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Drogen in Sommerloch gefunden!

Ingrid Häußler ist die Oberbürgermeisterin von Halle. Vor einer Woche traf sie sich mit einigen Leuten von einer bissigen Internetseite namens Hoelle-Saale.de, um eine Friedenspfeife zu rauchen. Apropos: Irgendwann kam das Gespräch auf Haschisch. Hoelle-Saale.de zitierte die Oberbürgermeisterin am Tag darauf mit den Worten:

Vor vielen Jahren habe ich im Paulusviertel mit einer Freundin zusammen schon den einen oder anderen Joint geraucht. Und zu meinem 50. Geburtstag hat mir mein Sohn auch ein Tütchen geschenkt. Er meinte wohl, seine Mutter könnte sowas gebrauchen bei dem stressigen Job.

Wie aufregend ist das?

So aufregend, dass “Bild Halle” daraus eine Geschichte auf der Titelseite machte (siehe Ausriss) und an zwei aufeinanderfolgenden Tagen je einen Artikel im Inneren. Gleich dreimal brachte “Bild” dasselbe Foto von Frau Häußler, in dem sie mit ihren Händen eine Tüte formt, zweimal die Formulierung “Ganz schön high, Frau Häußler”, einmal die gewaltige Schlagzeile: “Die Hasch-Beichte der Oberbürgermeisterin.”

Und die Sache ist damit für “Bild” nicht erledigt.

Es [gäbe] noch so viele Fragen. … Waren es nun Joints oder nur ein Joint, woran Ingrid Häußler vor Jahren gezogen hat? Und was wurde aus dem Tütchen, das einer ihrer Söhne der Politikerin angeblich zum 50. Geburtstag geschenkt hat?

Und natürlich auch diese Frage noch: Wen interessiert’s?

Centralorgan

Liebe Frau Pieper,

wir müssen reden. Die “Bild”-Zeitung hat heute auf Seite 1 einen Artikel mit der Überschrift: “Bundesbank will kleine Cent-Münzen abschaffen” und zitiert Sie als FDP-Generalsekretärin mit den Worten:

Wenn die Cents wegfallen, drohen durch Aufrunden auf volle Euro Preiserhöhungen. Es ist nicht vermittelbar, dass nach dem Pfennig nun auch der Cent gehen soll.

Ja, das wäre natürlich bitter, wenn nun der Cent gehen würde und wir alle auf “volle Euro” aufrunden müssten:

“Ein Ei bitte!” — “Macht einen Euro.”
“Für mich nur ein Brötchen.” — “Ein Euro, bitte”
“Krieg ich ein Lakritz, Mami?” — “Du, das kostet aber einen Euro!”

Ganz ruhig, Frau Pieper, niemand will Ihnen Ihre Cents wegnehmen. Es geht nur um die Ein- und Zwei-Cent-Münzen. Aufgerundet wird auf volle 5 Cent — und, wo wir gerade Ihre Aufmerksamkeit haben, das Wort “aufrunden” hat einen Freund, der heißt “abrunden”. Und den würden Sie in einer Welt ohne Ein- und Zwei-Cent-Münzen (also zum Beispiel hier) kennen- und liebenlernen, wenn wir Sie in den Supermarkt schicken, um, sagen wir, in einem Rutsch drei Liter Milch zu je 59 Cent zu kaufen.

Warum steht das alles hier? Weil die “Bild”-Zeitung tatsächlich über den Artikel geschrieben hat: “Bundesbank will kleine Cent-Münzen abschaffen — Wird jetzt alles teurer?” Das Blatt hätte natürlich auch schreiben können: “Bundesbank will kleine Cent-Münzen abschaffen — Wird das Wetter jetzt noch schlechter?”, aber dazu hätten Sie sich ein bisschen anstrengen müssen, noch dümmeres Zeug zu reden.

Besten Dank für die Inspiration an Torsten W.!

Ein Hartz für Tiere

Mit traurigen Kinder- und Sparschwein-Augen machte “Bild” vor einigen Wochen Stimmung gegen “Hartz IV”. Womit ließe sich das noch steigern? Richtig: Mit traurigen Hunde-Augen. Im Berlin-Teil von “Bild” (nicht online) steht heute die Überschrift:

Wegen Hartz IV — Berliner Tierheim erwartet hunderte arme Hunde

Das Blatt behauptet, viele Menschen glaubten aus Furcht vor Armut, sich ihren Hund nicht mehr leisten zu können.

