Am Montag fand ein Spaziergänger in Bruckberg bei Landshut die Überreste einer Leiche. Die Polizei vermutet, es könnte sich um einen Mann handeln, der 1980 verschwand, um sich das Leben zu nehmen.
Der Mann sei “in elf Meter Höhe in einer Fichte” gefunden worden, weiß “Bild” und folgert:
Offenbar wuchs die Leiche nach dem Selbstmord mit dem Baum in die Höhe.
Das wäre allerdings eine botanische Sensation. Denn Bäume wachsen bekanntlich nur an ihrer Spitze. Kindern erklärt man das (aus naheliegenden Gründen) meist nicht mit festgebundenen Selbstmördern, sondern in die Borke geritzten Herzen: Die befinden sich auch Jahrzehnte später noch auf derselben Höhe.
Mit Dank an Alexander H., Gereon H., Florian J., Torsten R. und René K.!
Als die “Financial Times Deutschland” ihren Lesern am 16. September 2002 in einem ganzseitigen Leitartikel empfahl, bei der Bundestagswahl für die CDU/CSU zu stimmen, löste das große Aufregung aus. Die “Bild”-Zeitung sprach davon, dass die Zeitung “ein journalistisches Tabu in Deutschland” breche und behauptete: “Erstmals in der Pressegeschichte der Bundesrepublik gibt eine Zeitung eine Wahlempfehlung zugunsten einer Partei ab!”
Dabei gibt die “Bild”-Zeitung selbst regelmäßig Wahlempfehlungen ab — sie steht nur nicht dazu.
Quelle:
Frank Brettschneider und Bettina Wagner: “‘And the winner should be…’ Explizite und implizite Wahlempfehlungen in der ‘Bild-Zeitung’ und der ‘Sun’.” In: Massenmedien als politische Akteure. VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2008.
Die Politologin Bettina Wagner und der Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider haben die Berichterstattung von “Bild” in den vier Wochen vor jener Bundestagswahl 2002 untersucht (siehe Kasten rechts). Sie werteten alle Berichte aus, die sich auf die SPD oder CDU/CSU oder ihre Spitzenkandidaten Gerhard Schröder und Edmund Stoiber bezogen, und untersuchten sie u.a. nach den enthaltenen Wertungen.
Das Ergebnis war eindeutig:
Über die Union und Stoiber berichtete “Bild” im Saldo neutral. Schröder und noch stärker die SPD wurden hingegen deutlich negativ bewertet. Dieser negative Effekt wurde sogar noch dadurch verstärkt, dass “Bild” in den untersuchten Wochen viel häufiger über Schröder berichtete als über Stoiber.
Eine Zeitung kann auch dadurch implizite Wahlempfehlungen aussprechen, dass sie “opportune Zeugen” auswählt, also solche Akteure zu Wort kommen lässt, die sich im Einklang mit den eigenen Einstellungen oder der redaktionellen Linie befinden. Brettschneider und Wagner haben auch untersucht, wer sich in “Bild” über die jeweiligen Kandidaten äußern darf — und mit welcher Tendenz. Auf einer Skala von -1 (ausschließlich negativ) bis +1 (ausschließlich positiv) ergab sich folgendes Bild:
Dass sich Unions-Politiker negativ über Schröder äußerten und SPD-Politiker negativ über Stoiber, ist kein Wunder. Frappierend ist aber, dass die Aussagen von SPD-Politikern über ihren eigenen Kandidaten, die in “Bild” wiedergegeben wurden, nur moderat positiv sind — und nicht annähernd so überschwänglich wie die Aussagen von Unions-Politikern über ihren eigenen Kandidaten, die “Bild” zitierte.
Die Parteilichkeit von “Bild” wird auch dadurch deutlich, wen das Blatt zu Wort kommen ließ. In den vier Wochen vor der Wahl fanden sich in “Bild” über Gerhard Schröder fast doppelt so viele Aussagen von Unions-Politikern wie von SPD-Politikern. Bei Stoiber ist das Verhältnis noch deutlicher: 46 Aussagen von SPD-Politikern über den Spitzenkandidaten der CDU/CSU stehen 111 Aussagen von Unions-Politikern gegenüber.
