Bild.de, das Online-Portal der “Bild”-Zeitung, bewirbt derzeit ein Navigationssystem, das sog. “Volks-Navi”. Die Werbung ist erfreulicherweise ausdrücklich als “Anzeige” gekennzeichnet und schmückt sich mit Konterfeis und Statements von Prominenten wie Axel Schulz, Yvonne Hölzel und Paul van Dyk.
Manchmal ist “Bild” wirklich prima informiert. Gestern zum Beispiel, als das Blatt (unter der Überschrift “Helmut Kohl: Sein neues Glück”) weltexklusiv enthüllte, der “Einheitskanzler” habe “eine neue Lebenspartnerin”. Aber ja: “Engste Freunde und langjährige Weggefährten (…) hatte Helmut Kohl schon seit einiger Zeit eingeweiht”, hieß es da, aufgeschrieben von einem engsten Freund langjährigen Weggefährten, genauer gesagt von Kai Diekmann, dem derzeitigen Chefredakteur der “Bild”-Zeitung. Kohl war Diekmanns Trauzeuge, Diekmann Kohls Biograph, und darüber, wer wohl der “gute Freund von Helmut Kohl” ist, den Kohl-Freund Diekmann in seiner Verlautbarung Enthüllung zu Wort kommen ließ, kann man jetzt wild spekulieren…
…was übrigens ein gutes Stichwort ist – so als Überleitung.
Schließlich spekulierte am Samstag auch “Bild”. Oder auch nicht. Denn (unter der Überschrift “Kardinal Lehmann jetzt nach Rom?”) hieß es:
“Nach BILD-Informationen will der neue Papst Benedikt XVI. den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Karl Kardinal Lehmann (68), in die Kurie nach Rom berufen. (…) Der Mainzer Bischof Lehmann will bis Montag entscheiden, ob er dem Ruf nach Rom folgt.”
“Das gehört zu den vielen Enten und Spekulationen dieser Tage, die nicht aufhören. Ich weiß von nichts, ich lese das nur in der Zeitung.”
Und dem Radio Vatikan (siehe z.B. FAZ.net) sagte Lehmann:
“Ich weiß gar nicht, woher die Leute sich das aus den Fingern saugen. Denn ich weiß überhaupt nichts davon. Das ist alles erstunken und erlogen, sagt man in Deutschland.”
Wehler: Ich hielt schon die Triumph-Zeile der “Bild”-Zeitung “Wir sind Papst” für billigen Nationalismus. Ich will es den deutschen Katholiken nicht absprechen, dass sie sich darüber freuen und ein bisschen stolz sind, aber Ratzinger ist aus allen möglichen Gründen gewählt worden, aber nicht wegen der Tatsache, dass er Deutscher ist. Die englische Reaktion der “yellow press” ist Ausdruck der Kontinuität dessen, was man im Jargon “German bashing” nennt, der Antipathie gegen die Deutschen, die vor allem in den Unter- und Mittelschichten herrscht und die von diesen Zeitungen bedient wird.
Wehler: Sie bedient einen deutschen Gegen-Nationalismus. Es ist nicht der richtige Zeitpunkt und nicht der richtige Ort, um nach der Diskussion über Vertreibungen und über Luftangriffe auf deutsche Städte, nun darüber zu diskutieren, welche Rolle die HJ für Millionen von Deutschen gespielt hat. Das muss man in einem ganz anderen, abwägenden Ton tun. Hängt man das Ganze auf an der punktuellen Vergangenheit des neuen Papstes, dann kann das nur indieIrre führen.
(Verlinkung von uns.)
“Bild” (also die Zeitung, die gut zwei Monate vor der Papstwerdung Kardinal Ratzingers behauptet hatte, “nach 944 Jahren gäbe es mit ihm erstmals wieder einen deutschen Papst”, obwohl das doch, wie wir jetztlängst wissen, gar nicht stimmt) hatte vor knapp drei Wochen eine Art Paparazzifoto der FDP-Generalsekretärin Cornelia Pieper in hochhackigen Schuhen abgedruckt (siehe Ausriss) und dazu (unter dem Stichwort “Bandscheiben-Schwindel”) berichtet, Pieper “habe einen Bandscheibenvorfall erlitten”. “Merkwürdig” hatte “Bild” das damals gefunden und gefragt:
“Ist dieser Bandscheibenvorfall nur ein Polit-Schwindel?”
