Wie “Bild” zunehmend Einfluss darauf gewinnt, was in Deutschland zum Verkaufsschlager wird
(Mai 2005) Das Jahr hat gut begonnen für den Autohersteller Seat. Im Januar und Februar verzeichnete die VW-Tochter im Vergleich zum Vorjahr das Dreifache an Aufträgen für ihren Kleinwagen “Ibiza”, meldete Seat Deutschland im März. Dass das Modell urplötzlich so beliebt war, lag nicht etwa daran, dass der schon etwas betagte “Ibiza” mit exklusiven Extras angeboten oder mit einer besonders flotten Kampagne beworben wurde – sondern vor allem an einer Kooperation mit der “Bild”-Zeitung. Zwei Monate bot Seat das Sondermodell “Ibiza Sport Edition” als “Volks-Seat” an. “Bild” und Bild.T-Online warben kräftig für die Aktion – und erzielten offenbar den erwünschten Erfolg.
Längst nutzt “Bild” den eigenen Namen nicht mehr nur für Zeitschriften-Ableger wie “Computer-Bild” oder “Audio-Video-Foto-Bild”. Mit den “Volks”-Produkten will das Boulevardblatt von der Spülmaschine über die Zahnbürste bis hin zur Bettdecke nun auch allerlei Gebrauchsgegenstände verkaufen.
Deutschlandweit bekannt
Die produziert “Bild” natürlich nicht selbst. Die Zeitung, genauer: deren Internet-Ableger Bild.T-Online, kooperiert lediglich mit den Herstellern der Waren, die es in der Regel auch ohne “Volks”-Label längst im Handel zu kaufen gibt. Die Unternehmen profitieren davon, dass “Bild” ihr “Volks”-Produkt innerhalb kürzester Zeit deutschlandweit bekannt macht. Entsprechend gut verkaufen sich viele der angebotenen Waren.
Begonnen hat alles mit dem Volks-PC im September 2002. Mit der Handelskette Plus brachte “Bild” einen PC in die Läden, der von jedem Nutzer einfach zu bedienen und auch für jeden erschwinglich sein sollte. Die Aktion lief so gut, dass man sich entschied, sie fortzuführen. Inzwischen gibt es über 25 “Volks”-Produkte. Partner waren oder sind Unternehmen wie Seat, Quelle, Deichmann, Talkline und Deutsche Bank. Bild.T-Online verkauft den Herstellern Werbe-“Packages”, die prominent platzierte Online-Beiträge auf Bild.de, Sonderbeilagen in der Printausgabe sowie Anzeigen in “Bild” und “Bild am Sonntag” beinhalten. Als Eye-Catcher werben Promis für die Angebote (manchmal sogar ohne ihr Wissen). Die Kooperationen machen bei Bild.T-Online schon jetzt 30 bis 40 Prozent des Umsatzes aus, der laut “FAZ” im Dezember 2004 bei rund 30 Millionen Euro lag.
Keine “Stiftung Warentest”
Im Prinzip ist gegen eine solche Vermarktungsstrategie nichts einzuwenden. Nicht nur “Bild”, sondern auch viele andere Zeitungen mussten sich in den vergangenen Jahren überlegen, wie sie sich zukünftig finanzieren würden. In der Medienkrise waren den Verlagen die Einnahmen weggebrochen, die sie bisher mit Rubrikenanzeigen und Werbebuchungen erzielten.
Problematisch ist jedoch, dass die “Volks”-Produkte leicht als Empfehlung der “Bild”-Redaktion missverstanden werden können. Die “Volks-Waschmaschine” “hat ordentlich Wasch-Power in der Trommel” und zahlreiche “Finessen”, sie “geht dem Schmutz gehörig an den Kragen”, ist einfach “Spitzenklasse”. Das “Volks-Fahrrad” “rostet nicht (…), es ist sicher (…) und hat tolle Extras”, “das Licht ist besonders hell” und “mit dem aktiven Bremssystem (ABS) brauchen Sie weniger Kraft zum Bremsen”. So steht es bei Bild.de.
Die rein werblichen Beiträge sind inzwischen zwar korrekt als “Anzeige” gekennzeichnet, suggerieren aber dennoch, dass es sich um ein besonderes Schnäppchen oder ein besonders hochwertiges Produkt handelt, das die Redaktion womöglich ganz besonders schätzt.
Schlechter als die Basisversion
Das muss nicht immer auch der Fall sein. Hanno S. Ritter vom Online-Portal Autokiste.de nennt das kürzlich von “Bild” und Blaupunkt angebotene “Volks-Navi” als Beispiel: “Das beworbene Gerät war schlechter als die ihm zu Grunde liegende Basisversion, etwa weil ein Tacho-Anschluss fehlte.” In der Produktbeschreibung von Blaupunkt sei darauf verwiesen worden, dieser wäre nicht nötig. Das stimmt zwar. Ritter meint aber: “Richtig wäre gewesen: Ein Tacho-Anschluss ist bei diesem Gerät nicht möglich.” Zudem sei das bessere Basisgerät mit Tacho-Anschluss im Handel bereits für denselben Preis wie das “Volks-Navi” angeboten worden.
