Kommt Zeit, kommt Rad

Gestern berichteten wir über die traurige Geschichte des kleinen Ben, dessen Kinderfahrrad laut “Bild” von einem herzlosen Zugchef am Bahnhof Regensburg ausgesetzt worden war, und den Widerspruch der Deutschen Bahn.

Dank zahlreicher Leserhinweise können wir folgende Nachträge machen:

Es ist geradezu ausgeschlossen, dass die Mutter des Jungen “im Wiener Hauptbahnhof zwei Tickets für den ‘ICE 22’ nach Frankfurt/Main” gekauft hat — Wien hat nämlich (noch) gar keinen Hauptbahnhof. Der “ICE 22”, der auch in Frankfurt hält, verkehrt vom Westbahnhof.

Der gutmütige Unternehmer, der dem kleinen Ben ein neues (zweites) Fahrrad geschenkt hatte, ist – anders als wir vermutet hatten – wohl eher nicht auf die “Bild”-Berichterstattung reingefallen. Es handelt sich vielmehr um einen guten, alten Bekannten der Zeitung: Tobias Huch war in “Bild” und bei Bild.de in den vergangenen Jahren wahlweise als “Erotik-Millionär”, “Musik-Produzent”, “Internet-Guru”, “YouPorn-Retter”, “IT-Experte”, “Deutschlands IT-Legende”, “Internet-Experte”, “Datenschützer”, “Medien-Mogul” oder “Internet-Pionier” in Erscheinung getreten und hatte auch die Facebook-Seite “Gegen die Jagd auf Karl-Theodor zu Guttenberg” ins Leben gerufen.

Tobias Huch schrieb zu unserem gestrigen Eintrag bei Facebook, er glaube der Deutschen Bahn kein Wort. Auf unsere Frage, ob er sich erklären könne, warum Bild.de plötzlich seinen Nachnamen abkürzt, antwortete er:

Das weiss ich selber nicht. Vielleicht war es journalistisch nicht wichtig.

Das mag durchaus stimmen. Journalistisch wichtiger wäre es da schon gewesen, zu schreiben, dass die Deutsche Bahn erklärt hatte, dass das Fahrrad des Jungen “sichergestellt” sei.

Mit Dank an die vielen, vielen Hinweisgeber!

We Built This City

Sie scheinen richtig stolz zu sein bei der “Ostsee-Zeitung” in Rostock:

Wir sind wieder richtig Großstadt: Rostock voll auf Wachstumskurs. Erstmals seit elf Jahren hat Rostock laut Statistischem Landesamt wieder deutlich mehr als 200 000 Einwohner. Vor allem die Uni und neue Arbeitsplätze sorgen für den Zuwachs.

Die Trendwende ist endgültig geschafft: Erstmals seit elf Jahren hat die Hansestadt Rostock wieder klar mehr als 200 000 Einwohner — und darf sich endlich wieder als richtige Großstadt fühlen.

Nun hat die Grenze von 200.000 Einwohnern nicht wirklich etwas mit der Einordnung als “Großstadt” zu tun: Als “Großstadt” gilt eine Stadt, die mehr als 100.000 Einwohner hat. Aber vielleicht meint die “Ostsee-Zeitung” ja, eine “richtige Großstadt” sei so etwas wie eine “Doppel-Großstadt” — also eine mit mehr als 200.000 Einwohnern.

So richtig Bescheid wissen sie in Rostock aber offenbar alle nicht, wie ein Blick ins Archiv der “Ostsee-Zeitung” zeigt:

21. Dezember 2006:

[Oberbürgermeister Roland Methling:] “Wir haben klar Kurs auf den Großstadtstatus.” Diesen gibt es, wenn 200 000 Menschen hier ihren Hauptwohnsitz haben. In zwei Jahren, ist sich der Oberbürgermeister sicher, überspringt die Hansestadt diese wichtige Marke.

ddp-Meldung vom 4. Januar 2007:

Rostock gehört seit 1935 zu den deutschen Großstädten (über 100 000 Einwohner) und liegt derzeit bei der Bevölkerungszahl auf Platz 38.

12. Juli 2007:

Rostock bleibt auf Großstadtkurs. Die Einwohnerzahl bewegt sich kurz vor der magische Grenze von 200 000 Einwohnern.