Nun, knapp drei Wochen später, druckt “Bild” (unter dem Stichwort “Nach Bandscheiben-OP”) endlich die Auflösung. Zusammengefasst lautet sie überraschenderweise:
“Die Geschichte geht so: Da gibt es einen Volker Schäfer aus Kassel. Der ist gelernter Kunstlehrer, freiberuflicher PR-Berater und steht den Grünen nahe. In jeder Beziehung! ‘Das ist mein Lebensgefährte, wir lieben uns’, stellte Grünen-Parteichefin Claudia Roth den Mann aus Kassel vor wenigen Monaten überglücklich vor, nahm ihn mit zu einer Gala beim französischen Botschafter.
So weit, so gut. Überraschend ist etwas anderes: Der ‘Kulturexperte’ Volker Schäfer verdient seit einiger Zeit kräftig Geld nebenbei dazu – als Kommunikationsberater für das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS).”
So ähnlich geht die “Geschichte” noch eine ganze Weile weiter. Und weil sie gestern unter der Überschrift “Amigo-Affäre um Grünen-Chefin Roth – Warum bekam ihr Freund so lukrative Staatsaufträge?”in der “Bild”-Zeitung stand, konnte der Eindruck entstehen, es gebe einen kausalen Zusammenhang zwischen der Beauftragung Schäfers als Kommunikationsberater des BfS und seiner Beziehung zu Roth.
Roth jedoch ließ nach dem “Bild”-Bericht mitteilen, der Eindruck, es gäbe einen kausalen Zusammenhang zwischen der Beauftragung Schäfers als Kommunikationsberater des BfS und seiner Beziehung zu Roth, “entbehrt jeglicher Grundlage”. So heißt es jedenfalls in einer Meldung der Nachrichtenagentur dpa, die außerdem einen “Bild”-Sprecher zitiert, der sagt, die Fakten in “Bild” seien korrekt und würden nicht bestritten. “Wir haben uns nichts vorzuwerfen” lautet das Resümee bei “Bild”, das allerdings leider nicht so ganz nachvollziehbar ist.
Denn Roth hat nicht nur rechtliche Schritte gegen “Bild” angekündigt, ihr Anwalt weist zudem ausdrücklich darauf hin, Roth habe Schäfer “zu einem Zeitpunkt kennen gelernt, als dieser bereits seit über einem Jahr als Kommunikationsberater für das Bundesamt für Strahlenschutz tätig war”. Und das bedeutet doch, die Fakten in “Bild” (egal wie “korrekt” und “nicht bestritten” sie auch sein mögen) sind derart unvollständig, dass von einer “Amigo-Affäre” womöglich überhaupt gar keine Rede sein kann, oder?
Mit Dank an Max P., CS und Pascal-Nicolas B. für die Hinweise.
Nachtrag, 22.4.2005:
Wie die Nachrichtenagentur dpa berichtet (siehe Netzeitung.de), hat Roth nach Angaben einer Parteisprecherin vorm Landgericht Berlin wegen des “Bild”-Berichts eine Einstweilige Verfügung gegen die “Bild”-Zeitung erwirkt, wonach das Blatt eine Gegendarstellung abdrucken müsse. Weiter heißt es: Das BfS und das Bundesumweltministerium betonten, der Vertrag Schäfers sei einwandfrei, er arbeite projektbezogen seit März 2001 für das BfS. Der Axel Springer-Verlag will dennoch Rechtsmittel einlegen.
“Bild” kennt sich aus mit dem Papst. Schließlich hatte sie ihm vor nicht allzu langer Zeit eine Bibel geschenkt. Und wenn etwas passiert, jetzt zum Beispiel, protokolliert “Bild” das Geschehen minutiös.
Vor ein paar Tagen etwa titelte “Bild” auf Seite 2:
“Um 19.12 Uhr verlor der Papst das Bewusstsein”
Das stimmte zwar nicht (weil die Bewusstlosigkeit bereits um 19.11 Uhr von verschiedenen Nachrichtenagenturen ohne genaue Zeitangabe, dafür aber unter Berufung auf den Fernsehsender Sky Italia, der sich seinerseits auf die Nachrichtenagentur Apcom berief, vermeldet worden war) — aber was soll’s: In derselben “Bild”-Ausgabe stand schließlich auch, wann genau die rechte Bronzetür des Petersdoms geschlossen wurde – nämlich wahlweise um “19.12 Uhr” (“Bild”, Seite 1) oder um “19.14 Uhr” (“Bild”, Seite 2).
