Mit Kindern und Tieren kannst du nicht verlieren.
(“Eherne Regel des Journalismus”, zitiert nach “Der Spiegel”)
Bis vorgestern war die Welt eigentlich noch ganz in Ordnung. Es gab da ein weißes Reh im Hirschgrund bei Oberlungwitz. Eine Seltenheit, ohne Frage, aber allzu große Aufregung gab es nicht. Bloß vereinzelt berichteten Medien über das Albino-Reh, das wohl so um den 25. Oktober zum ersten Mal gesichtet wurde.
Seit vergangenen Mittwoch ist das anders. Seither herrscht Aufregung. “Streit um Abschuss von Albino-Reh”, “Weißes Reh soll sterben”, “Jäger wollen Albino-Reh abschießen”, “Drama um das Rehweißchen vom Erzgebirge” oder “Tod für ‘Rehweißchen’?” lauten plötzlich die Überschriften in vielen Zeitungen. Sogar das Fernsehen hat darüber berichtet.
Warum plötzlich diese Aufregung?
Na, wegen “Bild”. Die nahm sich des Themas nämlich am Mittwoch an — auf bewährte Art. Schon auf der Titelseite witterte sie (wie berichtet) einen neuen “Fall Bruno?” und schrieb:
Im Innenteil fand sich die Überschrift:
Neben diese Überschrift platzierte “Bild” ein Foto von Günter Giese, dem Präsidenten des Jagdverbandes Sachsen. “Bild” zitierte ihn mit den Worten:
“Das weiße Reh ist eine Mutation. Und die gehören nicht in die Wildnis, sie müssen geschossen werden.”
Uns sagte Giese zwar, er habe das “so nie” gegenüber der “Bild”-Zeitung gesagt, sondern lediglich geäußert, dass er persönlich ein solches Tier in seinem Jagdrevier nicht dulden würde. Aber darum geht es gar nicht. “Bild” jedenfalls sprach von einem “Abschussbefehl”, den es nicht gibt, und zitierte noch einen Experten, der wegen des Albino-Rehs den Rehbestand gefährdet sah.
In der Folge haben sich auch das Sächsische Umweltministerium, der Naturschutzbund (Nabu) und weitere Experten zu dem Tier geäußert. Die Meinungen gehen auseinander. Jagdpächter Ralf Georgi allerdings, in dessen Revier sich das weiße Reh befindet, bleibt bei dem, was er am Mittwoch schon in “Bild” erklärte:
“Wenn einer in meinem Revier das Reh heimlich schießt, ist das Wilderei. Mich stört das weiße Bambi nicht!”
Damit war eigentlich schon alles über das “Drama” um Rehweißchen gesagt: Es gibt kein Drama, solange Georgi an seinem Entschluss festhält, wie auch Jagdpräsident Giese schon gestern via dpa klargestellt hatte: “Die Entscheidung, [das Reh] zu schießen, liegt einzig bei dem Revierpächter oder -besitzer.”
Immerhin: Diese Information kommt in dem ein oder anderen Medienbericht durchaus vor, allerdings hat sie natürlich kaum eine Chance durchzudringen gegen Überschriften wie “Weißes Reh soll sterben” oder “Tod für ‘Rehweißchen’?”
So geht das eben: “Bild” macht eine Tiergeschichte zur Seite-1-Schlagzeile, spitzt zu, übertreibt, verdreht und schon ist aus der “Bild”-Frage nach dem neuen “Fall Bruno” tatsächlich ein “Fall Bruno” geworden — auch, wenn die beiden Fälle (außer ihrem waidmännischen Sujet) nichts gemeinsam haben. Wahrscheinlich ist man bei “Bild” darauf auch noch stolz.
P.S.: Heute berichtet “Bild” natürlich auch wieder über das weiße Reh. Im Text heißt es unbeirrt, “wie BILD berichtete, will der sächsische Jagdpräsident Dr. Günter Giese (69) das süße Reh abschießen lassen”, und die Überschrift lautet: “Alle wollen weißes Bambi retten”. Nun ja, es müsste nicht gerettet werden, hätte “Bild” es nicht in Gefahr in die Schlagzeilen gebracht.