Als es in der Silvesternacht zu einem schweren Unfall mit Fahrerflucht auf der Frankfurter Stadtautobahn kam, war sich “Bild” ziemlich schnell sicher, dass der Unfallverursacher der Sänger der umstrittenen, 2005 aufgelösten Band Böhse Onkelz sein könnte.
Das heißt: Nein, sicher natürlich noch nicht:
JETZT DER VERDACHT: Kevin Russell (45), Sänger der berühmt-berüchtigten Rockband “Böhse Onkelz”, soll gefahren sein – möglicherweise sogar im Drogenrausch!
Über zwei Wochen berichtete “Bild” fast täglich über den Fall und als die Indizien sich verdichteten, spekulierte das “Bild”-Gericht schon mal über das Strafmaß:
15 Jahre Knast für den “Böhse Onkelz”-Sänger? Anwälte drohen mit Anzeige wegen versuchten Totschlags
Jetzt wurde Anklage gegen Kevin Russell erhoben (übrigens nicht wegen versuchten Totschlags) und “Bild” weiß wieder bestens Bescheid:
Jetzt erfuhr BILD: Als Fahnder das Wrack des “Onkelz” nach der Tat durchsuchten, stellten sie neben zahlreichen Medikamenten auch eine Mütze mit Nazi-Symbol sicher – dabei soll es sich sogar um ein Hakenkreuz handeln.
“Bild” gibt sich ehrlich überrascht:
Es ist ein unglaublicher Vorwurf, der den Mythos “Böhse Onkelz” bei Millionen Fans in seinen Grundfesten erschüttern wird!
Außerdem spekuliert die Zeitung wieder vorab munter über ein mögliches Strafmaß:
Das Verwenden von verfassungsfeindlichen Symbolen kann mit Gefängnis bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe geahndet werden (§83a StGB).
Und mal davon ab, dass hier wenn überhaupt §86a zum Tragen käme, hätte Russell wegen des Besitzes einer “Nazi-Mütze” eher wenig zu befürchten: Das Gesetz sieht die Strafe für jemanden vor, der Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen “verbreitet oder öffentlich verwendet”.
Rechtsanwalt und Lawblogger Udo Vetter erklärt uns auf Anfrage:
Strafbar wäre also das Tragen der Mütze in einer Diskothek, auf der Straße oder im Kaufhaus. Bei kleineren Veranstaltungen, zum Beispiel in der Familie oder einem Hinterzimmertreffen (ideologisch) Gleichgesinnter, würde es eher an der Öffentlichkeit fehlen.
Mit Dank an die Hinweisgeber.
Nachtrag, 7. Juli 2010: Inzwischen hat uns auch die Staatsanwaltschaft Frankfurt bestätigt, dass die gefundene Mütze nicht Gegenstand der Anklageerhebung ist: Der Besitz der Mütze sei keine Straftat, außerdem sei nicht einmal klar, ob sie wirklich Russell gehöre.