Die Berichterstattung von “Bild” im Wahlkampf 2002 hatte also in jeder Hinsicht Schlagseite. Oder wie die Forscher formulierten:
“Insgesamt betrachtet kann also eindeutig von einer Bevorzugung der Union gesprochen werden.”
Sie stellten zudem fest, dass die Wirtschaftspolitik, die eher als Kompetenzbereich der Union wahrgenommen wurde, die Berichterstattung von “Bild” dominierte — die dieses Thema deutlich prominenter behandelte als andere deutsche Medien, was man ebenfalls als einen Hinweis auf eine implizite Wahlempfehlung deuten könne.
Das Fazit der Wissenschaftler:
“Bild” berichtete häufiger und negativer über die SPD als über die Union
In “Bild” kamen häufiger Befürworter der Union zu Wort
In “Bild” stand ein für die Union günstiges Thema an der Spitze der Agenda
Die Untersuchung verglich die Berichterstattung von “Bild” auch mit der der britischen Boulevardzeitung “Sun” im Wahlkampf zum Unterhaus 2001. Die “Sun” hatte sich explizit für Labour und Tony Blair ausgesprochen. Die Forscher kamen zu dem Ergebnis, dass die implizite Wahlempfehlung von “Bild” dennoch intensiver war als die implizite Wahlempfehlung der “Sun”:
Demnach war die “Bild”-Berichterstattung auch ohne offenes Endorsement weniger objektiv als die Berichterstattung der “Sun”. Medien können auch dann als politischer Akteur auftreten, wenn sie nicht eine explizite Wahlempfehlung aussprechen.
Die Untersuchung zeigt, dass dabei die Parteinahme nicht einmal so offensichtlich sein muss wie zuletzt im Fall des thüringischen Ministerpräsidenten. Insgesamt finden in diesem Jahr übrigens fünf Landtagswahlen, acht Kommunalwahlen, die Europawahl, die Bundestagswahl und die Bundespräsidentenwahl statt.
Apropos. Heute “meldet” “Bild”:
Erst im nächsten Satz stellt sich heraus, dass es sich dabei nicht um eine Tatsache handelt und das Zitat trotz der Formulierung “Für die SPD…” nicht von der SPD stammt. Der Artikel geht nämlich so weiter:
Schon am Freitag meldete “Bild”, dass der japanische Fußballer Makoto Hasebe, der beim VfL Wolfsburg spielt, ein Problem mit der deutschen Sprache habe: Er könne kein “ch” aussprechen.
Frage: Mit welchen beiden Wörtern demonstriert “Bild” die konkreten Auswirkungen dieser Deutsch-Schwäche in der Praxis?
Vielleicht kamen sie sich besonders clever vor bei “Bild”, als sie im vergangenen Oktober diese Schlagzeile formulierten (wir berichteten); vielleicht auch nur besonders witzig.
Jedenfalls schaffte es die Überschrift geschickt, sich doppelt zu empören über den deutschen (Un-)Rechtsstaat, der angeblich nicht nur “Kinderschänder” laufen lässt, sondern es anständigen Zeitungen wie “Bild” auch noch verbietet, diese Menschen wenigstens “Schweine” zu nennen.
Ziffer 1 Pressekodex
Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse.
Jede in der Presse tätige Person wahrt auf dieser Grundlage das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der Medien.
Dabei hatte niemand “Bild” verboten, den Mann ein “Schwein” zu nennen — es verstößt nur gegen seine Menschenwürde und damit das, was der Pressekodex eines der “obersten Gebote der Presse” nennt (siehe Kasten rechts).
Das bekam die Zeitung nun auch schriftlich. Aufgrund einer Beschwerde von BILDblog sprach der Presserat eine “Missbilligung”* gegen “Bild” aus und erklärte:
(…) dass die Bezeichnung “Schwein” wie wirklich geschrieben zu bewerten ist, da sie trotz der Tatsache, dass das Wort durchgestrichen wurde, klar zu erkennen ist. Diese Gleichsetzung des betroffenen Mannes mit einem Tier verletzt seine Menschenwürde.
