Deutschland hat ungefähr 82.531.700 Einwohner. Davon sind ungefähr 45.887.900 zwischen 25 und 65 Jahre alt. Und in der vorab aufgezeichneten ARD-Sendung “Beckmann” wird Bundeskanzler Gerhard Schröder heute abend (23 Uhr, ARD) u.a. ein paar Sätze zum Thema Adoption sagen, woraufhin man sich bei “Bild” entschieden hat, daraus eine Schlagzeile zu machen.
“Der Kanzler rät – Jeder sollte ein Kind adoptieren”
Oder:
“Der Kanzer rät – Jeder, der Platz hat, sollte ein Kind adoptieren”
Oder:
“Der Kanzler rät den Deutschen – Jeder, der Platz im Herzen hat, sollte ein Kind adoptieren”
Oder gar:
Die gedruckte “Bild” hat sich für folgende Variante entschieden:
Und sagen wird der Kanzler bei “Beckmann” heute abend:
„Diejenigen, die Platz im Herzen und Platz zu Hause haben, sollten sich überlegen, ob sie nicht auch ein Kind adoptieren wollen.” (Zitiert nach “Bild”, Hervorhebungen von uns.)
Man sieht, es hat es ihn regelrecht übermannt, den David Beckham, man sieht ihm die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben, und es ist ihm egal, ob die Zeitungen hinterher dazuschreiben, “Beckham vergießt bittere Tränen” oder nicht. Oder nicht?
Nein, diesen Eindruck erweckt bloß die erschütternde Illustration der Schlagzeile, mit der Bild.de heute groß auf eine kleine Meldung hinweist, die “die multimediale Erweiterung der Marke BILD” aus der britischen Zeitung “Daily Mirror” (oder aus einer entsprechenden Meldung der Nachrichtenagentur dpa) abgeschrieben hat.
Denn anders als zum Beispiel kürzlich, als “Bild” dieses Paparazzifoto von Andreas Türck druckte und laut “Bild” sogar “BILD-Reporterin Carolin Richter zufällig auch beim Spazieren am selben Ort” war, heißt es im Fall Beckham nur:
“Freunde berichten, es seien sogar Tränen geflossen.”
Aber selbst das ist Unsinn! Denn der “Mirror”, auf den sich Bild.de ausdrücklich bezieht, berichtet:
“It’s a bitter blow for Becks, 29, who was spotted shedding a tear when eldest son Brooklyn, five, began at the elite Runnymede College in Madrid in September.”
Was heißt, dass Beckhams Tränen, von denen laut “Bild” ja irgendwelche “Freunde” berichten, also gar nicht jetzt geflossen sind, “weil er seinen Sohn nicht mehr zur Schule bringen darf”, sondern (wenn überhaupt) bereits am ersten Schultag seines Sohnes im September…
(Nur nicht aufregen!)
Es stimmt, dass dieser Schnappschuss in der gestrigen “Bild”-Zeitung kurzzeitig Beachtung fand. Kaum ein TV-Promimagazin beispielsweise, das ihn (im Zusammenhang mit der Berichterstattung über eine Aids-Gala, während der das Foto entstand) nicht beiläufig gezeigt hätte: RTL-Dschungelshow-Gewinnerin Désirée Nick und Klaus Wowereit, Berlins Regierender Bürgermeister, küssen sich inmitten einer von zahlreichen Kamerateams und Journalisten besuchten Benefizveranstaltung, zu der Wowereit in Begleitung seines langjährigen Lebensgefährten gekommen war.
Und wer weiß, vielleicht stimmt es ja wirklich, vielleicht hat “Bild” ja Recht, wenn sie heute, groß, auf der Titelseite, unter der völlig sinnentleerten Überschrift “Wowereit nicht mehr schwul?” behauptet: “Ganz Deutschland diskutiert über einen Zungenkuss.” Wer weiß. (Wir wissen ja alle nicht mal, ob das, was der Schnappschuss zeigt, überhaupt ein Zungenkuss war: Nicks “Bild”-Statement gestern war gewohnt kokett, und Wowereit hatte “nicht die Absicht, das zu kommentieren.“)
Allerdings nennt “Bild” heute für die Behauptung, dass “ganz Deutschland diskutiert”, keinerlei Belege. Nein, stattdessen hat “Bild” offenbar ausschließlich mit “Promi-Friseur Udo Walz (60)” gesprochen – und mit dem Sexualwissenschaftler Wilhelm Preuss (keine Altersangabe). Doch dazu später.