Alleinstehende Arbeitslose im Westen bekommen ab Januar nur noch 345 Euro, im Osten 331 Euro. Rund 200 Euro weniger als die bisherige durchschnittliche Arbeitslosenhilfe.

Das ist falsch, wie der Autor des Artikels sogar im eigenen Blatt hätte nachlesen können. In seiner Rechnung fehlen die Kosten für Miete und Heizung, die Bezieher von Arbeitslosengeld II in Zukunft zusätzlich bekommen. Rechnet man sie ein, ergibt sich nur eine geringfüge Differenz zwischen jetzigen und zukünftigen Einkünften, manchmal sogar eine Verbesserung.

Weiter im Text:

“Bundesweit rechnen wir in diesem Sommer mit 70.000 ausgesetzten Haustieren”, sagt Wolfgang Apel (52), Präsident des Deutschen Tierschutzbundes. “Tiere werden heutzutage leider einfach entsorgt, wenn sie zur Last fallen.”

Das Zitat stimmt, der Zusammenhang nicht. In einer Pressemitteilung der Bundesregierung stellt Apel klar,

dass der Tierschutzbund einen direkten Zusammenhang zwischen der Zahl ausgesetzter Tiere und dem Arbeitsmarktreformgesetz Hartz IV nicht herstellt. Die in BILD genannte Zahl von 70.000 ausgesetzten Tieren sei ein Wert, der sich traurigerweise seit einigen Jahren auf diesem hohen Niveau halte.

Aber diese traurigen Hundeaugen auf dem Foto, die können doch nicht lügen, oder? Nein, die nicht.

Was die PDS mit der HJ zu tun hat

Der heutige “Bild”-Leitartikel trägt die Überschrift:

Die PDS marschiert.

Marschiert die PDS? Sie demonstriert in vielen Städten gegen “Hartz IV” und “Sozialabbau”. Im Fernsehen sehen die Kundgebungen nicht nach “Marschieren”, geschlossenen Reihen und schweren Stiefeln aus. Warum schreibt “Bild” dann “Die PDS marschiert”? Es gibt einen bekannten Schlachtruf mit “…marschiert”. Im Horst-Wessel-Lied der Nationalsozialisten kommt die Zeile vor: “SA marschiert”. Daran erinnert die Überschrift des Kommentars von Dr. Herbert Kremp. Soll sie daran erinnern?

Er schreibt weiter:

Was für ein schräges Bild, was für eine Blamage vor aller Welt: Die PDS mit an der Spitze der Sozialangst-Demonstrationen in Berlin und Ostdeutschland. “Unsere Fahne flattert uns voran.”

Das Zitat ist keines der PDS und keines von den “Sozialangst-Demonstrationen”. Es ist aus dem Fahnenlied der Hitlerjugend:

Unsre Fahne flattert uns voran.
In die Zukunft ziehen wir Mann für Mann.
Wir marschieren für Hitler durch Nacht und Not
Mit der Fahne der Jugend für Freiheit und Brot.

Für Kremps Formulierung gibt es nur eine Interpretation: Er sieht eine Parallele zwischen der friedlich demonstrierenden PDS einerseits und den Schlägertruppen der SA und Hitlers gleichgeschalteter Jugendorganisation andererseits. Wow.

Die “Nachfolger der SED” sollen aufhören, “Sozialangst” zu schüren und sich als “die größten Anwalte des Volkes” aufzuspielen, fordert der Kommentator. Das kann man verstehen. Auf beides hätte “Bild” natürlich gerne ein Monopol.

Was Herr Kremp uns mit der Nazi-Anspielung eigentlich sagen will, ist vermutlich dies: Wenn möglicherweise nicht zuletzt wegen einer massiven “Bild”-Kampagne gegen “Hartz IV” die Menschen in Scharen der PDS zulaufen, dann ist das nicht die Schuld von “Bild”, sondern der PDS.

Mit Dank an anonym für den Hinweis!

