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Leser-Beteiligung immer teurer

So teuer ist alles geworden!
Und Sie wundern sich, wo Ihr Geld geblieben ist? (…)

Die große Geld-Debatte in BILD: Millionen Deutsche müssen jeden Cent umdrehen, leben an der Dispo-Grenze! Ein Grund: Die meisten Preise sind in den letzten Jahren stark gestiegen. Ob beim Einkaufen, in der Kneipe oder beim Tanken — fast alles ist teurer geworden!”
(“Bild” vom 28.7.2006, Seite 1)

Heute aber gibt “Bild” sich generös: Für die heutige Veröffentlichung eines “BILD-Leser-Reporter”-Fotos zahlt das Blatt nicht, wie üblich, 500 Euro, sondern — als “Extrahonorar” — das Doppelte.

Groß steht das heute auf der letzten Seite von “Bild”:

"1000 Euro für das 1000. Leser-Reporter-Foto!" (stark verkleinert)

Naturgemäß weniger groß ist das Kleingedruckte. Zu den Kosten für die Zusendung eines “Leser-Reporter”-Fotos heißt es dort:

"29 Cent zzgl. Gebühren" (Originalgröße)

Bei täglich bis zu 4000 Einsendungen (Quelle: Kai Diekmann) wird sich “Bild” da also auch schon mal ein “Extrahonorar” leisten können — zumal “Bild” ja nicht schon immer 29 Cent pro MMS verlangt. Im Gegenteil: Wie garantiert alle “BILD-Leser-Reporter” längst mitgekriegt haben, hat “Bild” den kleingedruckten MMS-Preis von vormals 19 Cent unlängst klammheimlich einfach mal so übers Wochenende um satte 50 Prozent erhöht.
 
PS: Über den neuen “Mitmach-TV-Sender” Help-TV schrieb Bild.de jüngst: “Jeder Anruf kostet 49 Cent, egal, ob man durchkommt oder nicht.” Bild.de witterte “Abzocke”. Und das ist immerhin insofern bemerkenswert, als ja auch jedes “BILD-Leser-Reporter”-Foto “29 Cent zzgl. Gebühren des Netzbetreibers” kostet, egal, ob es gedruckt wird oder nicht.

Silberpfeil mit fremden Federn

Stimmt: Der neue McLaren-Mercedes MP4-22 (auch “Silberpfeil” genannt) soll, wie auch “Bild” heute schreibt, offiziell erst Mitte Januar nächsten Jahres in Valencia vorgestellt werden. Aber:

"Schon heute ist er in BILD zu sehen..."

Und tatsächlich: Neben diesem “Bild”-Satz findet sich heute der “Foto-Beweis” (“entstanden bei einem geheimen Foto-Termin in Jerez”).

Nach einem Foto-Nachweis für den “Foto-Beweis” suchen die Millionen “Bild”-Leser* heute allerdings ebenso vergebens wie nach einem Hinweis darauf, dass nicht etwa “Bild” den MP4-22 “erwischt” und “das exklusive Geheimnis gelüftet” hat, sondern (wie man auch hierzulande seit Montag bei F1Total.com nachlesen kann) die spanische Tageszeitung “Marca”. Auf deren Titelseite war der “Foto-Beweis” schließlich schon vor einer Woche zu sehen…

Mit Dank an Christine N. für den Hinweis.

*) Bild.de ist es immerhin gelungen, in der “Bild”-Meldung den Fotonachweis (“Marcamedia”) unterzubringen.

Kai Diekmanns beredte Sprachlosigkeit

“Bild” ist ein vielseitiges Ding. Die Zeitung will nach eigenen Angaben täglich “Nachrichten, Hintergründe und Unterhaltung aus allen Bereichen des politischen und gesellschaftlichen Lebens” auf den Punkt bringen, Missstände aufdecken und publik machen. Aber “Bild” will auch helfen. Deshalb gibt es seit 1978 die Stiftung “EIN HERZ FÜR KINDER” im Verein “BILD hilft” e.V., die sich bis heute ausdrücklich als “Hilfsorganisation der BILD-Zeitung” versteht. Und es vergeht kaum ein Monat, in dem “Bild” nicht auch selbst die Erfolge der eigenen, weltweit operierenden Hilfsorganisation feiert.

