeinflussen. Um die Klimabelastung realistisch zu bewerten, müsse der reine CO2-Ausstoß verdoppelt bis verfünffacht werden. Auch bei Distanzen von weit über 350 Kilometern habe damit nach verschiedenen Berechnungen das Flugzeug eine schlechtere Umwelt-Bilanz als das Auto oder die Bahn.

“Spiegel Online” hatte auch die originelle Idee, bei der Lufthansa einfach mal nachzufragen, wie ihr Chef auf die Schwelle von 350 Kilometern kommt. Die Antwort: Er hat sie von seinen Leuten schätzen lassen. Genaue Zahlen gebe es aber nicht.

Sehen Sie? Recherche bringt nichts. Das verwirrt die Leute nur. Wieviel klarer ist da ein Merksatz wie: “Wer die Umwelt liebt, der fliegt!” Der, wie gesagt, nicht vom Lufthansa-Chef stammt. Sondern vom “Bild”-Mann mit Pressesprecher-Erfahrung.

Das sieht ihm nicht ähnlich

Pascale Hugues, die Deutschland-Korrespondentin des französischen Magazins “Le Point”, hat im “Tagesspiegel” unter dem Titel “Rache der Spießer” eine Abrechnung mit Präsident Nicolas Sarkozy und “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann wegen deren Attacken auf die 68er geschrieben. Sie nennt die beiden “Junggreise” und beschreibt, wie Diekmann auf einem Foto auf sie wirkt, das ihn im vergangenen Sommer im G8-Gipfel-Strandkorb vom Heiligendamm zeigt: “Er ist erst 40 und wirkt schon wie mein Großonkel Louis mit 60 Jahren, als er den Banketten des Lions Club präsidierte.”

Sie fügt hinzu:

Nicolas Sarkozy gehört ebenso wie Kai Diekmann jener seltsamen Gattung von Menschen an, die anscheinend nie jung gewesen sind. Unmöglich, sich die beiden mit struppigem Haar vorzustellen, mit einem Dreitagebart, erhobener Faust und einem Kopf voll wirrer Ideen.

Kai Diekmann reagierte ausnahmsweise mit Humor und schickte dem “Tagesspiegel” “Eine Art Gegendarstellung”, die die Zeitung am Sonntag auf ihrer Leserbriefseite veröffentlichte:

“Unmöglich, sich die beiden mit struppigem Haar vorzustellen, mit einem Dreitagebart … und einem Kopf voll wirrer Ideen”.
Hierzu stelle ich fest: sehr wohl möglich! (s. Foto).

Schattenseiten der Liebe zwischen Frau und Frau

“Bild”, 22. März 1986:

Peep-Show! Lesbisch! Schüsse! Tot!
“Es ist ein Blick in eine andere Welt. In Hamburg-Altona erschoss Jutta K., 36, ihre lesbische Geliebte und Zuhälterin Marianne (‘Mandy’) A., 31. …”

“Bild”, 20. Oktober 1993:

Sex, Gier, Eifersucht. Lesbe fuhr 4 Frauen um
“Lesbische Frauen, lesbische Eifersucht. Die Schattenseite der Liebe zwischen Frau und Frau. …”

Bild.de, 19. November 2007:

Männer traurig: Schade um diese tolle Frau!

“Bild”-Zeitungs-Aursisse aus: Thomas Oliver Domzalski, “Vom Dackel der Schwiegermutter entmannt”, Eichborn-Verlag 2002 (Verpixelungen von uns). Gegen das Buch hat der Verlag Axel Springer eine einstweilige Verfügung erwirkt. Es ist aber noch in Antiquariaten erhältlich.

Mit Dank an Philipp H.!

Betr.: Anne Will und Miriam Meckel

Sehr geehrter Herr Diekmann,

wenn Sie darauf angesprochen werden, dass die von Ihnen verantwortete “Bild”-Zeitung die Privatsphäre von Prominenten nicht respektiert, antworten Sie, dass die Prominenten dafür selbst verantwortlich seien. Gegenüber der Schweizer Zeitung “Persönlich” (pdf) formulierten Sie es so:

Grundsätzlich ist das Privatleben tabu. Das gilt aber nicht für diejenigen, die mit ihrem Privatleben das Licht der Öffentlichkeit suchen.