12. November 2007:

Rostock ist größte Stadt und einzige Großstadt in Mecklenburg-Vorpommern.

Die angeblich magische Grenze von 200.000 Einwohnern hatte Rostock laut statistischem Landesamt dann übrigens schon am 31. Dezember 2007, 2008 und 2009 überschritten.

Aber Großstadt hin oder her: Es gibt ja immer noch die Nachricht, dass endlich “deutlich mehr” bzw. “klar mehr als 200 000 Einwohner” in Rostock wohnen. In den Worten der “Ostsee-Zeitung”:

Genau 202 735 Männer und Frauen lebten am Stichtag 31. Dezember 2010 in der Stadt. Das geht aus den neuesten, erst jetzt veröffentlichten Zahlen des Statistischen Landesamtes in Schwerin hervor.

Freuen wir uns also schon auf den nächsten Sommer, wenn die “Ostsee-Zeitung” feiert, dass “jetzt wirklich noch mal ein bisschen mehr als 200.000 Menschen” in Rostock leben. Und anschließend arbeiten Zeitung und Stadt dann gemeinsam auf das nächste Ziel hin: den Status der “echten Großstadt” (bekanntlich ab 300.000 Einwohnern).

Mit Dank an Matthias B. und den Ostsee-Zeitung-Blogger.

Kachelmanns Sonnenschein und -sein

Das Kriegsbeil im Haus erspart den Journalisten.
(Alte indianische Weisheit)

Wer sich ein bisschen im Medienbetrieb auskennt, weiß, dass das Verhältnis zwischen dem Wettermoderator Jörg Kachelmann und der Axel Springer AG als schwierig belastet zerstört betrachtet werden darf.

Insofern wäre unter Umständen Vorsicht geboten, wenn “Bild am Sonntag” exklusiv eine Personalie aus Kachelmanns Firma Meteomedia verkündet:

Claudia Kleinert will nicht mehr für seine Firma Meteomedia arbeiten: Kachelmanns Sonnenschein verzieht sich

Die Zeitung hatte gestern geschrieben:

Seit 2002 moderiert Claudia Kleinert (41) “Das Wetter im Ersten” und das “Wetter nach den Tagesthemen”. Bisher als Mitarbeiterin der Meteomedia AG, der Wetterfirma von Jörg Kachelmann. Doch der muss demnächst ohne seine prominenteste Moderatorin auskommen. Claudia Kleinert zu BILD am SONNTAG: “Fest steht, dass ich im nächsten Jahr nicht mehr bei Meteomedia arbeite.”

Branchendienste wie kress.de und DWDL, aber auch Webportale wie “Meedia” und “Quotenmeter” übernahmen die Meldung unter alleiniger Berufung auf “Bild am Sonntag”.

Meteomedia dagegen bezeichnete den Bericht als “schlicht falsch und erfunden”. Frau Kleinert habe eine solche Aussage “zu keiner Zeit” gemacht. Sie werde weiterhin das ARD-Wetter präsentieren und auch weiter bei Meteomedia arbeiten.

Die “Süddeutsche Zeitung”, die in einem Teil ihrer heutigen Auflage ebenfalls berichtet hatte, dass Frau Kleinert Meteomedia verlasse, widersprach dem in einem späteren Teil der Auflage:

ARD-Wettermoderatorin Claudia Kleinert will weiterhin in der ARD auftreten, auch wenn die Wettersendungen im Ersten künftig nicht mehr von Jörg Kachelmanns Firma Meteomedia produziert werden. Das bestätigte Kleinert der SZ auf Anfrage, widersprach aber Berichten, in denen von einer Kündigung bei Meteomedia die Rede war.

Die Vorgeschichte erklärt sich Jörg Kachelmann bei Twitter so:

Das übliche Verfahren, was auch viele andere in der Öffentlichkeit stehende Menschen fälschlicherweise dazu verleitet, Dinge zu tun, die sie eigentlich nicht tun wollen. Unsere Medienstelle schrieb gestern an mich, die BamS hätte sich gemeldet – Zitat: Redakteur Rüssau hat mir gesagt, die Redaktion wolle das “vielleicht mal vorhandene Kriegsbeil begraben und die alten Geschichten beerdigen”. Bams wolle eine schöne Story über das Engagement von Meteomedia in den Philippinen und auch über den fast karitativen Aspekt dieses Projektes machen. Das sei jedoch nur möglich, wenn die Redaktion Fotos erhalte, die JK in den Philippinen und beim Aufbau der Wetterstation zeige. Zitat Ende.