Eine andere weltweit operierende Hilfsorganisation ist HELP. Der ebenfalls gemeinnützige Verein, gegründet von Politikern, Wissenschaftlern und Kirche, ruft seit 1981 unter dem Motto “Deutsche helfen Afghanistan” zu Spenden auf. Heute steht HELP unter der Schirmherrschaft von Gesine Schwan, Bundestagsabgeordnete unterschiedlichster Parteien sitzen im HELP-Vorstand, das Auswärtige Amt, und das Wirtschaftsministerium gehören ebenso zu den HELP-Partnern wie die EU-Kommission für humanitäre Hilfe, die Stadt Bonn, Unicef und andere.

So. Und nachdem die “Bild”-Zeitung kürzlich mehrere Tage lang für Diskussionen sorgte, weil sie unschöne Fotos von Bundeswehrsoldaten in Afghanistan gezeigt hatte, hatte HELP eine Idee — und schrieb der “Bild”-Zeitung einen Brief.

Der Brief [pdf], geschrieben vom HELP-Geschäftsführer Wolfgang Nierwetberg an “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann, ist in seiner Argumentation vielleicht etwas unbeholfen, das Anliegen gewagt: Nierwetberg schlägt vor, “eine Spendenkampagne zugunsten der in Afghanistan tätigen deutschen Hilfsorganisation zu starten, etwa unter dem Arbeitsmotto ‘Wir können auch anders — Deutschland hilft Afghanistan’“.

Der Tonfall des HELP-Schreibens ist besorgt. So heißt es darin beispielsweise:

“Die Fotos und die daraus resultierende Berichterstattung zerstören nicht nur die bisher gute Reputation Deutschlands in Afghanistan, sondern werden wohl auch zu erheblichen Problemen für die Arbeit der deutschen humanitären Hilfsorganisationen in Afghanistan führen. (…)”

Und weil HELP befürchtet, dass sich “fundamentalistische Gruppen in Afghanistan und der islamischen Welt (…) in der nächsten Zeit vermehrt gegen deutsche Ziele richten werden”, appellierte die Organisation auch an ihren potentiellen Medienpartner:

“Die BILD als größtes deutsches Blatt, die durch die Veröffentlichung der Fotos nun auch in der islamischen Welt Aufmerksamkeit genießt, zeigt öffentlich und stellvertretend für Deutschland: Wir können auch anders.”

Das aber war offensichtlich ein Irrtum, wie Diekmanns Antwort [pdf] zeigt: Statt zu freundlichen Worten oder einer unverbindlichen Absage entschied sich der “Bild”-Chef für eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem HELP-Schreiben, die überraschend polemisch ausfällt.

So antwortet Diekmann auf den “Wir können auch anders”-Vorschlag:

“Ich will gar nicht anders! Ich will Mißstände aufdecken und publik machen — denn das ist die Aufgabe von Medien (…) auch ohne Rücksicht auf das etwaige Vertrauen irgendwelcher islamischen Völkerschaften. Deutschland liegt mir am Herzen, wie auch das gesetzeskonforme Funktionieren seiner Institutionen. (…) Und es ist nicht unser Job, (…) irgendwelchen Hilfsorganisationen ihre Arbeit zu erleichtern. (…) Sie werden hoffentlich nicht von der deutschen Presse verlangen, daß sie Nachrichten unterdrückt und Fehlentwicklungen innerhalb staatlicher Institutionen deckt, nur damit Ihre Mitarbeiter ihrer freiwilligen humanitären Selbstverwirklichung möglichst ungestört nachgehen können. (…)”

Diekmanns Antwort an den HELP-Chef beginnt mit den Worten:

"manche Briefe machen mich sprachlos. Ihrer ist so einer."

Schade nur, dass sich die Sprachlosigkeit des “Bild”-Chefs in Formulierungen wie “irgendwelche islamischen Völkerschaften”, “irgendwelche Hilfsorganisationen” oder gar “freiwillige humanitäre Selbstverwirklichung” manifestiert.

Mit Dank an Farlion für den Hinweis.