Der “FAZ” sagten Sie:

Wer sein Privatleben privat lebt, bleibt privat. (…) Wer nicht selbst das Spiel eröffnet, muß auch nicht mitspielen.

Immer wieder greifen Sie auf eine Fahrstuhl-Metapher zurück:

Wer die Presse einlädt, wenn es im Fahrstuhl des Lebens nach oben geht, darf sie nicht aussperren, wenn er wieder nach unten fährt.

Gestern und heute haben “Bild” und “Bild am Sonntag” in größter Aufmachung darüber berichtet, dass die ARD-Moderatorin Anne Will am Rande einer Veranstaltung bestätigt habe, mit der Medienwissenschaftlerin Miriam Meckel zusammen zu sein. “Ja, wir sind ein Paar”, habe Will gesagt und hinzugefügt: “Wir möchten unser Privatleben privat halten.”

Diesen Wunsch mochten Sie ihr offensichtlich nicht erfüllen. Denn Ihre Zeitung belässt es nicht dabei, über das Coming-Out der Moderatorin zu berichten, ihre Partnerin vorzustellen und über Kleidung, Schmuck, Sitzordnung, Menufolge und Stimmung bei der öffentlichen Veranstaltung zu berichten, zu der Will und Meckel gemeinsam gekommen waren. Sie informiert ihre Leser zugleich unter anderem auch über einen gemeinsamen Urlaub der beiden und nennt Details ihrer Freizeitgestaltung.

Offenkundig ist das Privatleben von Anne Will für die “Bild”-Zeitung also nicht mehr Tabu. Angenommen, Ihre öffentlichen Erklärungen über den sonst geltenden Respekt Ihrer Zeitung vor der Privatsphäre anderer Menschen seien nicht nur Lügen oder bestenfalls Selbstbetrug: Bedeutet die Tatsache, dass Frau Will und Frau Meckel auf Nachfrage einmal bestätigen, ein Paar zu sein, dass beide nun “das Spiel eröffnet” haben und in den “Bild”-Fahrstuhl eingestiegen sind? Glauben Sie, dass beide dadurch etwas Intimes enthüllt haben? Haben beide dadurch das sonst angeblich von Ihnen garantierte Recht verwirkt, ihr Privatleben privat zu halten? Müssen sie deswegen damit rechnen, dass “Bild”-Reporter sich auf die Suche nach früheren Partnern machen; dass “Bild”-Fotografen dokumentieren, wenn beide gemeinsam (oder gerade nicht gemeinsam) in den Urlaub fahren oder in einem Café sitzen; dass “Bild”-Artikel die Öffentlichkeit über Höhen und Tiefen in dieser Beziehung auf dem Laufenden halten?

Müssen Prominente, wenn sie nicht in Ihrer Zeitung lesen wollen, wo sie mit wem welchen Freizeitsport treiben, beispielsweise vollständig darauf verzichten, sich von ihren Partnern zu gesellschaftlichen Anlässen begleiten zu lassen? Oder dürfen sie sich von ihren Partnern begleiten lassen — aber nicht darüber reden?

Herr Diekmann, was kann ein Paar tun, um Ihnen keinen Vorwand dafür zu liefern, sein Privatleben als Verfügungsmasse Ihrer Zeitung zu betrachten?

Über Antworten würden wir uns freuen!

Mit freundlichen Grüßen
Ihre BILDblogger
 
 
Nachtrag, 28.11.2007: Von einem “Bild”-Sprecher erhielten wir folgende Antwort:

Sie schickten am 19.11. einen Brief an die Bild-Chefredaktion zum Thema Anne Will. Von unserer Seite gibt es dazu nur soviel zu sagen: Wir haben geschrieben, was an diesem Abend unserer BILD am SONNTAG-Reporterin gesagt wurde.

Nur echt mit dem gelben Streifen

Möglich ist natürlich, dass sich über Musikvideos, die Bild.de auf der Startseite zeigt, automatisch diese gelbe “Exklusiv”-Schleife oben links legt. Und dass die Rubrik “Videopremiere” fest voreingestellt ist. Und dass das Redaktionssystem verhindert, dass ein Musikvideo veröffentlicht wird, solange in der Überschrift nicht mindestens zwei der drei Begriffe “brandneu”, “schon jetzt” oder “enthüllt” auftauchen.