Walz jedenfalls sagt laut “Bild” nicht, wie diese zur Titelstory gehörige Schlagzeile suggeriert: “Solche Küsse küsst doch kein schwuler Mann!” Nein, Walz plaudert nur ein wenig drauflos, findet, solche Küsse gehörten “nicht in die Öffentlichkeit”, und beendet sein längliches “Bild”-Statement mit den nichtssagendem Worten:
“Aber bei Wowi reden wir ja nur von einem Kuß. Und abgesehen davon, daß es wirklich wichtigere Probleme auf der Welt gibt als so ein Bussi. Ein Kuß, ganz egal zwischen wem, ist und bleibt doch eine der schönsten Sachen der Welt.”
Das war’s. Beziehungsweise war’s das noch nicht ganz. Denn “BILD-Medizin-Redakteur Dr. Christoph Fischer” hat ja noch mit erwähntem Sexualforscher gesprochen, der auf die drängenden Fragen der “Bild”-Macher (“Ist Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (51, SPD) gar nicht mehr schwul?” bzw. “Kann ein Schwuler wieder Frauen lieben?” und “Kann ein Schwuler wieder Frauen sexuell begehren?” usw.) sogar eine Antwort hat. Sie lautet zusammengefasst:
“Das ist ganz unwahrscheinlich.”
PS: Und nachdem das gesagt ist, kann man das, was darüber hinaus “Bild”-Kolumnist Franz Josef Wagner zum Thema beizutragen zu haben glaubt, bestenfalls ignorieren — und (mit Dank an Tommy für den sachdienlichen Hinweis) daran erinnern, dass “Bild” am 16.2.2002 unter der Überschrift “Kann Sabine Christiansen Wowereit umdrehen?” schon mal fast dieselbe Story druckte, was die “Zeit” damals übrigens “praktizierte Offenheit gegenüber dem Schwachsinn” nannte…
“Irre! Der Luxuswagen-Hersteller, die Porsche AG, hat dank Cayenne den dicksten Gewinn ihrer Unternehmensgeschichte eingefahren!”
Das jedenfalls schreibt “Bild” heute an derselben Stelle, an der für “Bild” doch vor fünf Tagen erst Porsche-Chef Wendelin Wiedeking “Gewinner” des Tages war – wegen des Erfolges des Geländewagens Cayenne natürlich, für den es einen Preis gab, der (wie wir wissen) im Vorjahr an “Bild” verliehen worden war.
Eine durchschnittliche Schlagzeile bei Bild.de, mit der “die multimedialen Erweiterung der Marke BILD” auf einen der stets unabhängigen und überparteilichen Artikel in “Bild” oder “BamS” hinweisen will, sieht so aus:
Oder so:
Vielleicht auch so:
Oder beispielsweise so:
Oder etwa so? Nein! Denn hinter dieser Ankündigung finden sich bloß allerhand Texte über ein Kabelfernsehangebot namens “Kabel Digital”, die sich optisch und inhaltlich kaum von den Promo-Texten auf der “Kabel Digital”-Website unterscheiden. Vor allem aber, dass dann auch noch “Bild.T-Online-Redakteur Andreas Koesler”ins Spiel kommt (“Bild.T-Online-Redakteur Andreas Koesler hat einen Tag lang getestet, wie gut das Angebot wirklich ist”), der das alles “super unterhaltsam” findet, hat mit der im Pressekodex (Ziffer 7) festgeschriebenen “Trennung zwischen redaktionellem Text und Veröffentlichungen zu werblichen Zwecken” endgültig nur noch wenig zu tun. Und vielleicht sogar gar nichts.
Nachtrag, 10:54: Naja, die augenscheinliche Vermischung von Inhalt und Werbung bei Bild.de hat sogar noch weniger mit dem Pressekodex zu tun als behauptet, sorry. Denn für Diensteanbieter wie Bild.de gilt ja der Mediendienstestaatsvertrag, in dessen Paragraph 13 es allerdings ebenfalls ausdrücklich heißt: “Werbung muss als solche klar erkennbar und vom übrigen Inhalt der Angebote eindeutig getrennt sein.”
Am Samstagabend wurde in der ZDF-Sendung “Wetten, dass…?”das offizielle Maskottchen der Fußball-WM 2006 der Öffentlichkeit präsentiert. Es ist “Goleo”, ein sprechender Löwe im T-Shirt mit einem ebenfalls sprechenden Ball namens “Pille”.
Und die “Bild am Sonntag” hat für die Titelseite ihrer heutigen Ausgabe nichts Wichtigeres gefunden als die große Frage:
“Warum hat unser WM-Löwe keine Hose?”
