1.2 Ziele des Pandemieplans
Der Plan soll einerseits Eckpunkte für die notwendigen Maßnahmen zur Vorbereitung auf eine Pandemie vorgeben und andererseits Richtlinien für das fachlich-organisatorische Management in der Frühphase und während des eingetretenen Pandemiefalls bereitstellen. Es sollen damit folgende Ziele erreicht werden:
- die Reduktion der Morbidität und Mortalität in der Gesamtbevölkerung,
- die Sicherstellung der Versorgung erkrankter Personen,
- die Aufrechterhaltung essentieller, öffentlicher Dienstleistungen,
- die zuverlässige und zeitnahe Information für politische Entscheidungsträger, Fachpersonal, die Öffentlichkeit und die Medien.
Wichtig ist zur Minimierung der Gesamt-Morbidität und -Mortalität auch die Aufrechterhaltung einer adäquaten Gesundheitsversorgung und der öffentlichen Ordnung. Essentielle Dienstleistungen wie die Versorgung mit Trinkwasser und Nahrungsmitteln, Energie, die Kommunikation und Information, das Transportwesen und nicht zuletzt die innere und äußere Sicherheit, insbesondere auch das Gesundheitswesen sind durch pandemiebedingten Personalausfall gefährdet. Daher muss der Influenza-Prophylaxe der entsprechenden Berufsgruppen ein besonderer Stellenwert eingeräumt werden.
4 Rechtliche Aspekte
[…] Die Frage der Priorisierung bestimmter Bevölkerungsgruppen bei der Prophylaxe setzt aufgrund der Einschränkung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Grundgesetz das Vorliegen sachlicher Gründe, wie z. B. der Aufrechterhaltung der Patientenversorgung und der Öffentlichen Ordnung, voraus. […]
6.2.3 Impfstrategie im Pandemiefall
Ziel der Impfprävention im Rahmen einer Pandemie ist der möglichst rasche und vollständige Impfschutz der gesamten Bevölkerung vor dem pandemischen Virus. Jedoch wird auch bei deutlich beschleunigter Impfstoffproduktion und Zulassung zunächst nicht ausreichend Impfstoff für die gesamte Bevölkerung zur Verfügung stehen. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit einer Priorisierung der zu impfenden Gruppen. Dies empfiehlt auch die WHO in ihrem Pandemieplan von 1999. Die Kriterien für eine Priorisierung müssen klar und transparent sein und begründet werden. Die Entscheidungen müssen bundesweit nach einer einheitlichen Praxis gefällt und im gesellschaftlichen Konsens getroffen werden.
Eine Prioritätensetzung kann prinzipiell unter verschiedenen Gesichtspunkten erfolgen:
1. politisch-sozialer Aspekt: Impfung von
(1) dem in der Akutmedizin beschäftigten medizinischen und Pflegepersonal, nachrangig aber auch sonstiges medizinisches und Pflegepersonal.
(2) Beschäftigten, die für die öffentliche Ordnung wichtig sind,
(3) Berufstätigen.
Ziel hierbei ist die Aufrechterhaltung der medizinischen Versorgung und der staatlichen Infrastruktur sowie der Minimierung der wirtschaftlichen Folgen einer Pandemie.
[…] Ziel einer Prioritätenliste muss eine Impfstoffverteilung sein, die den höchsten Nutzen für die Minderung der Morbidität und Mortalität verspricht. Dies kann am ehesten durch ein funktionierendes Gesundheitswesen erreicht werden. Die Expertengruppe ‘Influenza-Pandemieplanung’ am RKI hat sich dafür ausgesprochen, dass der Aufbau eines ausreichenden Immunschutzes im Falle sehr knapper Impfstoffressourcen prioritär für das Personal im (akuten) ambulanten und stationären medizinischen Versorgungsbereich gewährleistet werden soll. Dafür gibt es drei Begründungen:
(1) durch den ständigen Kontakt zu erkrankten Patienten, Kollegen und Besuchern besteht für diese Berufsgruppe eine erhöhte Gefahr einer Influenzainfektion,
(2) durch ihre eigene Infektion kann die Influenza auf Personen mit erhöhtem Risiko, Kollegen sowie Angehörige und andere Bevölkerungsgruppen übertragen werden.