Das wäre immerhin eine Erklärung, warum Bild.de gestern und heute auf der Startseite entsprechend die Tatsache bewarb, dass dort das Video von Kate & Ben “Ich lieb’ Dich immer noch so sehr” gezeigt wird, das zweieinhalb Wochen vorher, am Abend des 2. November, in der Sendung “Neu” auf Viva Premiere hatte, und bereits seit dem 3. November zum Beispiel auf MyVideo zu sehen ist.

Noch hat Bohlen nicht verloren

Manche Leute können einfach nicht verlieren.

Dieter Bohlen zum Beispiel. Als die Quoten von “Deutschland sucht den Superstar” im November 2005 richtig gut waren, war der Gewinner des Tages für “Bild”: Juror Dieter Bohlen. Als die Quoten von “Deutschland sucht den Superstar” im Dezember 2003 richtig mies waren, war der Verlierer des Tages für “Bild”: RTL-Chef Gerhard Zeiler.

Als die Firma Müller-Milch im Dezember 2004 einen Werbevertrag mit Bohlen für Buttermilch fristlos kündigte, weil er Buttermilch-Käufer als “50-jährige alternative Bio-Latschen-Trägerinnen” bezeichnet hatte, machte “Bild” deshalb nicht Bohlen zum Verlierer des Tages, sondern den Firmenchef Theo Müller.

Jetzt ist es amtlich: Wenn Dieter Bohlen (53) in der Jury von "Deutschland sucht den Superstar" Sprüche klopft, ist das Kunst! Sechs Stunden sah sich das Sozialgericht Köln Aufzeichnungen der RTL-Show an. Ergebnis: Der Sender muss 173 000 Euro an die Künstlersozialkasse zahlen. Der Richter: "Die Kommentare tragen zum Unterhaltungscharakter der Show bei!" BILD meint: Bohlen-Sprüche geadelt!Und auch heute ist Dieter Bohlen wieder Gewinner des Tages in “Bild”.

Gestern hat nämlich das Kölner Sozialgericht geurteilt, dass es sich bei dem, was die Juroren von “Deutschland sucht den Superstar” in der Show machen, um Kunst handele. Der Sender RTL hatte versucht, Sozialabgaben zu sparen, indem er erklärte, Shona Fraser, Thomas Bug, Heinz Henn und die anderen erbrächten keine eigene künstlerische Leistung. Die Künstlersozialkasse, die freie Künstler absichert, hatte deshalb gegen RTL geklagt und nun Recht bekommen.

Bohlen selbst betrifft das nur indirekt. Aber natürlich hat er es nun, wie “Bild” richtig schreibt, “amtlich”: Seine Sprüche in der Sendung sind Kunst. Und macht ihn das zum Gewinner?

BILD meint: Bohlen-Sprüche geadelt!

Ach ja? Ein nicht ganz unwesentliches Detail aus der Urteilsbegründung hat “Bild” bei seiner Gewinnererklärung weggelassen. Der Richter sagte, für die Einordnung als Kunst sei künstlerische Niveau egal: Schon ein sehr geringer Grad der schöpferischen Eigenleistung reiche aus, um eine Tätigkeit als künstlerisch einzustufen. Auf eine “hohe Qualität” oder das “Niveau des Gebotenen”, so der Richter wörtlich, komme es nicht an.

Allgemein  

Californication

Seit Anfang des Jahres hat die Axel Springer AG eine Tochter, die sich um die neuen Möglichkeiten kümmert, Fernsehen im Internet zu machen. Sie heißt Axel Springer Digital TV (ASDTV), und ihr Geschäftsführer Klaus Ebert sagt auf die Frage “Wohin geht der Trend?”:

Eindeutig hin zur Qualität. Das ist eine immer gleiche und sich stets wiederholende Entwicklung: Erst wird sich und alles ausprobiert, dann reicht es mit der immer gleichen und beliebigen Unübersichtlichkeit und guter Journalismus sowie gute Unterhaltung setzen sich durch. Die Leute wollen eine Zeitlang spielen, dann aber ihre Zeit nicht mehr mit Krimskrams vergeuden.