Erstaunlicherweise gibt es darauf 24 Seiten später sogar eine (wenig spektakuläre) Antwort: “Wir haben ihn mit und ohne Hose getestet – und so sieht er einfach schöner aus”, zitiert das Blatt einen Sprecher des Organisationskomitees.
Dem ist wenig hinzuzufügen – außer natürlich, dass Goleos Bekleidungsstil, der der “BamS” heute die Titelschlagzeile wert ist, in der WeltderMaskottchen (und beileibe nichtnur dort) als ziemlich normal gelten kann.
“Bild” druckt in ihrer heutigen Berlin-Ausgabe dieses Foto. Der Fotograf Will McBride hat es am 26.6.1963 in Berlin gemacht, und “Bild” nennt es zu Recht “eines seiner berühmtesten Bilder”, wie überhaupt der Anlass, währenddessen es entstand, ein ziemlich berühmter ist, den jeder kennt und den “Bild” so beschreibt:
“John F. Kennedy (links) besucht Berlin. Auf dem Weg zum Roten Rathaus fährt der amerikanische Präsident (…) am Brandenburger Tor vorbei.”
Dumm nur, dass (wie beispielsweise der “Tagesspiegel” bereits am 25.6.1963 zeigte) Kennedy natürlich keineswegs “auf dem Weg zum Roten Rathaus” war. Schließlich steht das so genannte “Rote Rathaus” im Ost-Teil der Stadt und befand sich damals jenseits der Berliner Mauer. Kennedys Fahrt dorthin wäre eine Sensation gewesen. Dass Kennedy stattdessen bloß zum Rathaus Schöneberg im West-Teil der Stadt fuhr, von wo aus er mit Blick auf den (anschließend sogar nach ihm benannten) Vorplatz eine ziemlich historische Rede hielt, kann man ohne Mühe überall nachlesen. Nur nicht in “Bild”.
Mit Dank an Björn S. für den sachdienlichen Hinweis.
Dass “Bild” in ihrer “In & Out”-Liste gelegentlich den Eindruck erwecken kann, es werde dort die Grenze zur Schleichwerbung überschritten, ist journalistisch gesehen bedenklich, aber bekannt. Am gestrigen Donnerstag zum Beispiel war für “Bild” die am Montag erscheinende “‘BILD-Volksbibel’ zum Supergünstigpreis von 9,95 Euro” ganz doll “in”.
Aber dass gestern in der (derzeit von Kai Diekmann geleiteten) “Bild” als erstes “Der gegelte Wet-Fett-Look auf dem Kopf” auf der “out”-Seite steht, gibteinemdanndochzudenken…
Mit Dank an Gunther S. für den sachdienlichen Hinweis.
“Übrigens: Vergangenes Jahr ging die hohe Auszeichnung an BILD. BILD meint: Ein würdiger Nachfolger!”
(Stattdessen stand auf der “Bild”-Titelseite nur eine Kurzfassung dieser oder dieser oder dieser Version dieser Pressemitteilung über die “Axel Springer AG auf Erfolgskurs!”)
Bild.de hat zwei Programme zur Darstellung von Web-Seiten (Microsofts “Internet Explorer” und Mozillas “Firefox”) verglichen und den “Härtetest” folgendermaßen illustriert:
Des weiteren übersetzt “die multimediale Erweiterung der Marke BILD” den Browsernamen “Firefox” mit “deutsch: Feuerfuchs”.
Dazu ist nun folgendes zu sagen. So wie butterflies bekanntlich keine Fliegen sind und anders als von Bild.de fälschlicherweise dargestellt, ist der firefox (Ailurus fulgens), dessen englischer Name sich wohl aus dem chinesischen hunho ableistet, mitnichten ein Fuchs (Vulpes), sondern eine hierzulande meist “Kleiner Panda” oder “Roter Panda” genannte Bären-Art. Wer wissen will, wie “eines der hübschesten Säugetiere überhaupt” aussieht, klicke bitte hier oder schaue sich die nebenstehende offizielle Plüsch-Version des Browser-Anbieters Mozilla an.
Aber das alles steht hier ja nur, um bloß kein Wort über das erschütternde “Browserduell” von Bild.de verlieren zu müssen…
Mit Dank an Tom für den sachdienlichen Hinweis (und allen anderen für ihre detail- und kenntnisreiche Kritik am “Browserduell”…).
Nachtrag, 0:43 Uhr:
Mittlerweile hat Bild.de die Grafik mit dem Fuchs durch diese ersetzt und die “Übersetzung” entfernt.
Nachtrag, 25.7.2005:
Mittlerweile hat Bild.de die Sache mit dem “Feuerfuchs” offenbar endgültig begriffen.