Vor sechs Jahren drehte ein aus Halbwahrheiten, Spekulationen und Großbuchstaben zusammengeschustertes Geschichtenkonstrukt der “Bild”-Zeitung eine große Runde durch die Medienlandschaft. Damals ging es um das Video eines Fallschirmspringers, der “[Jürgen] Möllemanns Todessprung mit einer Kamera” gefilmt hatte.
“Bild” hatte auf der Titelseite groß verkündet:
Dabei war das Video in Wahrheit schon vier Jahre zuvor “aufgetaucht” — die Staatsanwaltschaft hatte es bereits kurz nach Möllemanns Tod im Jahr 2003 ausgewertet.
Doch viele andere Medien verbreiteten die Nachricht vom plötzlich aufgetauchten Video und die Spekulationen der “Bild”-Zeitung kopflos weiter, obwohl viele von ihnen schon im Jahr 2003 selbst über das Video berichtet hatten.
Wir haben diesen Fall und sein juristisches Nachspiel (denn das Video war noch dazu geklaut) seinerzeit hier, hier und hier dokumentiert.
Leider haben die Medien seither nichts dazugelernt.
Am Mittwoch verkündete “Bild” groß auf der Titelseite:
Dabei war der Brief in Wahrheit schon vor sechs Jahren “aufgetaucht” (wie wir am Mittwoch berichtet haben).
Doch viele andere Medien verbreiten die Nachricht vom plötzlich aufgetauchten Brief und die Spekulationen der “Bild”-Zeitung kopflos weiter. Mal wieder.
Die dpa veröffentlichte Meldungen über den “jetzt bekanntgewordene[n] Brief”, “Spiegel Online” und Handelsblatt.com erzählen vom “bisher unbekannten Abschiedsbrief “, auch n-tv.de, T-Online.de, “RP Online”, Tagesspiegel.de, Welt.de, das “Hamburger Abendblatt” und viele andere zogen mit — in den meisten Fällen beriefen sie sich dabei allein auf den “Bild”-Artikel.
Nur wenige Medien haben sich die Mühe gemacht, selbst ein bisschen zu recherchieren. So wie (überraschenderweise) stern.de:
Tatsächlich hatte sich FDP-Politiker Kubicki schon vor über zwei Wochen mit der “Bunten” über den Tod seines Freundes, dieses Schreiben und die Übergabe vor zehn Jahren unterhalten. Auch in einer TV-Dokumentation aus dem Jahr 2007 (“Der Tag als Jürgen W. Möllemann in den Tod sprang”) hält Kubicki den Brief in die Kamera.
Es wäre auch für andere Journalisten kein Ding der Unmöglichkeit gewesen, das herauszufinden: Die “Süddeutsche Zeitung” hatte die Szene in einer TV-Kritik von 2007 explizit erwähnt: “Ziemlich am Ende des Films zitiert [Kubicki] aus einem Brief, den Möllemann ihm für den Fall der Fälle geschrieben hatte […]”.
Doch wenn das Leitschafmedium einmal losgetrampelt ist, lässt sich die Herde nicht mehr aufhalten. Inzwischen ist die Geschichte sogar schon in der Wikipedia gelandet:
Als Quelle aufgeführt ist: “Bild”.