Der Beschwerdeausschuss stellt zudem fest, dass die Redaktion durch diese Veröffentlichung der Verantwortung, die die Presse hat, nicht gerecht wird. Es verletzt das Ansehen der Presse nach Ziffer 1 Pressekodex, wenn eine Zeitung — wenn sie selbst offensichtlichen Zweifel daran hat, ob ein Begriff aus ethischer Sicht verwendet werden kann — diese Bezeichnung dann doch in vorliegender Form verwendet.
Die Rechtsabteilung der Axel Springer AG teilte dem Presserat mit, dass sie auch diese Beschwerde von uns für einen Missbrauch dieses Gremiums hält (mehr zur Vorgeschichte dieses Streites). Zur Sache werde man sich daher nicht einlassen.
*) Missbilligungen sind für die betroffenen Zeitungen folgenlos. Der Presserat “empfiehlt” ihnen zwar, sie zu veröffentlichen — “als Ausdruck fairer Berichterstattung”. Die “Bild”-Zeitung verzichtet aber naturgemäß in der Regel darauf.
Das ARD-Magazin “Panorama” hat sich bei der “Bild”-Zeitung nach den von ihr und der “Bild am Sonntag” veröffentlichten Fotos von den Opfern des Amoklaufes in Winnenden erkundigt:
“Hat die BamS-Redaktion diese Fotos von den Angehörigen oder Freunden erhalten oder sie aus dem Internet heruntergeladen?
Haben die Angehörigen dieser Veröffentlichung zugestimmt?
Wenn nicht, warum haben Sie die Fotos ohne Freigabe durch die Familien veröffentlicht?
Was sagen Sie zu dem Vorwurf des Vaters von Chantal S.: ‘Die Bild-Zeitung und andere, auch Fernsehsender, ziehen Profit aus unserem Leid! Die reißen die Bilder an sich und fragen nicht danach, was wir Hinterbliebenen denken und fühlen.'”
“Entgegen Ihrer Annahme dürfen Fotos von Opfern auch ohne Genehmigung gezeigt werden, sofern es sich um Bildnisse im Zusammenhang mit wichtigen zeitgeschichtlichen Ereignissen handelt. Der Redaktion fällt eine solche Entscheidung nicht leicht und sie muss in jedem Einzelfall sorgfältig abwägen, ob das öffentliche Interesse so überragend ist, dass man die Fotos auch ohne Einwilligung zeigen darf. Offensichtlich haben das auch alle anderen Zeitungen und Zeitschriften so beurteilt, die die besagten Bilder veröffentlichten.
Natürlich gehört unser Mitgefühl den vielen Familien in Winnenden, denen der schlimmstmögliche Schicksalsschlag widerfahren ist. Nichts kann den Schmerz und die Trauer über Verlust eines Kindes und eines Angehörigen lindern. Leider gehört es zu den Aufgaben von Journalisten, auch über solch dramatischen Ereignisse und die dahinter stehenden Schicksale zu berichten — sowohl über Täter, als auch über Opfer.”
Medienanwalt Christian Schertz widerspricht:
“Wenn ein Schüler oder ein Student sein Foto bei StudiVZ einstellt, willigt er damit noch lange nicht ein, dass dasselbe Foto im Falle eines Unglücksfalles, an dem er beteiligt ist, auf der Titelseite einer Boulevardseite veröffentlicht wird. (…)
Das Leid von anderen Menschen ist natürlich auch etwas, das die Sensationsgier befriedigt und damit Auflage macht. Und da ist es oft eine Abwägung von möglichen Anwaltskosten und den vielleicht noch zu zahlenden Schmerzensgeldern und dem, was man mit der Auflagensteigerung erreicht. Und dann ist das Ergebnis relativ eindeutig aus Sicht mancher Chefredakteure.”
Der “Panorama”-Beitrag greift auch den Fall von Sara L. auf, einer jungen magersüchtigen Frau, die im vergangenen Jahr starb. Gegen den ausdrücklichen Willen ihrer Eltern hatte “Bild” damals einen großen Artikel mit Fotos von Sara veröffentlicht, die das Blatt sich im Internet besorgt hatte (wir berichteten).
“Bild”-Sprecher Fröhlich gibt den Eltern indirekt die Schuld daran, dass “Bild” das Schicksal ihrer Tochter ausgeweidet hat. Sie hätten Sara dadurch, dass sie einem Nachruf auf Sara im “Tagesspiegel” zugestimmt hätten, zu einer “relativen Person der Zeitgeschichte gemacht”, behauptet Fröhlich:
“In solch einem Fall bedarf es keiner Zustimmung des Abgebildeten oder der Hinterbliebenen.”