Nicht alles, was aggressiv als Schnäppchen beworben wird, ist automatisch auch eins. Die “Volks”-Produkte-Strategie ist dennoch so erfolgreich, weil sie Vertrauen aufbaut – das Vertrauen der Leser in “Bild”, einer Zeitung, die immerzu von sich behauptet, für den kleinen Mann zu kämpfen. Wieso sollte man deren Empfehlungen nicht trauen? Ob die Kunden mit dem gekauften Produkt zufrieden sind, muss “Bild” erst einmal nicht weiter interessieren. Die Sache ist erledigt, sobald der Kunde das Produkt bestellt hat – es sei denn, Beschwerden häufen sich und der eigene Name könnte beschädigt werden. Damit das gar nicht erst passiere, würden sämtliche Produkte intensiv überprüft und von externen Experten bewertet, bevor sie beworben werden, heißt es bei Bild.T-Online. (Hier ein interessantes Gegenbeispiel.)
Zweifelhafte Markenmacht
Verbraucher können oft nur schwer nachprüfen, ob die angebotenen Waren tatsächlich so günstig sind, wie die “Volks”-Werbung suggeriert – zumindest, wenn es dabei um Produkte mit zahlreichen Funktionen geht, die nicht so einfach zu überblicken sind. Mag sein, dass das ein oder andere Angebot tatsächlich einige Euro günstiger ist als im Handel.
Viel wichtiger ist jedoch, dass “Bild” nicht mehr nur Einfluss darauf nimmt, was in Politik und Gesellschaft diskussionswürdig erscheint, sondern mit zunehmendem Erfolg der “Volks”-Produkte auch darauf, welche Waren welches Herstellers die Verkaufsschlager von morgen werden – egal ob Waschmaschine, Fahrrad oder Computer. Ob eine solche Markenmacht auf Dauer tatsächlich im Sinne von Herstellern und Verbrauchern sein kann?
Datum | Produkt | Partner |
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September 2002 | Volks-PC | Plus |
November 2002 | Volks-Notebook | Plus |
Dezember 2002 | Volks-PC | Plus |
Februar 2003 | Volks-PC | Plus |
April 2003 | Volks-Notebook | Plus |
Mai 2003 | Volks-Spüler | Media-Markt |
Juni 2003 | Volks-Kamera | Media-Markt |
September 2003 | Kaffee-Vol(l)ks-Automat | Media-Markt |
September 2003 | Volks-PC | Plus |
November 2003 | Volks-Notebook | Plus |
November 2003 | Volks-Dekoder | More TV |
November 2003 | Volks-Navigator | T-Mobile |
Dezember 2003 | Volks-PC | Plus |
März 2004 | Volks-Notebook | Media-Markt |
März 2004 | Volks-LCD-Fernseher | Media-Markt |
April 2004 | Volks-DVD-Rekorder | Media-Markt |
Mai 2004 | Volks-Fahrrad | Otto |
Mai 2004 | Volks-Kamera | Media-Markt |
Juni 2004 | Volks-Handy | Talkline |
Juni 2004 | Volks-Schuh | Otto |
Juli 2004 | Volks-Fotodrucker | Media-Markt |
Juli 2004 | Volks-Notebook | Media-Markt |
August 2004 | Volks-Fernseher | Media-Markt |
August 2004 | Volks-PC | Media-Markt |
August 2004 | Volks-Sparkonto | Diba |
September 2004 | Volks-Matratze | Otto |
September 2004 | Volks-Zahnbürste | Media-Markt |
Oktober 2004 | Volks-Notebook | Media-Markt |
Oktober 2004 | Volks-Fonds | DWS |
November 2004 | Volks-Trainer | Otto |
November 2004 | Volks-Kamera | Media-Markt |
Dezember 2004 | Volks-Rekorder | Media-Markt |
Januar 2005 | Volks-Seat | Seat |
Februar 2005 | Volks-Zinssparen | Deutsche Bank |
Februar 2005 | Volks-Handy | Talkline |
März 2005 | Volks-Laufschuh | Deichmann |
April 2005 | Volks-Bett | Quelle |
April 2005 | Volks-Kredit | Creditplus |
April 2005 | Volks-Navi | Blaupunkt |
Mai 2005 | Volks-Fahrrad | Quelle |
Mai 2005 | Volks-Waschmaschine | Quelle |
Mai 2005 | Volks-Tarif | Payback/Vodafone |
Mai 2005 | Volks-Bausparen | BHW |
Mai 2005 | Volks-Caddy | VW |
Juni 2005 | Volks-Notebook | Fujitsu-Siemens |
Juni 2005 | Volks-Seat | Seat |
Juni 2005 | Volks-Kamera | Panasonic |
Juni 2005 | Volks-Gefrierschrank | Quelle |
August 2005 | Volks-Kredit | Creditplus |
September 2005 | Volks-Rente | Dresdner/Allianz |
September 2005 | Volks-Bus | Volkswagen |
September 2005 | Volks-Burger | Burger King |
Oktober 2005 | Volks-Handy | Talkline |
Oktober 2005 | Volks-Notebook | Fujitsu-Siemens |
November 2005 | Volks-Fonds | Union Investment |
Februar 2006 | Volks-Tigra | Opel |
März 2006 | Volks-Handy | Talkline |
April 2006 | Volks-Laufschuh | Deichmann |
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Außer Konkurrenz: die Volks-Bibel (Oktober 2004, direkte Verlagskooperation mit Weltbild, neu aufgelegt als “Goldbibel” im Dezember 2005).