Die wichtigste Meldung des Jahres II

Vor gut einer Woche wirkte es noch verwirrend, dass “Bild” einerseits den “wichtigsten Download des Jahres” anpries, um dann im Text davon abzuraten, ihn sich tatsächlich herunterzuladen. Aber in der gigantischen Vermarktungsmaschine “Bild” geschieht nichts ohne Grund — manchmal braucht es halt nur ein paar Tage, bis man ihn erkennt. Und, siehe da: Jetzt wirbt das Schwesterblatt “Computer Bild” in Anzeigen und im Internet für sein neues Heft mit diesem freundlichen Hinweis:

Wichtigstes Windows-Update exklusiv auf Heft-CD
Computerbenutzer aufgepasst! Das wichtigste Update des Jahres für Windows XP ist da. … Die Zeitschrift COMPUTERBILD bietet die Programmverbesserungs-Sammlung jetzt exklusiv auf Heft-CD-ROM.

Das mit der “Exklusivität” darf man zwar getrost bezweifeln, aber wer schon vor über einer Woche heiß gemacht wurde auf das “wichtigste Update des Jahres”, wird ja nicht so lange warten wollen, bis er herausgefunden hat, wo er die CD sonst noch bekommen kann.

Und wir können die Kategorie, unter der wir dieses Thema einsortiert haben, von “Merkwürdiges” auf “Kommerzielles” ändern.

Danke an Andreas G. für seinen Hinweis!

Die sind doch nicht blöd!

Der “Spiegel” berichtet, dass der Handelsexperte Walter Gunz im kommenden Jahr Chef von bild.de wird. Gunz ist einer der Gründer der Elekronikmarktkette “Media Markt”.

Und so einer soll der Richtige sein, den Online-Ableger von “Bild” zu leiten?

Och jo. Besser als ein, sagen wir, Journalist.

(Zum Erfolg der “Volks”-Produkte siehe auch hier.)

Ein friedlicher Tod

Die Nachrichtenagentur dpa meldet:

Der FDP-Politiker Günter Rexrodt ist nach Angaben der Berliner Universitätsklinik Charité an einem plötzlichen Herztod gestorben. … Der Herztod habe sich unabhängig von seiner Krebserkrankung ereignet. Der 62-Jährige sei gestern im Schlaf gestorben. Es sei ein friedlicher Tod gewesen.

Ah. Na, dann war es ja fast so, wie “Bild” heute morgen berichtete:

Danke an Chris M. für den Hinweis!

“Bild” spricht mit Gesteinigtem

Heute reden wir einmal über das Wort “fast”. Es ist ein kleines, unscheinbares Wort, ein schüchternes Adverb, das sich nicht wehrt, wenn man es (aus Platzgründen oder so) mal aus einer Überschrift streicht. In dieser über 30 Zentimeter breiten Schlagzeile der Berliner “Bild”-Ausgabe von heute zum Beispiel:

Das Deutsche Wörterbuch Wahrig definiert “steinigen” so:

‘stei|ni|gen <v.t.; hat> jmdn. steinigen durch Steinwürfe töten

Das Opfer war aber hinterher noch in der Lage, mit “Bild” zu reden. Aus dem Kleingedruckten winkt uns am Ende des zweiten Absatzes beschämt unser freundliches Adverb zu: “Am helligten Tag gingen drei wütende Fahrgäste auf ihn los, steinigten ihn fast.”

Mit der gleichen platzsparenden Logik hätte “Bild” auch Schlagzeilen komponieren können wie: “Stoiber zum Kanzler gewählt”, “Papst bei Attentat umgekommen”, “Franzi holt Bronze in Athen” und “‘Bild’ lügt nie”.

Intersport spinnt!

“Wandern liegt voll im Trend”, schreibt bild.de, und womöglich stimmt das sogar. Interessant ist aber, dass bei dem Artikel nicht nur “10 wichtige Wander-Tipps” stehen, die der Deutsche Wanderverband freundlicherweise zusammengestellt hat, sondern auch “tolle Angebote für Ihre Wanderausrüstung”, die die Sportartikelfirma Intersport freundlicherweise zusammengestellt hat. Das Wort “Intersport” taucht schon in der Internetadresse der Wander-Trend-Geschichte von bild.de auf (“www.bild.t-online.de/BTO/sport/intersport/wandern/…”), was den Verdacht nahe legt, dass die Shopping-Angebote nicht passend zum Artikel zusammengestellt wurden, sondern der Artikel überhaupt nur geschrieben und mit anderen zusammengestellt wurde (siehe Ausriss oben), um zu den Shopping-Angeboten zu führen.