“Um 20.06 Uhr jubelte die Menge auf dem Petersplatz. Grauer Rauch quoll aus dem Schornstein auf der Sixtina, wurde heller — und färbte sich schwarz. Der erste Wahlgang im Konklave hat keinen Papst gebracht.”
Und wieder hatte es nicht gestimmt, hatten verschiedene Nachrichtenagenturen bereits um 20.05 Uhr vermeldet, was laut “Bild” doch erst um 20.06 Uhr stattfand.
Womöglich ließe sich daraus ableiten, dass “Bild” dann am genauesten berichterstattet, wenn sie sich Sachen ausdenkt. Aber, wie gesagt, was soll’s… Schließlich hat der Erdkreis ja doch noch einen neuen Papst bekommen – und die “Bild”-Redaktion offenbar eine neue Uhr.
“And if all others accepted the lie (…) — if all records told the same tale — then the lie passed into history and became truth.” (George Orwell, “1984”)
Sabine Christiansen beispielsweise hat jedoch nie bestritten, Teilhaberin eines Hundesalons zu sein – im Gegenteil: “Bild” hatte im Dezember 2004 bloß wieder und wieder behauptet, Christiansen bestreite die Beteiligung – und ihren Lesern bis heute die Wahrheit vorenthalten.
Und heute? Heute schreibt “Bild” wieder und wider besseres Wissen:
“Ihre Beteiligung hatte für einigen Wirbel gesorgt. Nachdem BILD über ihr neues Geschäftsfeld berichtet hatte, bestritt Christiansen, Teilhaberin zu sein. Sie behauptete, nur die Schirmherrschaft übernommen zu haben. Einen Tag später erklärte das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg, daß Christiansen im Handelsregister sehr wohl als Gesellschafterin eingetragen ist.”
(Nachweislich falsche und irreführende Formulierungen gefettet.)
Grad jüngst zum Beispiel sah’s so aus, als illustriere “Bild” ihre Berichterstattung über den “Grüne Jugend”-Sprecher und Graffiti-Befürworter Stephan Schilling mit einem großen Foto, das ihn vor einer fies beschmierten Häuserwand zeigt.
Nur gibt es dieses Foto gar nicht.
Zwar hatte sich Schilling tatsächlich für “Bild” vor einer Graffiti-Wand fotografieren lassen, wie er sagt, wenn man ihn fragt. Doch habe man sich ausdrücklich darauf verständigt, dass ihn die Fotos “nicht vor irgendwelchen Schmierereien” zeigen. Das Foto, so Schilling, sei dauraufhin auf einem alten Fabrikgelände vor einer Wand bei einem Jugendfreizeitklub entstanden – und sieht deshalb ursprünglich genau so aus wie das bei Bild.de(siehe Ausriss links).
Für die gedruckte “Bild” hingegen (siehe Ausriss rechts) wurde das Originalfoto manipuliert: Die farbenfrohe Graffiti-Wand im Bildhintergrund wurde gegen eine weitaus tristere, mehrere Kilometer entfernt und ohne Schilling entstandene Aufnahme ausgetauscht. Und selbst die dazugehörige “Bild”-Formulierung über Schilling (“Findet Graffiti (wie auf dem Foto im Hintergrund) in Ordnung”) wirkt derart suggestiv montiert, als wolle sie in die Irre führen und die Wirklichkeit bewusst verschleiern.
Aber wie gesagt: Dass (und wie) sich “Bild” gern kritisch mit Politikern der Grünen auseinandersetzt, ist ja nichtneu.
Man kann geteilter Meinung darüber sein, wie sinnvoll es ist, Graffiti-Sprayer strafrechtlich und per Hubschrauber zu verfolgen. Man kann das beispielsweise gut finden. Oder auch nicht. Der 21-jährige Stephan Schilling hat sich eher für Letzteres entschieden, wofür er von der “Bild”-Zeitung am gestrigen Samstag als “Milchgesicht” bzw. “grünes Milchgesicht” beschimpft wurde – und als “Chef der ‘Grünen Jugend'” bezeichnet, wiewohl er doch nur deren Sprecher ist. Aber naja: Dass (und wie) sich “Bild” gern kritisch mit Politikern der Grünen auseinandersetzt, ist nichtneu und bekannt.