Vom Freund des Hauses zum Mann der Woche

Als “Bild” im März, nun ja, tagelang eine Kampagne gegen den Bundestag wegen der Luxus-Pensionen führte, fragte “Bild” den FDP-Chef Guido Westerwelle:

“Herr Westerwelle, teilen Sie die Meinung des Parlamentspräsidenten, daß BILD eine Kampagne gegen den Bundestag wegen der Luxus-Pensionen führt?”

Westerwelle antwortete:

“Davon kann ja nun wirklich keine Rede sein!”

Drei Monate später schrieb Westerwelle die erste seiner “Bild”-Kolumnen, die das Blatt seitdem immer freitags exklusiv als redaktionellen Beitrag veröffentlicht, bevor sie sich anschließend auch als Pressemitteilung auf der FDP-Website wiederfinden.

Wir lassen das mal so stehen.*

Heute nun schreibt “BamS”-Kolumnist Martin S. Lambeck über seinen “Bild”-Kollegen Westerwelle, nennt ihn “FDP-Partei- und Fraktionschef” und: “Mann der Woche…”

Warum? Wegen Joschka Fischer. Dem Ex-Außenminister, der keine “Bild”-Kolumnen schreibt, war es kürzlich gelungen, vor Gericht 200.000 Euro “fiktive Lizenzgebühr” zu erstreiten, weil sein Gesicht von der Zeitung “Welt kompakt” (Lambeck nennt sie übrigens fälschlich “Die Welt”) für eine Werbekampagne verwendet worden war. Und man kann das, keine Frage, humorlos finden. Doch Lambeck schreibt:

“Ganz anders Westerwelle: Er bat die “Welt” um einige Dutzend Postkarten mit dem netten Kindergesicht, weil ihn darauf viele Bürger angesprochen hatten. Die Karten hat Westerwelle signiert verschenkt.”
(Link von uns.)

Ach ja: Sowohl die Zeitung, deren Werbepostkarten Westerwelle signiert verschenkt, als auch die Zeitung, in der Westerwelle allwöchentlich eine Kolumne schreibt, und die Zeitung, die ihn heute zum “Mann der Woche” macht, erscheinen alle im selben Verlag.

*) Vielleicht könnte man noch daran erinnern, dass die “Süddeutsche Zeitung” kurz nach Westerwelles erster “Bild”-Kolumne berichtet hatte, Michael Backhaus, damals noch Mitglied der “Bild”-Chefredaktion, halte es für “falsch, eine solche Kolumne einem Parteiführer und Oppositionspolitiker zu geben”. Nur einen Monat später gab Backhaus, wie die Axel Springer AG mitteilte, “die Verantwortung für BILD (…) ab”. (“Seine Vorstellung von Boulevardjournalismus, der Qualität und Seriosität nicht ausschließt, ließ sich bei ‘Bild’ nicht umsetzen”, kommentierte der “Tagesspiegel”.) Seither arbeitet Backhaus nur noch für die “BamS”.

Diekmanns rechte Verbindungen

Selbst, wenn er wollte: Kai Diekmann, Chefredakteur der “Bild”-Zeitung, dürfte nicht SPD-Mitglied werden. Die Partei jedenfalls würde einen entsprechenden Antrag Diekmanns ablehnen.

Aber der Reihe nach:

Obwohl nicht unbedingt dafür bekannt, als Vortragsreisender emsig durch die Lande zu touren, scheint Kai Diekmann in letzter Zeit häufiger am Rednerpult zu stehen. Insbesondere sein Vortrag über den “Erfolg der Marke BILD” hat es ihm offenbar angetan. Nach Auftritten beim “PR-Club Hamburg” und dem sog. “Wirtschaftsrat der CDU” hält er ihn am heutigen Donnerstag zum dritten Mal, diesmal in Münster — bei der Burschenschaft Franconia.

Schließlich will die traditionsreiche Studentenverbindung ihren Mitgliedern “das richtige Rüstzeug für die spätere verantwortungsbewusste Teilnahme am gesellschaftlichen und politischen Leben” vermitteln. So steht es auf der Franconia-Homepage. Außerdem steht dort, dass die Franconia “Mitbegründer der Burschenschaftlichen Gemeinschaft” sei, die kurz als “Zusammenschluss von Burschenschaften Deutschlands und Österreichs” beschrieben wird.