In welcher Phase der Entwicklung ASDTV ist, sagt Ebert nicht ausdrücklich, aber Mutmaßungen sind möglich, wenn man sich die Filmchen ansieht, die die Firma seit kurzem für Bild.de produziert. Wie den Bericht von einer Werbeveranstaltung von T-Mobile in Köln zur deutschen Markteinführung des iPhones. Darin staunt der begeisterte Reporter:

“Und da sind sie endlich: die ersten iPhones in Deutschland. Und zur Premiere kam sogar Hamid Akhavan, der Chef von T-Mobile International in Kalifornien, denn schließlich wird’s das iPhone zunächst nur bei T-Mobile geben.”

Das muss wahrhaftig ein Weltereignis gewesen sein, wenn sogar der Chef von T-Mobile International diesen Weg auf sich nahm, für den man bei Stau sicher gut und gerne mal eine Stunde braucht — vom Firmensitz von T-Mobile International in Bonn zum Kölner Palais im Rheintriadem. Und womöglich ist er gar nicht aus seinem Büro angereist, sondern hat sich zuhause in Bad Godesberg noch umgezogen, was den Weg locker noch einmal fünf Minuten verlängert hätte.

Danke an DauerKind für den sachdienlichen Hinweis!

Der RWE-Chef im “Bild”-Nichtverhör

Grundsätzlich lassen sich zwei Arten von “Bild”-Interviews unterscheiden. Die eine Art wird tendenziell eher mit Politikern geführt, die Steuern erhöhen oder Verbrecher laufen lassen wollen, und nennt sich “BILD-Verhör”. Die andere Art wird gerne mit Spitzenfunktionären großer Unternehmen geführt und hat keinen eigenen Titel, was vermutlich daran liegt, dass “Das offene Mikrofon”, “Der ungestörte Monolog” oder “Es geht auch ohne Nachfragen” nicht so rubriktauglich sind.

Jedenfalls ist es vermutlich eher kein Zufall, dass am selben Tag, an dem der “Spiegel” davon berichtet, dass die vier Stromriesen “mit einer Charme-Offensive” die drohende Zerschlagung verhindern und “ihre Milliardengewinne sichern” wollen, der Chef eines der vier Stromriesen der “Bild”-Zeitung ein Interview gibt, das man nüchtern “kein Verhör” nennen könnte.

Es beginnt so:

BILD: Immer mehr Politiker fordern eine Zerschlagung der Stromkonzerne und die Trennung von Netz und Kraftwerken. Senkt das die Preise?

[RWE-Chef Jürgen] Großmann: Ein klares Nein! Die Zerschlagung schafft Beschäftigung, aber nur für Rechtsanwälte und Bürokraten. Die Verbraucher gewinnen leider nichts. Glauben Sie ernsthaft, dass die Milch im Supermarkt billiger wird, wenn die Milchtheke von den übrigen Regalen getrennt wird?

Nein, das glaubt natürlich niemand ernsthaft, genauso wenig wie irgendjemand glauben sollte, dass das Bild von der einsam in der Ecke stehenden Milchtheke irgendwie ein treffender Vergleich für die Trennung von Strom-Produzenten und –Netzen ist. Dabei geht es nämlich darum, dass nach Ansicht von Monopolkommission und Politikern aller Parteien die Stromriesen anderen Produzenten, die für mehr Wettbewerb und niedrigere Preise sorgen könnten, das Leben dadurch schwer machen, dass sie sie beim Zugang zu den Netzen diskriminieren (oder sie nur dann mit ihrer Milch in die Monopolkühltheke lassen, wenn sie dafür ordentlich extra zahlen).

Aber im “Bild”-Nichtverhör kann Großmann einfach so vor sich hin assoziieren, ohne dass ein Journalist ihn (oder die Leser) dezent darauf hinwiese, wie irreführend seine Metaphern sind.

Die letzte Frage von “Bild” lautet so:

BILD: Die Monopolkommission hat festgestellt: Es gibt bei Strom und Gas keinen Wettbewerb. Freuen Sie sich als großer Energieversorger darüber?

Und Großmann antwortet:

Ich widerspreche der Kommission: Jeder Haushalt kann bei Strom unter mindestens fünf verschiedenen Anbietern wählen, in Großstädten sind es noch mehr.

