Zu den klassischen Nachrichtenwerten, die nach Ansicht von Kommunikationswissenschaftlern bestimmen, mit welcher Wahrscheinlichkeit und Größe es eine Meldung in die Medien schafft, gehören Faktoren wie “Neuigkeit” oder “Überraschung”. Diese Modelle gehen allerdings von Medien aus, die ihre Leser informieren wollen, anstatt sich darauf zu spezialisieren, täglich ihre Vorurteile zu bestätigen und ihre Stammtischparolen nachzubeten. Da gilt dann als entscheidender Nachrichtenwert eher die Frage, ob eine Meldung beim Leser das Gefühl “Hab ich ja immer schon gesagt” hervorruft. Und dann lassen sich auch Artikel wie dieser erklären:
Hamburg — Autofahren wird immer teurer! Benzin, Steuern, Abgaben, Reparaturen, Neuwagenpreise — alles geht seit Jahren nur in eine Richtung: nach oben! Die Autofahrer sind zur Melkkuh der Nation geworden.
Das mit der Melkkuh scheint keine ganz neue Entwicklung zu sein. “Bild”-Leser Rolf L. aus S. jedenfalls hat das schon vorher gewusst, weshalb er ebenfalls in der heutigen Ausgabe (aber weiter hinten) fragen kann: “Lokführer streiken, warum nicht auch wir Autofahrer, die Melkkühe der Nation?” Und womöglich saß auch “Bild”-Leserin Sandra M. aus B. heute heftig nickend vor der “Bild”-Zeitung, denn sie hatte schon vor drei Jahren in der Zeitung erklärt: “Wir Autofahrer sind die Melkkühe der Nation.”
Und wer wollte ernsthaft der Aussage widersprechen, dass “alles” “seit Jahren” “nur” “in eine Richtung” geht, nämlich “nach oben”? Okay, jeder natürlich, der sich erinnert (oder nachzuschlagen weiß), dass “Bild” zum Beispiel im September vergangenen Jahres über ein “6-Monats-Tief bei Benzin-Preis!” staunte. Aber sind das nicht nur Kleinigkeiten angesichts des unbestreitbaren kollektiven Wissens Gefühls, dass “alles” “seit Jahren” “nur” “in eine Richtung” geht: “nach oben”?
Natürlich wiederholt die “Bild”-Zeitung nicht nur, was ihre Leser immer schon zu wissen glaubten, sondern liefert ihnen auch noch Argumente von Leuten, die es besser wissen müssten. Der “Ausgeplündert”-Gedanke zum Beispiel kommt vom “Auto-Experten” Ferdinand Dudenhöffer. “Zu BILD” sagt er nämlich:
“Von den Steuereinnahmen aus dem Automobilbereich werden über 80 Prozent zweckentfremdet, z.B. für Gesundheit oder Rente ausgegeben.”
Damit spricht Dudenhöffer zumindest den “Bild”-Lesern Henry K. aus N. und Helmut E aus E. aus der Seele, die denselben Gedanken bereits in der “Bild”-Leserbriefecke hatten äußern dürfen — und sicher würden sie sich beim gemeinsamen Nicken ja auch ungern von dem Einwand stören lassen, dass dieser Gedanke höchst irreführend ist: Auch die Tabaksteuer wird ja nicht für formschönere Aschenbecher auf öffentlichen Plätzen verwendet und die Kaffeesteuer nicht für besseren Automatenkaffee. Und das ist kein Versehen oder Zufall, sondern Absicht und sogar Pflicht: Steuern dürfen gar nicht zweckgebunden sein. In Paragraf 8 der Bundeshaushaltsordung heißt es dazu ziemlich lapidar:
“Alle Einnahmen dienen als Deckungsmittel für alle Ausgaben.”
Das gilt auch für die Energiesteuer und nennt sich Nonaffektationsprinzip. Dieser Begriff aber stand noch nie in der “Bild”-Zeitung. Vermutlich weil es ein schweres Wort ist. Vermutlich aber auch, weil es einfach kein Gedanke ist, zu dem man so gut nicken kann.
“Die Rentner sind wieder die Melkkühe der Nation.”