Wirklich übel mitgespielt hat die “Bild” diesmal aber weniger dem “Milchgesicht” Schilling als vielmehr dem Vizepräsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin, Christoph Stölzl (CDU). Denn unmittelbar im Anschluss an den O-Ton eines FDP-Politikers, der laut “Bild” einen Rücktritt Schillings fordere und ihm “ein gestörtes Verhältnis zum Rechtsstaat” unterstellt, folgt ein Zitat Stölzls – genauer gesagt, dieses:
“Hier zeigt sich die häßliche Fratze der Freude am Rechtsbruch!”
Und in der Tat hat Stölzl das gesagt – als Teilnehmer am “1. Internationalen Anti-Graffiti-Kongress” nämlich, der (von “Bild” leider mit keinem Wort erwähnt) am vergangenen Donnerstag in Berlin stattfand. Nur: Stölzls umstrittenes Zitat bezieht sich offenbar mitnichten auf Schilling, wie “Bild” sogar mühelos in anderen Tageszeitungen aus dem Axel Springer-Verlag hätte nachlesen können. Dort nämlich heißt es:
“Christoph Stölzl (CDU), bezeichnete Graffiti als ‘abgestandenen Abfall der Comic-Malereien der 60er Jahre. Hier zeigt sich die häßliche Fratze der Durchsetzungs-Gesinnung und der Freude am Rechtsbruch.’
(“Berliner Morgenpost” vom 8.4.2005)
Oder noch kürzer:
“‘Hier zeigt sich die häßliche Fratze der Freude am Rechtsbruch.’ Christoph Stölzl (CDU) über Graffiti”
(“B.Z.” mit Datum vom 7.4.2005)
Mit Dank an Arne S. für den sachdienlichen Hinweis.
Nachtrag, 22:47:
Schilling selbst findet es übrigens okay, dass man ihn als “Chef” bezeichnet.
Die Rubrik “Gewinner” des Tages in der “Bild”-Zeitung ist und bleibt ein beliebtes Instrument mehr oder weniger offensichtlicher Unternehmens-PR. Deshalb (und aus aktuellem Anlass) hier mal wieder eine aktuelle Top-Ten:
21.2.2005 Michael Ballack
Gewinner des “Bild”-Preises Osgar
24.2.2005 Heinrich von Pierer
Gewinner des “Bild”-Preises Osgar und Vorstandsvorsitzender der Siemens AG, die mit dem Axel Springer-Verlag kooperiert.
5.3.2005 Hubertus Erlen
Vorstandsvorsitzender des Schering-Konzerns, dessen Aufsichtsratsvorsitzender der Aufsichtsratsvorsitzende des Axel Springer-Verlags Giuseppe Vita ist und zu dessen Aufsichtsräten auch Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender des Axel Springer-Verlags, zählt.
15.3.2005 Heinz Horrmann
Geschäftsführender Redakteur der “Welt” und “Welt am Sonntag”, die im Axel Springer-Verlag erscheinen.
17.3.2005 “AutoBILD motorsport”
Zeitschrift aus der “Bild”-Gruppe des Axel Springer-Verlags.
22.3.2005 Claus Strunz
Chefredakteur der “Bild am Sonntag”.
30.3.2005 MDR
TV-Sender, der am 14.3.2005 die Verleihung des “Bild”-Preises Osgar ausstrahlte.
6.4.2005 Heinrich Deichmann
Geschäftsführungsvorsitzender der Heinrich Deichmann GmbH, in deren Filialen der “Volks-Schuh” von “Bild” verkauft wird.
9.4.2005 Peter Hahne
Kolumnenautor der “Bild am Sonntag”, der zuletzt am 26.10.2004 wegen seines Buches “Schluss mit lustig” zum “Gewinner” des Tages wurde und heute wegen seines Buches “Schluss mit lustig” zum “Gewinner” des Tages wird.
Nachtrag, 10.4.2005
… und noch was: Heinrich von Pierer ist seit Januar 2005 selbstverständlich nicht mehr Vorstandsvorsitzender der Siemens AG, sondern Aufsichtsratsvorsitzender der Siemens AG. (Und wir bedauern das Versehen mindestens ebenso, wie Bild.de vermutlich bedauert, am 19.2.2005 und 24.3.2005 den “Verlierer” des Tages mit demselben Foto illustriert zu haben, obwohl es doch in beiden Fällen Hervé Gaymard zeigt…)
Mit Dank an Dirk Z., Sapheriel und Damaja für die Hinweise.