Und wäre es nicht schön gewesen, wenn der “Bild”-Mann den RWE-Mann an dieser Stelle unterbrochen hätte, um etwas zu sagen wie:

Ja, Moment, aber an der Zahl der Anbieter lässt sich das doch gar nicht messen. Erstens weil die Stromanbieter so miteinander verflochten sind, wie die Monopolkommission kritisiert hat, und die Energieriesen oft auch an den Stadtwerken beteiligt sind. Und zweitens, weil das Bundeskartellamt nach eigenen Angaben Belege dafür hat, dass die Strommanager konkurrierender Unternehmen die Preise untereinander abgesprochen haben (die EU-Kommission ermittelt ja auch gegen Ihr Unternehmen und hat jede Menge Akten beschlagnahmt).

Ja. Wär schön gewesen. “Bild”-Interviewer Oliver Santen aber sagte:

nichts.

Hamsterrad mit Dieselantrieb

“Diesel” kommt von “Jeden Tag dieselbe Meldung”.
(Unbekanntes Sprichwort)

Man sollte sich die Arbeit eines “Bild”-Redakteurs auch nicht zu aufregend vorstellen. Viele Tage sind mit entsetzlich langweiligen Routineaufgaben gefüllt. Dauernd wird zum Beispiel der Sprit teurer.

Ja, das muss dann jedesmal jemand aufschreiben. Also, “jedesmal” im Sinne von jedesmal. Als kleines Mittel gegen die totale Trostlosigkeit wechselt der diensthabende “Bild”-Benzin-Redakteur wenigstens von Zeit zu Zeit den Referenz-Rekordmonat:

Auch für Normal- und Superbenzin müssen die Autofahrer ganz tief in die Tasche greifen: Pro Liter werden derzeit durchschnittlich 1,39 Euro bzw. 1,40 Euro fällig! Damit liegen die Preise nur noch vier Cent unter den bisherigen Höchstkursen vom Oktober 2005.
“Bild”, 7. November 2007.

Superbenzin kostet 1,41 Euro pro Liter – drei Cent mehr als vor einer Woche und nur noch drei Cent weniger als beim Allzeit-Hoch im September 2005.

“Bild”, 13. Juli 2007.

Im bundesweiten Schnitt kostet ein Liter Super jetzt 1,40 Euro und nur noch 4 Cent weniger als beim Allzeithoch im September 2005.

“Bild”, 4. Mai 2007.

Der Liter Super kostet im Bundesschnitt 1,36 Euro, Diesel 1,16 Euro. Das sind die höchsten Preise seit August 2006, als Sprit mehr als 1,40 kostete.

“Bild”, 14. April 2007.

Die Ausschläge der Spritpreiskurve scheint “Bild” auch deshalb so minutiös dokumentieren zu müssen, weil sie noch unberechenbarer sind als das Wetter im April. Eine Entwicklung, die sich heute anzudeuten scheint, kann sich am nächsten Tag schon in ihr Gegenteil verkehrt haben.

Trotz steigender Ölpreise wird Benzin laut ADAC billiger: Der Liter Super kostet im Schnitt 1,33 Euro (- 3,2 Cent zur Vorwoche) (…).

“Bild”, 18. Oktober 2007.

Der hohe Ölpreis kommt an der Zapfsäule an! (…) Super ist 2 Cent teurer, kostet 1,39 Euro/Liter.

“Bild”, 19. Oktober 2007.

Besonders frustrierend bei der ganzen Plackerei muss für “Bild” sein, dass sich der verdammte Spritpreis (anders als zum Beispiel die Bundesregierung) weigert, das zu tun, was “Bild” sagt. Am 23. Mai 2007 titelte das Blatt:

Aber statt zu “explodieren”, wie “Bild” behauptete, ging der Preis in den folgenden Wochen sogar um ein paar Cent zurück. Im Oktober ist ihm das Blatt in seiner Verzweiflung nun sogar entgegen gekommen:

Nix da. Aktueller Stand (laut “Bild” von heute) 1,40 Euro. Das ist nichtmal ein Höchststand in diesem Jahr.

Aber wenn sich da was Neues tut, steht es garantiert in “Bild”. Und wenn nicht, auch. Man sollte sich die Arbeit eines “Bild”-Redakteurs nicht zu aufregend vorstellen.