Grundlegend für die Burschenschaftliche Gemeinschaft ist dabei, dass keine Abtretung der Ostgebiete stattgefunden hat, sondern daß sich diese Gebiete im Schwebezustand befinden, da keine Abstimmung darüber unter den Vertriebenen durchgeführt wurde. Weiterhin unterstützt die Burschenschaftliche Gemeinschaft den volkstums-bezogenen Vaterlandsbegriff ohne Rücksicht auf Staatliche Gebilde und deren Grenzen.Unerwähnt lässt die Franconia allerdings, dass es sich bei der “Burschenschaftlichen Gemeinschaft” (siehe Ausriss) um einen von Burschenschaftskritikern des Rechtsextremismus verdächtigten Zusammenschluss innerhalb des Dachverbandes “Deutsche Burschenschaft” handelt, der (laut “Frankfurter Rundschau”) “mit der Abgrenzung nach rechts schon immer Schwierigkeiten hatte” und laut SPD “eindeutig biologistisch, völkisch und großdeutsch ausgerichtet” ist.

Zu den 22 deutschen Mitgliedern der “Burschenschaftlichen Gemeinschaft” zählen neben der Franconia Münster auch Burschenschaften, die schon in diversen Verfassungschutzberichten auftauchten, weil sie “keine Berührungsängste” zu Alt- und Neonazis zeigten. Und der SPD-Vorstand setzte im Frühjahr einen umstrittenen “Unvereinbarkeitsbeschluss” durch, wonach niemand Mitglied der SPD sein dürfe, der Mitglied einer Burschenschaft der “Burschenschaftlichen Gemeinschaft” sei.

Die Franconia selbst musste sich noch bis in dieses Jahr vorwerfen lassen, dass sie 2004 den angeblich ehemaligen Neonazi Oliver Westerwinter in ihren münsteraner Räumlichkeiten beherbergt habe.

Alles das aber dürfte Kai Diekmann, dem “Bild”-Chef, der heute ab 19 Uhr in ebenjenen Räumlichkeiten der Franconia Münster seinen Vortrag hält, ohnehin bekannt sein: Immerhin ist er selbst dort seit seiner Studienzeit* Mitglied.

*) Nachtrag, 27.10.2006: Möglicherweise ist Diekmann nicht, wie wir behauptet haben, seit seiner Studienzeit Franconia-Mitglied, sondern war dort offenbar während seiner Studienzeit Mitglied und ist es seit einiger Zeit wieder.

Nachtrag, 28.10.2006: Ein BILDblog-Korrespondentenbericht von der Franconia-Veranstaltung

“Bild” schockiert über “Bild”-Methoden

Es ist schon oft geschrieben worden, dass die Entertainerin Charlotte Roche von der “Bild”-Zeitung “erpresst” wurde, damals im Jahr 2001, kurz nachdem mehrere Familienmitglieder Roches bei einem tragischen Unfall ums Leben gekommen waren. (1) &quote;Dann meldete sich die
'Bild-Zeitung. 'Sie haben
mich erpresst', sagt Roche.
'Entweder du gibst uns ein
Interview, oder wir machen
eine Geschichte, die nicht
gut ist für dich. (...)'&quote;

   &quote;Stern&quote; v. 20.11.2003

(2) &quote;Dem 'Stern' erzählt die
Moderatorin später, dass sie
kurz nach diesem 'Abschuss'
von jemandem aus der 'Bild'-
Redaktion angerufen worden
sei. (...)&quote;

  &quote;Tagesspiegel&quote; v. 5.9.2004

(3) &quote;Dem 'Tagesspiegel' liegt
allerdings ein Schreiben
eines Mitarbeiters der Pres-
seabteilung von Viva vor,
dem Sender, bei dem Char-
lotte Roche damals mode-
rierte. Darin heißt es: 'Kurze
Zeit nach dem tödlichen Un-
fall von Charlottes Brüdern
hat sich damals ein 'Bild'-
Redakteur bei mir telefonisch
gemeldet. (...)&quote;

   &quote;Tagesspiegel&quote; v. 14.11.2004

(4) &quote;Die 'Bild'-Leute riefen
bei Viva an. Ein Mitarbeiter
des Senders hat seine Erin-
nerungen an das Gespräch
notiert: 'Kurze Zeit nach dem
tödlichen Unfall hat sich ein
'Bild'-Redakteur bei mir
gemeldet. (...)'&quote;

   &quote;Stern&quote; v. 12.12.2005

Und “Bild” hat es stets bestritten.

