Manchmal ist das Leben leider sehr viel komplizierter, als Medien, wie, sagen wir, die “Bild”-Zeitung glauben machen wollen. Zum Beispiel bei psychischen Krankheiten, genauer Depressionen. Bei “Bild” stand dazu unlängst unter der Überschrift “Die große Medizin-Serie Teil 9 – Depressionen: Es kann jeden treffen!” das Folgende:
[Die Ärzte] unterscheiden zwischen endogener Depression, die auf Gründe reagiert, die in der Seele liegen. Im Gegensatz zu extragener Depression, die durch äußere Faktoren ausgelöst werden kann — wie Trennung, Verletzung, Verlust. Rezidivierende (wiederkehrende) depressive Störungen (10 Prozent aller Depressionen), die über Jahre immer wieder auftreten, können aus beiden folgen.
Wir würden gern wissen, welche Ärzte die Redakteurin Uta Stiller dazu befragt hat, doch wir fürchten, die Antwort lautet: keinen.
1. Endogen ist griechisch und bedeutet “aus sich selbst heraus” oder “auf Veranlagung beruhend”. Analytisch ausgerichtete Theorien benutzen den Ausdruck, um zu beschreiben, dass es für die Depression keine erkennbare Ursache gibt, somit auch keine Gründe, auf die eine Depression “reagieren” könnte.
2. Mit der Seele hat das nicht viel zu tun, der Begriff ist in Psychologie und Psychiatrie ein wenig aus der Mode gekommen. Vielmehr wird endogen heute verwendet, um die Vermutung wiederzugeben, dass genetische Faktoren für die Erkrankung mitverantwortlich sein können. Dies entspringt der Beobachtung, dass die Störung in einigen Familien häufiger auftritt.
3. Extragene Depressionen gibt es nicht. Wahrscheinlich war mal wieder der “Bild”-Depressions-Experte nicht aufzufinden. Gemeint sind wohl exogene Depressionen. Exogen, ebenfalls aus dem Griechischen, meint “von außen verursacht”.
4. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Depressionen zu klassifizieren. Die am meisten verbreitete ist das Manual der Weltgesundheitsorganisation WHO namens ICD-10. Eine unspezifische Unterscheidung in endogen und exogen wird schon seit vielen Jahren nicht mehr verwendet.
5. Rezidivierende depressive Störungen sind laut ICD-10 durch “wiederholte depressive Episoden charakterisiert”. Außerdem haben “die schwereren Formen der rezidivierenden depressiven Störung viel mit den früheren Konzepten der manisch-depressiven Krankheit, der Melancholie, der vitalen Depression und der endogenen Depression gemeinsam”. Selbst bei diesen früheren Konzepten hatten sie nichts zu tun mit einer extragenen exogenen Depression.
P.S. Woher in dem “Bild”-Artikel die Furcht erregende Behauptung kommt, dass “mehr als die Hälfte aller Menschen in Deutschland, nämlich 65 Prozent” im Lauf ihres Lebens einmal an einer psychischen Störung erkranken, wissen wir auch nicht. Von hier vielleicht, doch landen zum Glück nicht alle Menschen im Laufe ihres Lebens im Altersheim. Vielleicht stammt sie auch aus dieser Studie, doch nicht alle Menschen sind bayerische Lehrer. Die Weltgesundheitsorganisation WHO zumindest glaubt, dass es etwas weniger Menschen sind, die irgendwann einmal psychisch krank werden. Nämlich ungefähr 25 Prozent. Eine Zahl, die sich zum Beispiel auch im Zweiten Bayerischen Psychiatrieplan findet.
Vielen Dank an Manuela W. für die Anregung.