Und natürlich kommt das nicht in die Tüte. Die Götter des Boulevards strafen allerdings sofort. Anstelle der rührenden Story des karitativen Wetterfroschs bei den armen Menschen Asiens gibts eins auf den Deckel http://bit.ly/qwX2Yh Macht nix. Nur für die Zukunft: Ihr müsst nicht mehr anrufen, BamS. Nie mehr. https://www.bildblog.de/31107/nie-mehr-springer-nie-mehr-burda/

Bild  

Nur gucken, nicht anfassen!

“Japan, ihr habt’s verdient”, schreibt “Bild” heute an die Adresse der japanischen Fußballfrauen, die gestern Abend in Frankfurt die Weltmeisterschaft gewonnen haben.

Aber so ganz scheint die Zeitung das Aus der Deutschen im Viertelfinale noch nicht verwunden zu haben, wie die Titelseite zeigt:

Japan Weltmeister! Passt gut auf unsere "Spirale" auf! Japan ist Frauen-Weltmeister! 5:3 nach Elfmeterschießen im Finale gegen die USA. Aber den Pokal (sieht aus wie eine Spirale) haben euch die deutschen Mädchen nur geliehen...

Von aller Überheblichkeit mal ab: Es ist einfach Quatsch, dass “die deutschen Mädchen” den Japanerinnen den Pokal “nur geliehen” hätten.

Der Fußballweltverband FIFA schreibt in seinen “50 Fakten zur FIFA Frauen-Weltmeisterschaft” (PDF):

Für jede Weltmeisterschaft wird eine eigene Trophäe hergestellt, die der Sieger behalten darf, dies im Gegensatz zum FIFA WM-Pokal, der stets im Besitz der FIFA bleibt.

Insofern stimmt auch nicht, was “Bild” weiter schreibt:

Die letzten Deutschen, die den Pokal bis zur WM 2015 in Kanada anfassen durften, sind OK-Chefin Steffi Jones und Renate Lingor, Weltmeisterin von 2003 und 2007. Sie tragen die Pokal-Spirale ins Stadion.

Denn selbst wenn “wir” 2015 wieder Weltmeister würden, würden “unsere Mädels” eine andere Version des Pokals in Empfang nehmen, als die, die die Japanerinnen gestern in die Höhe gereckt haben.

Mit Dank an Stefan K.

Nocebo-Effekt, Norderney, Spiegel Online

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Geheime Pressekonferenz im ‘Dortmunder Kreis'”
(blog.telefacts.tv, Thomas Schweres)
Die Einladung zu einer Pressekonferenz der Polizei Dortmund geht exklusiv an einen “Dortmunder Kreis”. Der Leiter der Pressestelle, Wolfgang Wieland, sagt Thomas Schweres warum: “Wenn ich die Sache per Pressemitteilung rausgegeben hätte, müsste ich gleich eine Schul-Aula mieten und die Straße für Übertragungswagen sperren lassen.”

2. “Medienpolitik während der WM”
(taz.de, J. Kopp & M. Völker)
Interviews mit Spielerinnen der deutschen Fußball-Nationalmannschaft werden “nach Steinzeitmethoden” autorisiert. “Das gesprochene Wort wird hier nicht nur nicht respektiert, sondern verfälscht.” (…) “Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) und etliche Manager von Spielerinnen waren der Meinung, man könne der Öffentlichkeit ein bestimmtes Bild oktroyieren, die Presse führen und bevormunden.”

3. “FCB-Fans griffen in Bern Journalisten an”
(20min.ch, Lukas Mäder)
In Bern werden Journalisten und Fotografen von Fußball-Hooligans angegriffen.

4. “Vorgestellt: Top-Themen 2011”
(derblindefleck.de)
Die Initiative Nachrichtenaufklärung gibt “die Rangliste der wichtigsten von den Medien vernachlässigten Themen und Nachrichten im Jahr 2011” bekannt. Mit dabei ist die “Bankenrettung ohne wirksame parlamentarische Kontrolle”, der “Doping im Fußball” oder der “Nocebo-Effekt”: “Schon das Wissen über Nebenwirkungen von Medikamenten und über Krankheitsverläufe kann Symptome auslösen.”

