Seit gestern kann man im Online-Angebot der “Bild”-Zeitung darüber abstimmen, ob man die “Urteile gegen die U-Bahn-Schläger für gerecht” halte.
Wem diese Frage zu kompliziert ist, oder wer beispielsweise mit Begriffen wie Gerechtigkeit nicht so viel anfangen kann, dem bietet “Deutschlands schnellste Meinung” die Möglichkeit, die Frage gar nicht zu beantworten und sich für die Option “D” zu entscheiden. Eine Mehrheit der Leser (derzeit 47 Prozent) hat das getan:
Passend dazu fragt “Bild” heute:
Gut möglich, dass das genau die Frage ist, die “Bild”-Leser heute bewegt. Aber sie ist falsch gestellt – und die Antwort, die “Bild” gibt, auch deshalb wenig hilfreich:
Die Täter müssen einen Teil der Strafe in Deutschland absitzen, erklärt die zuständige Behörde. Mindestens die Hälfte, möglicherweise aber auch drei Viertel der Haft. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) kündigte erneut an, an der Abschiebung nach der Haft festzuhalten.
Das hatte Herrmann schon gestern gefordert – in “Bild”. Doch was “Bild” offenbar nicht wahrhaben will: Herrmann kann das überhaupt nicht entscheiden, sondern die “zuständige” Ausländerbehörde (gegen deren Entscheidung wiederum vor dem Verwaltungsgericht geklagt werden kann). Und die müsste erstmal klären, ob die “Schläger” überhaupt ausgewiesen werden dürfen. Anders als “Bild” offenbar meint, ist das keineswegs sicher.
Zwar steht in Paragraph 53 Aufenthaltsgesetz, ein Ausländer “wird ausgewiesen”, wenn er zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Aber EU-Bürger genießen einen erhöhten Ausweisungsschutz (einer der Verurteilten ist Grieche). Und der Paragraph 56 schränkt die “zwingende Ausweisung” aus Paragraph 53 unter bestimmten Voraussetzungen ein. So zum Beispiel für Leute, die längere Zeit rechtmäßig in Deutschland leben oder “mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft” leben (der andere Verurteilte wurde in Deutschland geboren, ist mit einer Deutschen verlobt und hat ein Kind mit ihr). Gemäß Paragraph 56 Aufenthaltsgesetz genießt ein Ausländer in diesen Fällen einen “besonderen Ausweisungsschutz”:
Er wird nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen.
Bei Verurteilungen zu Haftstrafen von über drei Jahren liegen diese Gründe zwar “in der Regel” vor – aber eben nur “in der Regel”. Und das Bundesverfassungsgericht entschied im August 2007, dass es bei sogenannten “faktischen Inländern” (Ausländer, die seit vielen Jahren rechtmäßig in Deutschland leben) immer auf deren “individuelle Lebensumstände” ankommt.
Auch wenn die “Bild”-Zeitung und ihre Leser es offenbar gerne anders hätten, müsste die korrekte Frage auch nach der Verurteilung der beiden “U-Bahn-Schläger” noch immer lauten:
Mit Dank an die zahlreichen Hinweisgeber.