“Bild” trägt jetzt Bügelfalte

Ein BILDblog-Gastbeitrag von Jürgen Siebert

“Bild” führt neue Schriften ein, und kein Leser merkt’s. Während bei der FAZ vor zwei Jahren die dezente Einführung von Rot auf Seite 1 bereits für Aufsehen sorgte und zuletzt die Abschaffung der Fraktur-Headlines, wechselte BILD mit der gestrigen Ausgabe fast seinen kompletten Setzkasten. Dass dies bei einem Boulevard-Blatt weniger auffällt als bei einer diszipliniert gestalteten Tageszeitung liegt an der täglichen Neuinszenierung des Layouts. Doch: Auch wenn es dem Laien nicht ins Auge springt, er spürt den neuen gestalterischen Wind.

Während viele deutsche Tageszeitungen in den letzten Jahren auf Sans-Serif- bzw. neutrale Schriften umgestiegen sind, um “modern” auszusehen, greift “Bild” seit gestern tief in den historischen Setzkasten. Das Blatt bedient sich in den Überschriften einer klassizistischen Antiqua, genauer der Schrift Escrow, die der US-Designer Cyrus Highsmith 2002 für die amerikanische Tageszeitung “Wall Street Journal” entworfen hat. Escrow steht in der Tradition von Bodoni, einer Buchschrift des 18. Jahrhunderts, mit streng symmetrischem, fast monumental anmutendem Aufbau sowie feinen Querstrichen und kräftigen Tropfenserifen.

Vielleicht liegt es ja an der neuen Schrift, dass die obere Hälfte von Seite 1 gestern exklusiv für familiäre Themen reserviert war: “Sie sind beide noch verheiratet” steht elegant über der Schlagzeile zur neuen Liebe zwischen Maybrit Illner und Telekom-Chef René Obermann, während rechts daneben Boris Becker — seinen Nachwuchs umarmend — liebevoll verkündet: “Meine Kinder sind mein größter Sieg”. Die Sätze menscheln in einer Antiqua überzeugender als in einer Franklin Gothic oder Helvetica. Das Kleingedruckte, also die Lesetexte zu den beiden Beiträgen sind übrigens in einer Grotesk-Schrift gesetzt, also ohne Füßchen, die klassischerweise die Lesbarkeit verbessern — verkehrte Welt. Dasselbe gilt für den Nachrichtenblock auf Seite 1.

Auch im Bereich der Kolumnentitel hat sich einiges geändert. Neben der schmalen, auch in Versalzeilen gut lesbaren Neuzeit Grotesk kommt die Interstate zum Einsatz, beispielsweise in “Fernsehen wird durch Bild erst schön.” Das Fernsehprogramm wirkt aufgeräumter und übersichtlicher als zuletzt.

Was bezweckt “Bild” mit dem neuen Auftritt? In erster Linie strahlen die bibliophilen Schlagzeilen mehr Wärme und Charakter aus: Statt enger Jeans tragen die Wörter nun Bügelfalte — aber keinen Anzug. “Bild” schlägt mit ihrer Antiqua einen Weg ein, den das Berliner Schwesterblatt “B.Z.” schon seit längerem mit Schlagzeilen in Garamond praktiziert, ebenfalls eine Buchschrift: Herz statt Schmerz, lautet die Strategie dahinter. Möglicherweise haben die Leser tatsächlich die Nase voll von hochgepeitschten Politik- und Krisen-Meldungen.

Lügen haben schöne FüßchenSchlagzeilen in einer Werksatzschrift zu verkünden assoziiert nicht zuletzt Exklusivität. Im doppelten Sinn: Man verkündet sein eigenes Wort (statt “nur” nüchterne Nachrichten wie alle anderen auch), und natürlich sehen die Antiquas auch rein optisch exklusiv aus – im Sinne von anspruchsvoll.

Jürgen Siebert ist Journalist, Typografie-Experte und Marketing-Vorstand des Schriften-Versandhauses FontShop AG. In seinem Fontblog hat er Details des “Bild”-Redesigns unter die Lupe genommen und beleuchtet die “typografischen Todsünden” des Boulevard-Designs.

Nachtrag, 14. November. Der “Spiegel” berichtet, dass die neuen gestalterischen Elemente ursprünglich für die französische Boulevardzeitung entwickelt worden seien, die Axel Springer eine Zeitlang für Frankreicht entwickelt hat und die optisch edler wirken sollte. “Bild” werde dadurch “leichter und eleganter”, zitiert das Magazin “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann.

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