Auch viele andere Medien berichteten, jetzt stehe “der ‘Blade Runner’ unter Mordanklage” (mopo.de) oder “die Polizei” (!) habe “Anklage erhoben” (stern.de). Doch wie man es auch dreht: Es stimmt einfach nicht, dass der Mann unter “Mordanklage” steht. Bisher besteht lediglich ein Verdacht. Das ist im Strafrecht ein gewaltiger Unterschied — nicht nur in Deutschland, auch in Südafrika.
Ein deutschsprachiger Anwalt aus Pretoria hat uns auf Anfrage geschrieben:
Die endgültige Anklage wird erst viel später formuliert. Zur Zeit geht es lediglich darum, dass die Polizei eine Mordanklage untersucht. Ob es für Mord Beweise geben wird bleibt abzuwarten (…).
(…) Zur Zeit geht es lediglich um die Frage ob Pistorius auf Kaution freigelassen wird. Bis es zur Verhandlung kommt werden mindestens sechs Monate, wahrscheinlich aber über ein Jahr vergehen.
Immerhin ruderten einige Medien im Laufe des Nachmittags zurück und korrigierten sich (heimlich). “Spiegel Online” etwa hat in der Überschrift die “Mordanklage” durch “Mordverdacht” ersetzt und schreibt:
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft soll der Leichtathlet erst am Freitag einem Haftrichter in Pretoria vorgeführt worden. Dieser muss dann entscheiden, ob Mordanklage erhoben wird und ob Pistorius gegen Zahlung einer Kaution auf freien Fuß gesetzt werden kann. Zunächst hatten Nachrichtenagenturen gemeldet, es sei bereits Mordanklage gegen Pistorius erhoben worden.
Stutzig gemacht haben diese Agenturmeldungen aber offenbar niemanden.
Mit Dank an Martin.
Nachtrag, 18.01 Uhr:Bild.de hat die Anklage jetzt ganz übersprungen und aus dem Verdacht schon mal Gewissheit gemacht:
Sie war die strahlende Frau an der Seite des Sprint-Stars Oscar Pistorius (26). Jetzt ist sie tot!
Der Sportler erschoss seine Freundin letzte Nacht in Südafrika.
Nachtrag, 16. Februar: Dass Bild.de schreibt, Pistorius habe seine Freundin erschossen, ist natürlich nicht mit einer Vorverurteilung im Sinne von “hat seine Freundin ermordet” gleichzusetzen. Dieser Eindruck ist im ersten Nachtrag vielleicht entstanden. Wir wollten lediglich darauf hinweisen, dass Bild.de die — gewiss sehr wahrscheinliche, aber eben nicht zweifelsfrei erwiesene — Vermutung bereits kurz nach der Festnahme als Tatsache dargestellt hat. Vielleicht sind wir, was den Umgang mit Tatverdächtigen angeht, ein bisschen empfindlich geworden.
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2. “Das komplizierte Verhältnis von Berichterstattern und Internetfirmen” (netzwertig.com, Martin Weigert)
Martin Weigert beschreibt, wie schwierig es für Journalisten ist, nahe am Objekt der Berichterstattung und gleichzeitig unabhängig zu sein. “Je häufiger man gemeinsam auf Events und Parties Zeit verbringt, Bierchen trinkt und sich gegenseitig Informationen zuschiebt, desto schwieriger fällt es, in der Berichterstattung hundertprozentig der eigenen Linie treu zu bleiben.”
4. “‘Am Flughafen'” (spiegel.de, Ralf Hoppe)
Ralf Hoppe antwortet auf die Zweifel, die Alexander Svensson an einer im “Spiegel” beschriebenen 36-stündigen Blockade der Startbahn des Flughafens in Reykjavík hegte. Siehe dazu auch “ralf hoppe ist irgendwas peinlich” (wirres.net, Felix Schwenzel).
5. “Ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk noch zu retten?” (drehbuchautoren.de, Peter Henning)
Das öffentlich-rechtliche Fernsehen ersticke in seiner formatierten Programmgestaltung, schreibt “Tatort”- und Fernsehfilm-Regisseur Peter Henning – “allenfalls noch der ‘Tatort’ und der eine oder andere Fernsehfilm” rage aus dem Einheitsbrei hervor.
