Neuerdings ist ja Wahlkampf. Und am vergangenen Dienstag stand in der “Süddeutschen Zeitung” ein Artikel über die Grünen, der mit einer launigen Passage (siehe Ausriss) anfing.
“Laut ‘Süddeutscher Zeitung’ trauen immer weniger Parteifreunde dem Metzgerssohn (geschätzt: 112 Kilo) noch zu, daß er den körperlichen Streß eines Wahlkampfes packt.”
Viel mehr als das “Süddeutsche”-Zitat hatte die “Bild”-Zeitung nicht zu bieten – außer eine Titelseite, die gestern so aussah:
Und heute? Heute ist Joschka Fischer laut “Bild” schon “130 Kilo” schwer und in einer “BILD-Fotomontag” sogar noch schwerer:
Was uns daran erinnert, was “Bild” vergangenen Dienstag an anderem Ort geschrieben hatte. Da nämlich hieß es vorwurfsvoll:
Schwer zu sagen, ob das “brutale Grand-Prix-Debakel” (also die Tatsache, dass der deutsche Beitrag beim Eurovision Song Contest in Kiew am vergangenen Samstag auf dem letzten Platz landete) “jetzt” tatsächlich “Konsequenzen” hat, wie es heute in der “Bild”-Zeitung steht, ob es also irgendwie gerechtfertigt ist, wenn “Bild” behauptet:
Tatsache ist, dass der für den Grand Prix zuständige NDR bereits gestern bekannt gab, der bisherige Grand-Prix-Verantwortliche Jürgen Meier-Beer höre “auf eigenen Wunsch” auf.
Tatsache ist auch, dass die Nachrichtenagentur ddp daraufhin schrieb:
“Meier-Beer unterstrich, sein Abgang habe nichts mit dem Grand-Prix-Debakel (…) zu tun (…). Die Gespräche über eine neue Aufgabe für ihn hätten bereits vor einem halben Jahr begonnen.”
Und der NDR legte heute, nach den “ARD feuert Grand-Prix-Chef”-Behauptungen, mit einer zweiten Pressemitteilung nach, in der es heißt:
“Spekulationen in Teilen der Presse, der NDR habe seinen Grand-Prix-Verantwortlichen strafversetzt oder gar gefeuert, entbehren jeder Grundlage (…). Tatsächlich hat Herr Dr. Meier-Beer bereits vor sechs Monaten darum gebeten, nach zehn Jahren mit einer neuen Aufgabe betraut zu werden. Zu diesem Zeitpunkt haben wir gemeinsam begonnen, seinen Wechsel vorzubereiten (…)”
Und wenn sich der NDR nun abermals (und derart ausdrücklich) an die Öffentlichkeit wendet und betont, die Personalie stehe “in keinem Zusammenhang mit dem Abschneiden der Sängerin Gracia beim ‘Eurovision Song Contest'”, dann sollte man sich den “Bild”-Text vielleicht doch noch einmal genauer anschauen. Schließlich findet man dort zwar jede Menge Ausrufezeichen (“Gracia Letzte! Miese Quote! Falsches Konzept!”, “Das brutale Grand-Prix-Debakel in Kiew, jetzt hat es Konsequenzen!”, “Die ARD feuert Grand-Prix-Chef Jürgen Meier-Beer (53)!”, “Null Punkte für den Ex-Unterhaltungs-Chef!”, “Sinkende Einschaltquote!”, “Katastrophales Ergebnis!”, “Hohe Kosten!”, “Falsches Auswahlsystem!”) — aber kein einziges Indiz für die Behauptung, Meier-Beer sei gefeuert worden.
Stattdessen findet man unter dem Stichwort “Traurige Fakten” den Satz:
2000 schauten noch 12 Millionen zu, dieses Jahr nur rund 7 Millionen.
Und das ist in der Tat traurig, weil es nämlich 2000 nicht “12 Millionen”, sondern 10,03 Millionen Zuschauer waren, was hier nur deshalb Erwähnung finden soll, weil “Bild” nicht einmal dort, wo sie ausdrücklich mit “Fakten” aufwartet, mit Fakten aufwartet.