Genauer gesagt, hat “Bild” es nicht öffentlich bestritten, als 2003 der Erpressungsvorwurf erstmals öffentlich gemacht wurde (1). Wohl aber, als der “Tagesspiegel” Roches Vorwurf aus dem “Stern” ein Jahr später wiederholte (2). “Bild” setzte eine Gegendarstellung durch, der “Tagesspiegel” präzisierte daraufhin den Erpressungsvorwurf (3), wogegen “Bild” offenbar wiederum nicht vorging. Als allerdings der “Stern” — abermals ein Jahr später — die nunmehr präzisierte “Bild”-Erpressungsversion wiederholte (4), wollte “Bild” auch dies doch wieder nicht hinnehmen.

Seitdem streiten sich “Bild” und “Stern” vor Gericht — zuletzt am gestrigen Montag vor dem Landgericht München I.

“Erpresst die Bild-Zeitung Promis mit Telefonterror?” fragt deshalb heute die “Süddeutsche Zeitung”, beschreibt noch einmal minutiös, wie “Bild” damals, vor inzwischen fast fünfeinhalb Jahren, vorgegangen sein soll und lässt nicht unerwähnt, dass “Bild” die Schilderung falsch und “verheerend” finde.

Das Gericht allerdings zweifelt laut “Süddeutsche” nicht an Roches Schilderung.

Weil sich aber offenbar die zentrale “Stern”-Behauptung (“Die ‘Bild’-Leute riefen bei Viva an”) nicht beweisen lässt, könne das Gericht nicht ausschließen, “dass etwa freie Reporter unter der Flagge des Blattes [“Bild”] segelten”. Es habe daher einen Kompromiss vorgeschlagen:

Der “Stern” dürfe zwar schreiben, dass sich die Anrufer als ‘Bild’-Reporter ausgegeben hätten — aber nicht, dass sie es auch tatsächlich gewesen seien.*

… auch wenn der “Stern”-Anwalt darauf hinwies, dass es unwahrscheinlich sei, “dass acht Trittbrettfahrer sich nacheinander ausgerechnet auf ‘Bild’ berufen würden”.

*) Laut “Süddeutsche” haben die Verlage bis zum 10. November Zeit, dem vom Gericht vorgeschlagenen Kompromiss zuzustimmen, andernfalls wird am 22. November ein Urteil verkündet.

Kreativ kochen mit Konserven

“Bild” schreibt heute, der 1960 verurteilte Mörder Heinrich Pommerenke spreche “jetzt (…) erstmals seit Jahren über sein Leben”.

Das stimmt — auch wenn er doch vor gerade mal zwei Jahren in der “Welt” zu Wort gekommen war. Die daher etwas übertrieben wirkende Ankündigung ist “Bild” jedoch nicht anzulasten — jedenfalls nicht zunächst. Denn so wie sich “die Kolleginnen und Kollegen von der ‘Bild'” unlängst von Marcel Reich-Ranicki öffentlich als “abscheuliche Schlampen und Schlamper” bezeichnen lassen mussten, obwohl sie doch nur einen Fehler aus einer Agentur-Meldung übernommen hatten, stammt auch die obige “erstmals seit”-Formulierung direkt aus einer dpa-Ankündigung:

Erstmals seit vielen Jahren konnte der 69-Jährige in der Justizvollzugsanstalt Bruchsal interviewt werden. Das Justizministerium Baden-Württembergs machte eine Ausnahme von dem strikten Besuchsverbot für Journalisten und erlaubte dem Karlsruher dpa-Korrespondenten Wolfgang Janisch ein mehrstündiges Gespräch mit Pommerenke.

Immerhin: Nach diesem Ankündigungs-Überschwang wurde der gestern vormittag veröffentlichte dpa-Korrespondentenbericht über Pommerenke heute von verschiedenen Tageszeitungen ganz ohne aktuellen Anlass* im Wortlaut abgedruckt.