(3) Der letztendlich krankheitsbedingte Ausfall gefährdet nicht nur die medizinische Versorgung von Influenzakranken, sondern auch von Kranken, die nicht Influenza-infiziert sind und den Arzt aufsuchen oder in ein Krankenhaus eingeliefert werden. Zum medizinischen Personal zählen in Deutschland insgesamt etwa 3,8 Millionen Personen.
An zweiter Stelle stehen die Berufsgruppen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Infrastruktur und Sicherheit, deren Arbeitsfähigkeit für die Allgemeinheit besonders wichtig ist. Zu dieser Berufsgruppe zählen in Deutschland bundesweit ca. 3,1 Millio-nen Menschen. Die Reihenfolge, in der diese Berufsgruppe geimpft werden kann, hängt von der Menge der verfügbaren Impfstoffdosen ab. Auf Landesebene kann im Bedarfsfall bei einer Pandemie eine weitere Priorisierung innerhalb dieser Berufsgruppen erfolgen. Insgesamt müssten zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung und Aufrechterhaltung der essentiellen Infrastruktur ca. 7 Millionen Personen vorrangig geimpft werden. Dies entspricht 8,5% der Gesamtbevölkerung.
7.2.1 Prioritäre Gruppen
[…] Solange kein Impfstoff zur Verfügung steht und bis ein Immunschutz aufgebaut werden kann, können besonders gefährdete und exponierte Berufsgruppen durch eine ausreichende und frühzeitige Prophylaxe vor einer Infektion geschützt werden (Langzeitprophylaxe). V.a. für die Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens und die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung wäre die Prophylaxe der Beschäftigten sinnvoll und wünschenswert. Krankenhaus- und Pflegepersonal haben durch die Versorgung Erkrankter nicht nur ein erhöhtes Krankheitsrisiko, sondern stellen auch eine nicht zu unterschätzende Infektionsquelle dar. Dies ist bei der Influenza von besonderer Bedeutung, da bereits vor Beginn der klinischen Symptomatik ein Infektionsrisiko bestehen kann. Das Medizinpersonal ist entscheidend für die Aufrechterhaltung der medizinischen Versorgung aller übrigen Bereiche. Bei einer Influenzapandemie ist ohnehin mit extremen Personalengpässen zu rechnen, so dass ein Ausfall des medizinischen Personals möglichst zu vermeiden ist. Selbst wenn diese Beschäftigten unmittelbar keiner höheren Gefährdung unterliegen, an der Krankheit zu sterben, sind andere Patienten mittelbar durch eine fehlende Krankenversorgung gefährdet. Gleiches gilt für den Bereich der Sicherstellung der öffentlichen Ordnung. Ein erhöhter Ausfall an Sicherheits- und Ordnungspersonal (Polizei/Berufsfeuerwehr) durch hohen Krankenstand ohne die Möglichkeit einer Umschichtung gefährdet das öffentliche Leben. Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe hatte sich deshalb dafür ausgesprochen, dass langfristig als Teil der Strategie auch eine Bevorratung für die Prophylaxe der Beschäftigten im Gesundheitswesen im Bereich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung angestrebt werden sollte. Nach den Modellrechnungen des RKI (vgl. Kap 2.5) könnten bei einer Therapie aller Erkrankten mit antiviralen Arzneimitteln je nach Erkrankungsrate ca. 90.000-300.000 Hospita-lisierungen und ca. 24.000 bis 80.000 Todesfälle verhindert werden (Erkrankungsrate zwischen 15 und 50%). Eine zusätzliche Prophylaxe für die priorisierten Berufsgruppen könnte neben der Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit ca. 5,2-17,3 Millionen Arztkonsultationen und weitere ca. 18.000-60.000 Hospitalisierungen sowie ca. 4.800-16.000 Todesfälle vermeiden.