Nachtrag, 18.6.2005:
Bild.de muss eine Gegendarstellung des NDR-Intendanten Jobst Plog u.a. veröffentlichen, in der es heißt, “daß Herr Dr. Meier-Beer bereits vor mehreren Monaten darum gebeten hat, mit einer neuen Aufgabe betraut zu werden und bereits vor Durchführung des ‘Eurovison Song Contest’ feststand, daß Herr Dr. Meier-Beer den Posten des „Grand-Prix-Chefs“ abgeben würde.” Der “Bild”-Artikel selbst ist online nicht mehr verfügbar.
So berichtete “Bild” am Montag über die Ablösung Fritz Egners als Moderator der Sat.1-Show “Die witzigsten Werbespots der Welt” durch Ingo Oschmann. Die (ebenfalls im Springer-Verlag erscheinende) “Welt” hatte darüber bereits am 11.12.2004 ausführlich berichtet – und alles weitere überlassen wir gern dem Online-Medienmagazin DWDL.de, wo es dazu heißt:
Erschreckend an der Geschichte sind zweierlei Dinge: Zunächst die fast ernst gemeinte Sorge, wieso Fritz Egner es nötig hat, mit Monate alten Themen noch einmal durch die Boulevard-Presse zu ziehen. Auf der anderen Seite aber erschreckt die Art und Weise, wie hier der Leser getäuscht wird. Eine Meldung bei “Bild” bedeutet einmal mehr nicht, dass es auch eine Neuigkeit sein muss. Ein sechs Monate altes Thema wird mit Kampagnen-Journalismus der Marke “Wir packen das Reizthema Jugendwahn noch aus” aufgewärmt.
Unser Kanzler ist Putins Kumpel, seine Frau wirbt so lieb für Hundefutter und unser Konsulat in der Ukraine läßt jede Menge schräge Vögel rein.
Anlässlich des Eurovision Song Contest widmet sich “Bild”-Kolumnist Hauke Brost heute Grundsätzlichem. Und wir widmen uns “Bild”-Kolumnist Hauke Brost. Denn das Leben ist eine Achterbahn, nur ungerechter.
Unter obiger Überschrift berichtete die “Bild am Sonntag” gestern, dass die Agentur für Arbeit plane, zukünftig “detaillierte Gespräche mit jedem Arbeitslosengeld-II-Empfänger” zu führen. Genauer gesagt hieß es in der “BamS”:
“Bevor sie eine Stelle vermittelt bekommen, sollen alle Empfänger von Arbeitslosengeld II bei ihrer Arbeitsagentur zum Intim-Verhör!”
Das ist falsch.
Die “Fragen nach privaten Details” (“Wie eng sind Ihre Beziehungen zu Freunden? Gehen Sie regelmäßig zum Arzt? Welche Kontakte zu Ihren Nachbarn pflegen Sie?”), die von der “BamS” aus einem durchaus umstrittenen, internen “Fachkonzept Beschäftigungsorientiertes Fallmanagement im SGB II” zitiert werden, sollen nicht, wie die “BamS” pauschal behauptet, “die Hartz-IV-Betroffenen beantworten, wenn sie einen neuen Job wollen”.
(…) Der neue Protz-Trend kommt – logisch – aus den USA. Dort haben Rap-Ikonen wie Snoop Dogg, 50 Cent oder Namensgeber Pimp Daddy eine Pimp-Mania ausgelöst. (…)
Aha, möchte man da sagen. Oder doch lieber: Ach ja?
Denn selbst, wenn wir den Trendscouts von Bild.de nicht unterstellen wollten, dass sie womöglich was verwechselt und peinlicherweise nicht “Pimp Daddy” sondern Puff Daddy bzw. P. Diddy gemeint haben könnten (ja, sogar, wenn man nach längerem Suchen tatsächlich einen irrelevanten Rap-Musiker gleichenNamens ausfindig zu machen vermag), geht die angebliche “Pimp-Mania” natürlich mitnichten auf irgendeine namensgebende Rap-Ikone zurück, sondern – wie die “Pimpen”-Experten von Bild.de leider verschweigen – bloß auf die ursprüngliche Bedeutung des Wortes pimp, also “Zuhälter”, weshalb dann auch der Begriff Pimp Daddynichts anderes bezeichnet als ein dazugehöriges (nicht nur in Rapper-Kreisen beliebtes) Klischee, das in den letzten Jahren durch Lieder wie dieses, TV-Sendungen wie diese und diese oder sowas noch populärer wurde.