Ganz anders “Bild”: Obwohl auch der “Bild”-Bericht ohne Zweifel auf der dpa-Veröffentlichung beruht, finden sich in “Bild” noch allerlei zusätzliche Sentenzen — als hätte “Bild” ebenfalls eine Ausnahme vom Besuchsverbots für Pommerenke bekommen und nur vergessen, “der brutale Frauen-Schlächter zu BILD” oder “exklusiv” dazuzuschreiben. Andererseits stand quasi alles, was heute in “Bild” zusätzlich zu lesen ist, vor zwei Jahren schon in der “Welt”. Ein Beispiel?

Angenommen, jemand würde ihm ganz viel Geld geben: Dann würde er einen alten Bauernhof kaufen und ihn zu einem Alten- und Waisenheim umbauen. Ein Gebäudeteil wäre für allein erziehende Mütter reserviert (...)

Und nun zum Vergleich die aktuelle “Bild”-Version:

"Wenn ich freikäme, würde ich gerne einen Bauernhof kaufen und ihn zu einem Alten- und Waisenheim umbauen. Ein Gebäudeteil wäre für alleinerziehende Mütter."

Wir fragen uns deshalb: Kann das sein? Hat “Bild” hier einfach aus der (zwei Jahre alten) Formulierung eines Journalisten einen (scheinbar brandaktuellen) O-Ton des Mörders gemacht?!

Die “Welt” übrigens schloss damals mit den Worten:

Aber es gibt ja ein Leben danach, ein ganz neues Leben bei Gott. “Da gibt es keine Schuld und keine Tränen.” Davon ist Heinrich Pommerenke felsenfest überzeugt.

Und “Bild”? Hat sich für folgenden Artikelschluss entschieden:

Doch er hofft auf ein Leben nach dem Gefängnis, ein Leben bei Gott. Der fromme Häftling: “Da gibt es keine Schuld und keine Tränen.”

Man nehme also:

  • 1 frische Agenturmeldung
  • 1 Archiv-Text (aus der Konserve)
  • 8 Paar Gänsefüßchen
Vor der Zubereitung Quellenangaben gründlich entfernen, Zutaten kräftig durcheinandermischen und mit den willkürlich eingestreuten Anführungszeichen abschmecken, fertig.

 
Mit Dank an Jonas P. für den Hinweis.

*) Nachtrag, 24.10.2006 (mit Dank an Nico): Es gab offenbar doch einen aktuellen Anlass für den dpa-Bericht (der allerdings aus der aktuellen Berichterstattung selbst nicht hervorgeht): Pommerenke wurde am 22. Oktober 1960 verurteilt.

“BamS”-Informant enttarnt

Axel Sülwald berichtet heute für die “Bild am Sonntag” (Preis am Kiosk: 1,40 Euro) kurz, aber groß über den neuen Fiat 500:

“Nach BamS-Informationen soll die für Mitte 2007 erwartete “Knutschkugel” (…) ab 2008 auch als Cabrio kommen!”

Und zur Illustration zeigt die “BamS” freundlicherweise sogar “schon einmal” zwei “Computer-Animationen” des Autos.

Doch woher hat “BamS”-Autor Sülwald bloß seine ominösen “BamS-Informationen”?

Nun, nach BILDblog-Informationen gehört er möglicherweise einfach nur zu den weit über 200.000 Menschen, die monatlich bei autoexpress.co.uk vorbeischauen. Meldung und Bilder finden sich nämlich auch auf der Website der größten britischen Autowochenzeitschrift*. Allerdings schon seit anderthalb Wochen. Exklusiv. Und obendrein kostenlos.

Nachtrag, 20.40 Uhr: Naja, oder “BamS”-Autor Sülwald gehört zu den knapp 300.000 Lesern des gedruckten “Auto Express”. Der hatte das Fiat-Cabrio schließlich in seiner letzten Ausgabe als Cover-Story.

*) Und noch ein Nachtrag: BILDblog-Leser Jens-Uwe R. weist zu Recht darauf hin, dass es sich beim “Auto Express” um die britische Lizenzausgabe der “Auto-BILD” handelt.

… aus dem Sinn

Weil Robert V.* mehrere Fotos einer “Kürbis-Regatta” im kanadischen Bécancour an die “Bild”-Zeitung geschickt hat, darf er heute quer über eine “Bild”-Seite behaupten:

“Bild” glaubt ihm das offenbar unbesehen und behauptet auch:

“Er (…) ist der erste BILD-Leser-Reporter aus Übersee.”
(Link von uns.)