Heute sind in einem italienischen Magazin erneut Fotos der leicht bekleideten Herzogin Kate veröffentlicht worden. Auch der Schweizer “Tagesanzeiger” berichtet in seiner Online-Ausgabe darüber:
Das Magazin “Chi” hat es wieder getan: Heute veröffentlichte das italienische Klatschblatt Bikini-Bilder der schwangeren Herzogin Kate. “Dies ist ein klarer Bruch der Privatsphäre”, sagte ein Sprecher des St. James Palasts in London. (…)
Der “Daily Mirror” berichtete von einem “Aufschrei” den es gegeben haben soll, als die Bilder in Italien gedruckt wurden. Die Boulevardzeitung will erfahren haben, dass das australische Magazin “Womans Day” 100’000 Pfund für die Fotos bezahlt haben soll.
Der “Tagesanzeiger” hat das deutlich ressourcenschonender gelöst:
(Auch wenn es wohl überflüssig ist, das zu erwähnen: Unkenntlichmachung von uns.)
Wenn Journalisten mit Statistiken jonglieren, ist immer äußerste Vorsicht geboten. Bei Umfrageergebnissen verhält es sich offenbar ganz ähnlich. Fangen wir bei “stern.de” an.
Zwei Tage nachdem Schwarz-Gelb Ende Januar bei der Landtagswahl in Niedersachsen eine Schlappe hinnehmen musste, hatte das Portal doch noch eine gute Nachricht für die Anhänger von Union und FDP:
“stern.de” weiß:
Die Union kann weiter zuversichtlich auf das Wahljahr blicken.
Denn im “stern-RTL-Wahltrend” hält sie “mit 42 Prozent (…) einen ihrer besten Werte seit Angela Merkel Bundeskanzlerin ist”. Die SPD hingegen “verharrt weiter im Tief: Zum zweiten Mal in Folge erreicht sie nur 23 Prozent”.
Durchgeführt wurde die Befragung für den “stern-RTL-Wahltrend” vom Forsa-Institut, dessen Chef Manfred Güllner ebenfalls zu Wort kommt:
Dass die SPD trotz des rot-grünen Wahlerfolgs in Niedersachsen bundesweit schwach bleibt, ist für Forsa-Chef Manfred Güllner nur auf den ersten Blick ein Gegensatz.
Auf den zweiten Blick ist ihm dann vielleicht etwas ganz anderes aufgefallen. Nämlich, dass sein Institut die Umfrage vom 14. bis 18. Januar durchgeführt hat – also mehrere Tage vor der Niedersachsenwahl. Dass die Wahl die Umfrageergebnisse nicht beeinflusst hat, könnte also durchaus daran liegen, dass sie zum Zeitpunkt der Befragung noch nicht mal begonnen hatte.
Das müssten die Leuten bei “stern.de” eigentlich auch bemerkt haben, denn am Ende des Artikels schreiben sie selbst:
Datenbasis: 2506 repräsentativ ausgesuchte Bundesbürger, befragt vom 14. bis 18. Januar 2013, statistische Fehlertoleranz: +/- 2,5 Prozentpunkte. Institut: Forsa Berlin.
Und schon am Anfang des Textes:
Im stern-RTL-Wahltrend, der vor der Wahl in Niedersachsen erhoben wurde, (…)
(Hervorhebungen von uns.)
Und auch sonst beweist “stern.de” viel Geschick darin, inhaltliche Widersprüche einfach zu ignorieren. Während es noch in der Überschrift heißt, es gebe “keine Gefahr für Schwarz-Gelb auf Bundesebene”, und im Teaser, Schwarz-Gelb habe im Wahltrend “triumphiert”, stellt sich dieser Triumph im Text ein bisschen anders dar: Die FDP ist bundesweit nämlich “nur auf 4 Prozent” gekommen — und wäre damit nicht mal im Parlament. Nicht die besten Voraussetzungen für eine schwarz-gelbe Zukunft.
Eine ähnliche Verrenkung hat heute “Spiegel Online” hinbekommen:
Die Deutschen scheinen die Union wegen der Aufregung um Annette Schavan nicht abstrafen zu wollen, ganz im Gegenteil: Trotz der Aberkennung des Doktorgrads und dem Rücktritt der ehemaligen Bildungsministerin klettern CDU und CSU laut dem Wahltrend von “Stern” und RTL im Vergleich zur Vorwoche um zwei Prozentpunkte.