5. “Wulff mimt Urlaubsidylle für ZDF-Sommerinterview”
(welt.de)
Bundespräsident Christian Wulff fliegt für ein “Sommerinterview” mit dem ZDF kurzfrisitig nach Norderney. Noch ist er aber gar nicht im Urlaub: “Tatsächlich verbringt der Bundespräsident mit seiner Frau Bettina und den Kindern den Sommer auf der Ostfriesischen Insel – allerdings erst in ein paar Wochen.”

6. “SpOn-Politiker-Fotos”
(fuckyeahsponpolitikerfotos.tumblr.com)
Fotos von Politikern auf “Spiegel Online”.

Mega Watt?

Hier stand ein Eintrag, in dem wir der Nachrichtenagentur dpa Unkenntnis der Einheit “Megawatt” vorgeworfen haben — und leider dabei unser eigenes Unwissen demonstrierten. Es ging um die Meldung, dass Zypern in diesen Tagen nach einer Explosion bei einem großen Elektrizitätswerk Strom aus dem türkisch besetzten Nordteil der Insel erhält.

Die dpa beschrieb dies am Samstag so:

Nun sollen täglich zwischen 70 und 110 Megawatt vom Norden in den Süden geliefert werden, teilte die Regierung in der Inselhauptstadt Nikosia mit.

Das “täglich” in diesem Satz ist irreführend, denn die Einheit Watt gibt eine Leistung an, keine Energie. Ähnlich sinnlos wäre es, zu sagen, ein Fön verbraucht täglich 2000 Watt. Der Energieverbrauch wird in Wattstunden (oder im Haushalt gebräuchlicher: Kilowattstunden) angegeben und hängt natürlich davon ab, wie lang der Fön läuft. Fönte man sich einen Tag ununterbrochen, käme man auf 48 Kilowattstunden (2000 Watt mal 24 Stunden geteilt durch 1000).

(Für alle, die das zu unanschaulich finden: Der Unterschied zwischen Leistung und Energie ist derselbe wie zwischen Geschwindigkeit und Entfernung. Ein Auto, das 100 km/h fährt, legt am Tag, wenn es ununterbrochen fährt, 2400 Kilometer zurück. Zu formulieren, es fahre “täglich 100 km/h” ist mindestens rätselhaft.)

Die 70 bis 110 Megawatt sind also einfach die Leistung, die dem Süden vom Norden zur Verfügung gestellt werden soll. Die Agentur dpa hätte nur das “täglich” weglassen müssen. Wir aber haben uns in der vermeintlichen Korrektur dieses kleinen Formulierungsfehlers völlig verheddert — und nebenbei auch noch die (komplizierten) politischen Verhältnisse Zyperns unzulässig verkürzt. Wir bitten um Entschuldigung.

Jim Knopf und die Suggestiv-Führer von “Bild”

Der Schaffner hat mein Rad einfach aus dem ICE geworfenDer siebenjährige Ben hat sich viel Mühe gegeben, Enttäuschung, Wut und Verständnislosigkeit in seinen Blick zu legen, als der “Bild”-Fotograf ihn abgelichtet hat. Aber Ben hat natürlich auch allen Grund: Sein “geliebtes Rad”, ein “harmloses Kinderrad”, ist “verschwunden”.

Und das kam so:

Mutter Petra E. (46), eine Deutsche, die in Österreich lebt, kaufte im Wiener Hauptbahnhof zwei Tickets für den “ICE 22” nach Frankfurt/Main. Sohn Ben verbringt seine Schulferien bei Oma.

Weil der Erstklässler so gerne radelt, will er sein neues Mountainbike mitnehmen. Mutter Petra: “Wir haben im Bahnhof extra gefragt. Der Schalterbeamte sagte, dass es kein Problem sei.”

“Mehrmals” hätten Schaffner den Zug kontrolliert, so “Bild”, “niemand” habe sich an dem Fahrrad im Gepäckfach gestört.

DOCH DAS ÄNDERT SICH IN DEUTSCHLAND, WO DAS ZUGPERSONAL WECHSELT!