Der März geht zuende, und außer dem Frühling müsste längst der Papst vor der Tür stehen. Vor einem Jahr, am 4. April 2008, hatte “Bild” seine Ankunft für diesen April avisiert, groß auf der Seite 1 (außerhalb Berlins natürlich mit “Deutschland” statt der Hauptstadt in der Schlagzeile):
Die Grundlage für den Artikel war bei genauerem Hinsehen dünn: Dieter Althaus, der Ministerpräsident von Thüringen, hatte den Papst am Tag zuvor bei einer Privataudienz eingeladen und der Papst hat anscheinend nicht sofort Nein gesagt.
Aber “nach BILD-Informationen” stand nicht nur der voraussichtliche Reisetermin fest (April 2009); die Zeitung wusste aus “gut informierten Kreisen des Vatikans” (also nicht von Andreas Englisch) unter anderem auch,
dass der Papst ein Wochenende bleiben möchte,
dass er “an einem Freitagabend auf dem militärischen Teil des Flughafens Tegel landen wird”,
dass er “in der Vatikanbotschaft neben der St. Johannes-Basilika an der Lilienthalstraße (Neukölln) übernachten wird”,
dass er am Sonntag “in Heiligenstadt Station machen will”,
dass es vermutlich “auf dem Gelände vor Burg Scharfenstein einen feierlichen Gottesdienst mit Zehntausenden Gläubigen” geben wird
und dass er am Sonntagnachmittag “nach Erfurt fliegt” und “den Domberg besucht”.
All das wusste “Bild” damals schon über den Papst-Besuch, nur das winzige Detail, dass der Papst womöglich gar nicht kommt, jedenfalls nicht 2009, das wollte “Bild” nicht wissen.
Dabei hatten unter anderem das Bistum Erfurt und der Vatikan schon am Vortag die Vorabmeldung von Bild.de dementiert und bestritten, dass ein Besuch feststehe. Die “Süddeutsche” schrieb einen Tag später, die Spekulationen von “Bild” und thüringischen Medien “dürften bislang eher den Vorstellungen der hoffnungsfrohen Deutschen entsprechen als denen des Vatikans”.
Inzwischen sieht es so aus, als ob der Papst eventuell 2010 Deutschland besuchen könnte. Vielleicht macht er ja “Bild” sogar eine Freude und kommt an einem Freitag und bleibt bis Sonntag.
Box-Weltmeister Vitali Klitschko scheint gestern am Frankfurter Flughafen vom Zoll überprüft worden zu sein — und das, obwohl er den Leuten sofort gesagt hat: “Jungs, ich bin kein Schmuggler!” Die Beamten behielten vorläufig eine Uhr und eine Tasche. Klitschko findet das: “Unmöglich!”
Aber, keine Sorge, Sie müssen das nicht alles lesen. Wir haben die aus “Bild”-Sicht offenbar zentralen Punkte der Geschichte hier noch einmal übersichtlich zusammengestellt:
Es scheint, als hätte die “Bild”-Zeitung ihre Kampagne gegen die angebliche Ungerechtigkeit, dass die Ossis unsere ganze schöne Rente bekommen, für den Moment abgeschlossen. Heute steht nur noch ein kleinerer Artikel unten auf der zweiten Seite mit der Überschrift: “So viel Rente bekommen die Deutschen WIRKLICH”, als würde das, was “Bild” an den vorigen Tagen zum Thema veröffentlicht hatte, die Lage gar nicht treffen — was sogar stimmt.
Am Dienstag und Mittwoch hatte “Bild” mit diesen Schlagzeilen aufgemacht:
Weil die Rentenbezüge in den neuen Bundesländern um 3,38 Prozent steigen, in den alten aber nur um 2,41 Prozent, formulierte “Bild”:
Damit ist die Kluft zwischen den Rentenerhöhungen in Ost und West so groß wie zuletzt vor 10 Jahren.