Dass die Union “trotz Schavans Plagiatsaffäre” zulegt, mag ja sein. Das heißt aber nocht nicht, dass sie es “trotz der Aberkennung des Doktorgrads und dem Rücktritt” tut:
Der Doktortitel wurde Frau Schavan am 5. Februar aberkannt. Durchgeführt wurde der Wahltrend, wie “Spiegel Online” selbst schreibt, “in der Zeit vom 4. bis 8. Februar”. Einige Befragte konnten also noch gar nichts von der Aberkennung des Doktortitels wissen. Vom Rücktritt wussten sogar noch weniger der befragten Personen — niemand, um genau zu sein. Denn der wurde erst einen Tag nach der Umfrage bekanntgegeben.
Mit Dank an Jascha H.
Nachtrag, 20.10 Uhr: “Spiegel Online” hat sich unauffällig korrigiert. Der betreffende Absatz lautet nun so:
Die Deutschen scheinen die Union wegen der Aufregung um Annette Schavan nicht abstrafen zu wollen, ganz im Gegenteil: Trotz der Debatte um ihre Doktorarbeit klettern CDU und CSU laut dem Wahltrend von “Stern” und RTL im Vergleich zur Vorwoche um zwei Prozentpunkte.
Und aus dem Satz …
Für die Umfrage wurden 2505 repräsentativ ausgesuchte Bundesbürger in der Zeit vom 4. bis 8. Februar befragt.
… ist Folgender geworden:
Für die Umfrage wurden 2505 repräsentativ ausgesuchte Bundesbürger in der Zeit vom 4. bis 8. Februar befragt – also noch vor dem Rücktritt der Ministerin. Diese zog sich am 9. Februar vom Amt der Bildungsministerin zurück.
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2. “Falsche Anschuldigungen: Teurer ‘Bordellbesuch’ für die Tamedia” (limmattalerzeitung.ch, Michael Rüegg)
Der Verlag Tamedia, der den “Tages-Anzeiger” herausgibt, zahlt mehr als 250.000 Franken nach Falschanschuldigungen an einen Geschäftsmann: “Die im Artikel erhobenen Vorwürfe erwiesen sich als haltlos. Mittlerweile hat der Tages-Anzeiger den Artikel nachträglich korrigiert. Wer in der Schweizerischen Mediendatenbank danach Ausschau hält, findet ihn in gekürzter Fassung wieder: die erwähnte Passage wurde in der Zwischenzeit gelöscht.”
3. “Warum Online-Journalist inzwischen ein Traumberuf ist” (netzwertig.com, Jan Tißler)
Wer “nach maximaler Selbstverwirklichung strebt und seinen Beruf ausleben möchte”, sollte Online-Journalist werden: “Das Schöne am Journalismus im Netz ist die große Freiheit und Vielfalt, die er bieten kann. Ich bin nicht auf eine Form wie Text oder Ton oder Bild beschränkt. Wer will und kann, probiert und kombiniert.”
4. “Beugehaft gegen Onlineredakteur” (internet-law.de, Thomas Stadler)
Um die Herausgabe von Nutzerdaten zu erzwingen, ordnet das Amtsgericht Duisburg fünf Tage Beugehaft gegen einen Redakteur der Website Klinikbewertungen.de an. Siehe dazu auch “Nutzerdaten oder Gefängnis?” (klinikbewertungen.de).
5. “TV Programmanteile im Vergleich: ARD & ZDF vs. BBC ONE & BBC TWO” (blog.barnabas-crocker.de)
Barnabas Crocker vergleicht Programmanteile britischer und deutscher Öffentlich-rechtlicher: “Mit weniger Geld liefern BBC One und BBC Two also ein vielfältigeres Programm als ARD und ZDF. Als Gebührenzahler finde ich das traurig und in letzter Konsequenz auch verantwortungslos. Ein Grund mehr für meine Position, die Anzahl der öffentlich-rechtlichen Programme massiv zu reduzieren. Qualität kommt nicht von Quantität.”