Kurz vor dem Bahnhof Regensburg habe der Lautsprecher “gekreischt”, so “Bild” weiter: Der Besitzer des Kinderfahrrades habe sich “unverzüglich” melden sollen, der Zugchef habe Mutter und Sohn “zur Rede” gestellt. Entweder die beiden sollten mit dem Rad aussteigen oder das Rad werde “entfernt”.

Da Mutter und Sohn nicht aussteigen, stellt der Herzlos-Schaffner das Rad auf den Bahnsteig. Traurig sieht der Junge, wie die Türen schließen, der ICE losrollt …

“Bild” beschreibt diese Szene so anschaulich, dass man meint, das orangefarbene Funkeln in den Augen des “Herzlos-Schaffners” zu erkennen. Womöglich hat er gar ein wenig nach Schwefel gerochen — oder wenigstens nach Knoblauch. Das Fahrrad jedenfalls, das sei “seither verschwunden”.

Bereits am Freitag, als die herzzerreißende Geschichte bundesweit in “Bild” erschien, veröffentlichte die Deutsche Bahn eine Pressemitteilung, in der sie den “Bild”-Bericht zurückwies.

Zunächst einmal sei eine Fahrradmitnahme in ICE-Zügen “generell nicht erlaubt”, da eine sichere Mitnahme von Fahrrädern (“auch von Kinderfahrrädern”) dort nicht gewährleistet sei. Warum die Mutter laut eigener Aussage von den österreichischen Schalterbeamten die Auskunft bekommen haben soll, die Mitnahme des Kinderrades im ICE sei möglich, könne die Deutsche Bahn “nicht nachvollziehen”.

Bei dem bereits am 2. Juli stattgefundenen Vorfall wurde nach Angaben beider ICE-Zugbegleiter die betroffene Familie sachlich über die entsprechende Regelung und alternative Weiterreisemöglichkeiten über Züge mit Fahrradmitnahme informiert. Daraufhin entschloss sich die Mutter, die Fahrt im ICE trotzdem fortzusetzen und ließ das Fahrrad – laut ihrer Aussage gegenüber dem Zugpersonal – in eigener Verantwortung auf dem Bahnhof Regensburg zurück.

(…) Auch wenn die DB-Zugbegleiter gemäß den geltenden Richtlinien gehandelt haben, sieht sich die Deutsche Bahn in der Verantwortung für ihre Fahrgäste.

Dementsprechend wurde das Fahrrad von Bahnhofsmitarbeitern in Regensburg sichergestellt und wird jetzt der Familie zusammen mit einem Reisegutschein zur Wiedergutmachung zugestellt. Die Deutsche Bahn bedauert die für die Familie entstandenen Unannehmlichkeiten.

Anders als “Bild” behauptet, ist das Fahrrad also nicht “verschwunden”, sondern in der Obhut der Deutschen Bahn.

Bei Bild.de scheinen sie diese Pressemitteilung allenfalls halbherzig gelesen zu haben:

Die Deutsche Bahn hat die Darstellung des Vorfalls im ICE mittlerweile zurückgewiesen. Nicht das Zugpersonal habe das Fahrrad des Jungen aus dem Zug entfernt, sondern seine Mutter. Sie habe es am Bahnhof Regensburg selbst zurückgelassen, nachdem sie auf das in ICEs geltende Fahradverbor aufmerksam gemacht worden war, heißt es in einer Stellungnahme des Konzerns.

So steht es unter dem heutigen Artikel — einfach nachträglich drangeklatscht, nachdem dieser schon veröffentlicht worden war.

Bild.de wiederholt dort noch einmal die rührseligen und offensichtlich falschen Schilderungen der Zeitung.

Da Mutter und Sohn nicht aussteigen, stellt der Herzlos-Schaffner das Rad auf den Bahnsteig. Traurig sieht der Junge, wie die Türen schließen, der ICE losrollt … Das Rad ist seither verschwunden.

Aber es gibt ja eine gute Nachricht:

Jetzt erhielt Ben Ersatz! Allerdings nicht von der Bahn – sondern von einem empörten Unternehmer aus Mainz, der durch die BILD-Berichterstattung aufmerksam wurde.