Mit anderen Worten: Die Bild.de-Mär vom “Namensgeber Pimp Daddy” ist ebenso dumm wie dreist (insbesondere dort, wo dann auch noch von “weiblichen Pimps” und dem “Pimp-Doc” die Rede ist), wäre aber kaum der Rede wert, zeigte sie nicht, wie man im Hause “Bild” sogar bei unreif zusammengeschusterten Artikelchen ungeniert drauflosfantasiert.
Mit Dank an Perry für die Anregung und Hannah R. für den Hinweis.
Irgendwie nachvollziehbar, dass die Musiker der Softpopgruppe “Juli” und ihre Plattenfirma nicht begeistert sind von der “Bild”-Behauptung, sie hätten für ihr neues Lied “Regen & Meer” ein “Terror-Video” gedreht. Sowas lässt man sich nicht gerne sagen – zumal dann nicht, wenn es stimmt. (Und da helfen auch keine kurzatmigen Beteuerungen der Bandmitglieder, man würde sich in dem als Kurzfilm gedrehten Videoclip “in keiner Weise” auf die Entführung und Ermordung Hanns Martin Schleyers beziehen. Wer die Geschichte und das Video kennt, dürfte das anders sehen.) Das vorweg.
Andererseits ist die Empörung der Popgruppe nicht nur irgendwie nachvollziehbar, sondern – wenn man sich den “Bild”-Bericht vom vergangenen Mittwoch genauer anschaut – auch irgendwie berechtigt. In “Bild” hieß es nämlich über das “Terror-Video”“Terror-Video”:
Und unmittelbar im Anschluss an die (mit drei harmlosen Punkten) abgebrochene Nacherzählung schrieb “Bild” weiter:
Was “Bild” jedoch komplett verschweigt: Die auffälligen Parallelen zum “Deutschen Herbst” 1977 enden in dem “makabren Video” ungefähr dort, wo auch “Bild” ihre Nacherzählung abbricht… Hernach mündet die fiktionale Handlung des Clips (anders als die Schleyer-Entführung) nicht in die Ermordung des Opfers, sondern im Gegenteil in dessen Befreiung, die Entführer werden festgenommen…
Hätte “Bild” also geschrieben, das filmische Werk zeige deutliche Unterschiede zum “Deutschen Herbst” 1977 – es hätte genauso gestimmt.
Jetzt wird’s erstmal stinklangweilig, denn laut Umsatzsteuergesetz unterliegen hierzulande u.a. Zeitungen und andere Erzeugnisse des graphischen Gewerbes – mit Ausnahme der Erzeugnisse, für die die Hinweispflicht nach § 4 Abs. 2 Satz 2 des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften besteht oder die als jugendgefährdende Trägermedien den Beschränkungen des § 15 Abs. 1 bis 3 des Jugendschutzgesetzes unterliegen, gemäß Anlage 2 (zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 und 2) dem ermäßigten Steuersatz von sieben Prozent. Darüber hinaus aber beträgt die Steuer gemäß UstG § 12 Abs. 1 für jeden steuerpflichtigen Umsatz sechzehn Prozent der Bemessungsgrundlage.
Anders gesagt: Pornohefte beispielsweise sind jugendgefährdende Schriften oder Trägermedien und u.a. deshalb so teurer, weil in ihrem Verkaufspreis der volle Umsatz- oder Mehrwertsteuersatz von sechzehn Prozent enthalten ist, wohingegen die meisten Zeitungen und Zeitschriften mit nur sieben Prozent besteuert werden.
Weiter heißt es in der gerade mal 27-zeiligen Meldung auf der Titelseite:
Politiker von SPD und Union fordern, daß die Mehrwertsteuer auf Sexmagazine von zur Zeit sieben auf 16 % erhöht wird!
Im Anschluss zitiert “Bild” dann u.a. den niedersächsischen SPD-Fraktionschef Sigmar Gabriel mit der Aussage:
“Das ist doch obszön! Uns fehlt das Geld (…), aber gleichzeitig subventionieren wir Pornohefte.”