Das stimmt, ist aber eine geschickte Verkehrung der Perspektive. Denn der Westen hat bei den Renten immer noch einen deutlichen Vorsprung vor dem Osten. Der “Rentenwert” (die monatliche Rente, die man pro Jahr mit einem Durchschnittseinkommen bekommt) ist im Osten über zehn Prozent niedriger. Unter gleichen Voraussetzungen bekommt ein Ostrentner weniger Geld aus der gesetzlichen Rentenversicherung als ein Westrentner.
Wenn die Renten jetzt im Osten also stärker steigen als im Westen, heißt das nicht, dass die Ostrenten den Westrenten weglaufen, wie “Bild” suggeriert, sondern nur, dass sich die Kluft zwischen beiden verringert. Das ist eine Folge davon, dass sich auch die Einkommensunterschiede langsam ausgleichen.
“Bild” suggeriert, dass Ostdeutsche auch in absoluten Zahlen mehr Rente bekommen. Auch das stimmt nur scheinbar. Ein realistischer Vergleich ist kaum möglich, weil in Ostdeutschland Gutverdiener wie Ärzte oder Rechtsanwälte den Durchschnitt in die Höhe treiben, die im Westen nicht aus der gesetzlichen Rentenkasse bezahlt werden. Außerdem sind ostdeutsche Frauen im Schnitt länger berufstätig gewesen, was ihre Rente entsprechend in die Höhe treibt.
Das stand gestern sogar auch in “Bild” — hinderte das Blatt aber nicht daran, mithilfe seiner professionellen Milchmädchen Ost und West gegeneinander auszuspielen:
Schaut man sich die Daten genauer an, fällt auf, dass die Männer, die beide jeweils 45 Jahre als Handwerker gearbeitet haben, auch fast genau die gleiche Rente bekommen. Der Unterschied geht allein auf die unterschiedlichen Lebensgeschichten der Frauen: Frau Ost hat 26 Jahre als Kindergärtnerin gearbeitet, Frau West nur 15 Jahre als Schneiderin.
Als Beleg für die Ungerechtigkeiten im deutschen Rentensystem zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung taugen diese Paare nicht. Aber um Neid zu schüren und Zeitungen zu verkaufen, reicht’s natürlich.
“Nicht jugendfrei”, das Jugendportal der “Waiblinger Zeitung” hat mit dem Vater von einem der Mädchen geredet, die bei dem Amoklauf in Winnenden am vergangenen Freitag ums Leben gekommen sind, und über deren Leben und Sterben auch “Bild” in größter Aufmachung berichtet hat:
Uwe Schill kann reden in seiner Trauer. Von sich aus hat der Vater der getöteten Chantal unsere Redaktion aufgesucht, und es hat sich ein Gespräch ergeben über die Dankbarkeit des Hinterbliebenen für den großen Beistand. Und über den Schmerz darüber, wie Bild-Zeitung und Fernsehsender sich des Bildes der getöteten Tochter bemächtigen; und wie Bekannte über Opfer und Täter sprechen und er dies wehrlos im Fernsehen mitverfolgt.
Zwei Stunden nachdem Chantal gestorben war, stand ein Reporter bei Schills in der Haustür und wollte Bilder von Chantal. “Kein Ausdruck des Beileids, keine Rücksicht, kein Mitgefühl . . . Mein ältester Sohn hat ihn dann von der Tür gewiesen.” (…)
Das Bild der getöteten Tochter wird fremdbestimmt: “Die Bild-Zeitung und andere, auch Fernsehsender, ziehen Profit aus unserem Leid! Dreimal hintereinander sind Bilder von Chantal erschienen, ohne dass wir das gewollt hätten. Wir hätten das nie erlaubt.” (…)
Schill vermutet, dass die Fotos seiner Tochter aus dem Schüler-VZ stammen, einem Internetverzeichnis, das bei Schülern äußerst beliebt ist und in das die große Mehrheit der Schülerinnen und Schüler Fotos von sich hineinstellt — meist in dem Gefühl, dass nur andere Schüler dieses Verzeichnis anschauen, dass Jugendliche und Kinder unter sich wären in dieser Abteilung des Internets. Aber Internet ist immer Weltöffentlichkeit. Die Bildbeschaffer bestimmter Medien nützen dies aus. “Die reißen die Bilder an sich und fragen nicht danach, was wir Hinterbliebenen denken und fühlen”, sagt Schill. (…)