Tobias H. (29) schenkte dem Jungen ein neues Bike: “Wenn man sich reinversetzt in einen 7-jährigen Jungen – das trifft einen im Herzen!”

Der kleine Ben hat jetzt also zwei Fahrräder und der gutmütige Unternehmer ist auf die “Bild”-Berichterstattung reingefallen.

Mit Dank an Sven S.

Bild  

Wer stoppt diesen EU-Irrsinn?

Irgendwann wird vielleicht auch der letzte Journalist verstanden haben, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) kein “EU-Gericht” ist.

Heute jedoch nicht:

Denn der EU-Gerichtshof in Straßburg urteilte im Mai 2010, dass alle nachträglich zur Sicherungsverwahrung verurteilten Täter freizulassen sind.

Mit Dank an Moritz, Martin E., Jan C. und Frank Sch.

Schon wieder Milchmädchen verschwunden!

Thomas Hinrichs, zweiter Chefredakteur von “ARD aktuell” hatte uns gestern noch erklärt, wie die “Tagesschau” mit inhaltlichen Fehlern umgeht. Er sagte dazu, dass Fehler natürlich immer passieren können, sich die Redaktion aber natürlich größte Mühe gebe, dass ihr keine unterliefen.

So gesehen hat die Redaktion von “ARD aktuell” offenbar eine Pechsträhne. Denn auch die gestrige Ausgabe der “Tagesthemen” musste im Archiv auf tagesschau.de gekürzt werden:

Hinweis: Der Beitrag "Ratingagentur Moody

Der Beitrag hatte behauptet, die Schuldenobergrenze der USA sei bei “14,3 Milliarden Dollar” erreicht. In Wahrheit liegt die Staatsverschuldung der USA derzeit bei 14,3 Billionen Dollar.

Womöglich wollte da jemand den klassischen Fehler vermeiden, das englische “billion” (Milliarde) mit dem deutschen “Billion” zu übersetzen — und hat dann einfach die deutsche “Billion” mit “Milliarde” “übersetzt”. Im Englischen belaufen sich die Staatsschulden der USA derweil auf “14.3 trillion dollars”.

Mit Dank an Klaus Sch. und Niels.

Interview-Promotion

Selten wurde in der breiten Öffentlichkeit soviel über richtiges Zitieren diskutiert wie heute. Der FDP-Europaabgeordnete Jorgo Chatzimarkakis etwa musste gerade schmerzhaft erfahren, dass Anführungszeichen nicht ganz so bedeutungslos sind, wie ihr Spitzname “Gänsefüßchen” nahelegen könnte; andere prominente Politiker stolperten darüber, dass sie Aussagen anderer in ihren Promotionen als eigene ausgegeben haben.

Im Journalismus ist das alles anders, wie uns “Zeit Online” beweist, wo sich seit gestern folgende, relativ dramatische Überschrift findet:

ZDF-Sportchef: "Der Frauenfußball wird wieder von der Bildfläche verschwinden"

Die Anführungszeichen sind brav an ihrem Platz, und man kann “Zeit Online” auch nicht vorwerfen, sich die Aussagen des ZDF-Sportchefs Dieter Gruschwitz angeeignet zu haben. Eher…

…umgekehrt:

ZEIT ONLINE: Der Frauenfußball wird nach der WM in Deutschland also wieder von der Bildfläche verschwinden? Ihre Bundesligaspiele werden weiterhin wohl nicht im bundesweiten TV zu sehen sein und die Olympia-Qualifikation fürs kommende Jahr haben die Frauen verpasst.

Gruschwitz: Da haben Sie Recht. Schon bei den Olympischen Spielen in Peking 2008 waren die Frauenfußballspiele eine attraktive Programmware für uns. Aber auf dieser großen Bühne werden die deutschen Fußballerinnen in London 2012 nicht vertreten sein. Das Ausmaß des Olympia-Startverlusts wird in seinen vielschichtigen Auswirkungen von einigen noch gar nicht so richtig wahrgenommen.

Mit Dank an Jakob V.

Nachtrag, 17.15 Uhr. Der Interviewer sagt, im Gespräch habe Gruschwitz seine Aussage “Der Frauenfußball wird wieder von der Bildfläche verschwinden” wiederholt und gesagt, dass er sie teile.

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