Das Zitat fiel, wie man nicht aus “Bild”, wohl aber aus Gabriels Büro erfährt, tatsächlich in der “Sabine Christiansen”-Sendung vom vergangenen Sonntag — und ist (peinlicherweise) sachlich falsch, weil Pornohefte, wie gesagt, ohnehin mit dem “normalen” Steuersatz von 16 Prozent besteuert werden.
Und man kann nun spekulieren, ob von Gabriel womöglich gar nicht Pornohefte, sondern “Schmuddelhefte” (also frei verkäufliche Druckerzeugnisse mit mehr oder weniger nackten, sexuell anregenden Inhalten wie “Playboy”, “Coupé”, “Bild”…) gemeint waren, um deren Besteuerung offenbar schon länger gestritten wird. Man kann es auch mit Recht schlimm finden, dass Politiker öffentlich über Dinge reden, von denen sie offensichtlich nichts verstehen, aber…
… aus dem Porno-Unsinn eine ähnlich unsinnige Seite-1-Schlagzeile machen und ohne jeden Sachverstand daherreden, “Pornohefte könnten in Deutschland bald deutlich teurer werden”, kann man eigentlich nicht.
Im Jahr 1967 drehte Sergio Leone den Italowestern “The Good, the Bad and the Ugly”. Ebenfalls 1967 formulierte der “Bild”-Erfinder Axel C. Springer seine Unternehmensgrundsätze, zu denen (bis 1990) auch das “Eintreten für die friedliche Wiederherstellung der deutschen Einheit” gehörte. Und am 17. Juni verleiht das “Kuratorium Deutsche Einheit” bei Geisa in der Rhön den diesjährigen “Einheitspreis”“Point-Alpha-Preis” an Michail Gorbatschow, George Bush und Helmut Kohl.
Und man mag sich die hitzigen Diskussionen in der “Bild”-Redaktion gar nicht vorstellen, als es darum ging, zu entscheiden, welcher der drei Preisträger den über 12 Millionen “Bild”-Lesern heute als “Gewinner” des Tages ans Herz gelegt werden sollte:
Entschieden hat sich “Bild” am Ende für den Trauzeugendes Chefredakteurs. Und Sergio Leones Westernklassiker heißt auf deutsch bekanntermaßen“Zwei glorreiche Halunken”.
Am gestrigen Mittwoch berichtete “Bild” über “eines der schlimmsten Verbrechen der deutschen Nachkriegsgeschichte”: das “Gutenberg-Massaker”. “Bild” schrieb:
“Hunderte von Menschen zogen im strömenden Regen zum Gutenberg-Gymnasium (…).”
Aber auch Bild.de berichtete vom “3. Jahrestag des Schulmassakers von Erfurt”. Dort hieß es:
“Zum dritten Jahrestag der Bluttat kehrten die Schüler jetzt erstmals gemeinsam in das inzwischen sanierte Schulgebäude zurück.”
Und unter ein Foto vom Schulgebäude hat Bild.de einen ähnlichen Satz geschrieben:
“Abgeschottet von der Öffentlichkeit betreten die Schüler und Lehrer erstmals wieder ihre alte Schule”
Das dazugehörige Foto allerdings (siehe Ausriss) zeigt nicht etwa Schüler und Lehrer, die “abgeschottet von der Öffentlichkeit” und “erstmals wieder” ihre alte Schule betreten. Vielmehr wurde es vier Tage nach der “Bluttat” aufgenommen, ist also knapp drei Jahre alt (siehe z.B. hier oder hier) und zeigt Trauernde vor dem Schulportal, was Bild.de selbst ja schon deshalb hätte auffallen müssen, weil auf dem Foto die Sonne scheint, obwohl es doch laut “Bild” in Strömen regnete.
Doch sogar für einen Nicht-Meteorologen wäre der Irrtum vermeidbar gewesen. Schließlich wurde das Schulgebäude, wie ja auch Bild.de zu berichten wusste, “inzwischen saniert” bzw. für rund 10 Millionen Euro komplett neugestaltet und sieht deshalb längst (siehe Ausriss) ganz anders aus.