Was aber ist dann mit Manja S.?

Was mit Joachim K.?

Und was mit Sabine W.?

Mit Dank an Volker K.
*) Alle Anonymisierungen von uns.

neu  

Wie “Bild” den Kopf aus der Schlinge zieht

Was ist Kai Wessel für ein Mensch? — Wir wissen es nicht.

Wir wissen nur: Kai Wessel schreibt in “Bild”. Geschichten aus Ostwestfalen. Viel passiert dort nicht. Aber wenn, dann tragen Wessels “Bild”-Geschichten Überschriften wie diese:

“Hund beim Gassigehen hingerichtet!”
“Celina (6) auf Spielplatz von Jagdterrier zerfleischt”
“Arzt-Pfusch bei Deck-Pudel”
“Amokläufer erschoss Cousin und Freund”

Und vor einer Woche schrieb Kai Wessel unter der Überschrift “Tatort Schule – Sie wollten meinen Jungen in der Turnhalle aufhängen”:

“Hilflos baumelte der kleine Junge (6) über dem Boden. Immer tiefer grub sich die Schlinge in seinen Hals. Röchelnd schnappt er nach Luft.

Aufgeknüpft im Kinderhort!

Schauplatz der ‘Hinrichtung’ war (…) ein Detmolder Kinder- und Jugendhaus (…).”

Anschließend rekonstruierte Wessel die “Chronologie einer unfassbar brutalen Tat”:

“Eine Gruppe Jugendlicher (11–14) fiel im Toberaum der Tagesstätte über den kleinen S.* her. Ihr Anführer schnappte sich ein kräftiges Seil, band es ihm um den Hals. Dann ließ er S. daran herunter baumeln — wie am Galgen.”
*) Abkürzung des Namens von uns.

Soweit Kai Wessel in “Bild”. Es klingt, als wäre er dabeigewesen. War er aber nicht. Doch wie zum Beweis zitierte Wessel die örtliche Polizei: “Wir ermitteln wegen Körperverletzung (…).”

Einen Tag später berichtete dann die “Lippische Landes-Zeitung” und fasste zunächst Kai Wessels “Bild”-Bericht zusammen:

“Schlagzeile und Text beschrieben in interpretationsfreien Worten ein Lynchszenario.”

Aber nicht nur das. Die “Lippische” schreibt auch:

“Dieses Szenario allerdings soll es laut Polizei nie gegeben haben (…): ‘Es ist richtig, dass die Mutter des Kindes (…) Anzeige erstattet hat und wir daraufhin die Ermittlungen
aufgenommen haben (…). Von Aufhängen wie in einem Western war dabei aber überhaupt nicht die Rede. (…) Offenbar gab es keine jugendliche Tätergruppe, und es wurde auch niemand mit einer Schlinge brutal aufgeknüpft.’

Stattdessen sei, so die “Lippische” (unter Berufung auf Polizei und Kinderhort), die Halsverletzung des Jungen womöglich “durch einen Unfall beim Spielen verursacht” worden, wobei sich der Sechsjährige am Seil einer Hängematte verletzt haben könnte. Er habe jedoch “nach dem Vorfall an anderer Stelle im Haus sogar noch weitergespielt”.

Gut, hier könnte die Geschichte zu Ende sein. (“Bild” berichtet, die Polizei dementiert, man kennt das.) Ist sie aber nicht — nicht für das Detmolder Kinder- und Jugendhaus, das wegen Kai Wessels “Bild”-Bericht um seinen Ruf fürchtet, und nicht für uns, denn:

Nach der Veröffentlichung der “Lippischen Landeszeitung” entschloss sich “Bild” zu einer, ähm… Korrektur?


“(…) Jetzt kam raus: Der Täter ist erst acht Jahre alt. Nach Darstellung einer Mitarbeiterin kam es zwischen den Jungs zu einem Streit.”

Abgesehen davon bleibt “Bild” anscheinend bei ihrer Darstellung.

Und wer ist der Autor dieser Unverfrorenheit? — Wir wissen es nicht.

Mit Dank an Stefan D., Jürgen T und die Detmolder Polizei, die uns bestätigt, die Darstellung der “Lippischen Landes-Zeitung” treffe “den Nagel auf den Kopf”.

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