Seit dem Frühjahr befindet sich unter den Sportmeldungen von Bild Online meistens eine mit der Dachzeile “Intersport spinnt”. Dahinter finden sich kritische, journalistisch-fundierte Berichte mit Überschriften und Textzeilen wie diesen:

INTERSPORT beweist Teamgeist mit völlig verrückten Preisen.
An alle Kids: Die Sommerferien sind gerettet! Ob Regen oder Sonnenschein – die neuen supergünstigen Angebote von INTERSPORT lassen garantiert keine Langeweile aufkommen!
Ob Schwarzwald, Fichtelgebirge oder Schwäbische Alb – für den perfekten Tag unterwegs sorgen supergünstige Angebote in allen teilnehmenden INTERSPORT-Fachgeschäften.
Selbstverständlich spielen dabei die kompetente Beratung sowie die dazugehörigen Service-Leistungen eine wichtige Rolle.
etc. etc.

Jeder dieser Artikel führt am Ende zur nächsten Intersport-Filiale oder zum Internet-Online-Shop. Wer genau hinguckt und den Kopf verdreht, wird gelegentlich auch einmal das Wort “Anzeige” entdecken, aber an allen entscheidenden Stellen fehlt es; auf das sonst gern verwendete “Shop-Tipp”-Logo mit dem kleinen Einkaufswagen verzichtet bild.de hier.

Aber hey, wenn Intersport nun schon seit Monaten ununterbrochen “spinnt”, wäre es doch journalistisch fahrlässig, da nicht immer und immer wieder drauf hinzuweisen. Oder?

Werbung muss als solche klar erkennbar und vom übrigen Inhalt der Angebote eindeutig getrennt sein.

Steht im Mediendienstestaatsvertrag. Und der gilt auch für Bild Online. Theoretisch.

Ja, wir können beamen!

Hans Bewersdorff, der Mann, der uns Schlagzeilen brachte wie: “NASA entdeckt Musikplanet”, “Kommunikations-Code der Außerirdischen entschlüsselt”, “Knacken Hummer den Code des ewigen Lebens?”, “Pilze haben den Sex erfunden!” und “See-Gurken sind unsere Verwandten!” hat eine neue gute Nachricht für uns:

Nun weiß der aufmerksame “Bild”-Leser, dass Teaser wie “Wie bei Star Trek: Ja, wir können jetzt beamen” meistens bedeuten, dass wir (zumindest noch) nicht beamen können wie bei Star Trek. Und richtig: Am Ende des zugehörigen Artikels hat sich, wie üblich, die Aussage in eine Frage verwandelt:

Beamen wie in „Raumschiff Enterprise“. Wird dieser alte Science-Fiction-Traum jetzt endlich wahr?

Doch dazwischen verleiht “Bild” seiner Meldung mit der Angabe “wie das Fachmagazin ‘Nature’ berichtet” Seriösität. Vielleicht stimmt also wenigstens das Kleingedruckte?

Nö. “Bild” schreibt:

Mit Hilfe von Lichtteilchen (Photonen) transportierten die Forscher Datenmengen über eine Entfernung von mehr als 600 Meter über die Donau. Bei dem in der Fachwelt als Quanten-Teleportation bekannten Vorgang wurden … ohne Kabel oder Funk die in Photon A vorhandene Information wie von Geisterhand auf Photon B am anderen Donauufer übertragen.

Richtig ist: Von Datenmengen kann keine Rede sein und die Formulierung “ohne Kabel” stimmt nur, wenn man das 800 Meter lange Glasfaserkabel vernachlässigt, mit dem Sender und Empfänger verbunden waren und in dem das Experiment stattfand.

Das geglückte Teleportieren scheint trotzdem ein erstaunlicher wissenschaftlicher Durchbruch gewesen zu sein. Aber was die Möglichkeit angeht, dass der “Traum der Menschheit”, wie “Bild” schreibt, wahrwerden könnte: “Augen zu und Sekunden später auf Mallorca wieder aufwachen, vielleicht sogar an einem Südseestrand”, zitieren wir Spiegel Online:

Inzwischen haben Physiker gezeigt, dass dieses Verfahren nicht nur mit Lichtteilchen, sondern auch mit Atomen funktioniert – aber wohl niemals auf größere Gegenstände oder gar komplette Lebewesen angewandt werden kann.

Mist.

Mit sachdienlichen Hinweisen von Marc K. und anderen.

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