6. ” Gehackte US-Sender: Zombie-Apokalypse hat begonnen” (heise.de, mho)
Unbekannte dringen in das Notfallwarnsystem zweier Sender ein und bewirken die Ausstrahlung einer Eilmeldung, die davor warnt, “dass sich Leichen aus ihren Gräbern erheben und die Lebenden angreifen”.
Wegen fehlender anderweitiger Kennzeichnung müssen wir davon ausgehen, dass es sich bei diesem Text aus der heutigen “Bild” um einen Artikel handelt:
Der “perfekte Bankraub für zu Hause”, besser hätte es die Promo-Abteilung von Playmobil wohl auch nicht ausdrücken können. Nur, dass es als Anzeige in der Bundesausgabe mehr als 40.000 Euro gekostet hätte.
Wenn Sie jetzt sagen, es könne doch durchaus einen Nachrichtenwert haben, dass es diesen “Bankraub fürs Kinderzimmer” “ab sofort” zu kaufen gebe, müssen wir Sie enttäuschen: Beim Internetversandhändler Amazon können Sie die “Bank mit Geldautomat” (so der offizielle Name des Produkts) bereits seit dem 10. Februar 2012 bestellen. Und dieses einjährige Jubiläum kann ja auch kein Grund für eine Berichterstattung (“ab sofort”) sein.
Es hätte da allerdings schon einen Grund für aktuelle Berichterstattung gegeben — tatsächlich gab es den auch in jenen britischen Boulevardmedien, von denen sich “Bild” so gerne inspirieren lässt: Der “Daily Mirror” berichtet seit Samstagabend auf seiner Internetseite, dass Aktivisten gegen Schusswaffengewalt das Spielzeugset als “abscheulich” bezeichnet hätten. (Ob wenigstens diese Aussagen aktuell sind, geht aus dem Artikel leider nicht hervor — in Großbritannien gibt es die “Bank with Safe” auch schon fast ein Jahr lang zu kaufen.)
Die “Daily Mail” griff die Geschichte auf, die “Sun”, die “Huffington Post” aus den USA und schließlich auch “Bild”. Nur, dass die Geschichte dort völlig fehlt.
Die “Bild”-“Berichterstattung” hat derweil blick.ch inspiriert, über das “Bankraub-Set” zu schreiben, das Playmobil “seit kurzem” für “die Kleinsten unter den Kriminellen im Sortiment” habe.
Man kann den Redakteuren dort nicht vorwerfen, gar keine eigenen Recherchen mehr angestellt zu haben. Nur das Ergebnis ist etwas überraschend:
Wem ein Banküberfall zu langweilig ist, kann seinen Kleinen das Set “Diebstahl im Museum” kaufen, mit drei Museumsdieben, die mit ihrer raffinierten Ausrüstung an den Film “Mission Impossible” erinnern.
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1. “Journalismusforschung: ‘Ganz auf Linie mit den Eliten'” (heise.de/tp, Marcus Klöckner)
Ein Interview mit Uwe Krüger, der im Buch “Meinungsmacht” die Netzwerke von Journalisten und Eliten untersucht: “Ich vermute folgendes: Journalisten mit Eliten-kompatiblen Werten und Meinungen haben höhere Chancen, Zugang zu den höchsten Kreisen zu bekommen, und die Einbindung in das Elitenmilieu verstärkt dann über die Zeit hinweg die Konformität.”
2. “Die Finsternis einer Behinderung” (jule-stinkesocke.blogspot.de, Jule)
Jule liest eine Kolumne von Franz Josef Wagner: “Könnte dieser Mensch mal aufhören, seine verrückten Vorstellungen über das Volk zu gießen? Finsternis! Glaubt wirklich irgendjemand, dass ein Rollstuhlfahrer auf eine Party fährt, um davon zu träumen, wie es wäre, jetzt tanzen zu können?”
3. “Im Mund rumgedreht: Fahrscheinlos oder kostenlos?” (blogs.taz.de, Sebastian Heiser)
Sebastian Heiser erklärt, warum er von “kostenlosem” Nahverkehr schreibt, und nicht von “fahrscheinlosem” oder “umlagefinanziertem”. Einige Kommentarschreiber halten das aber nicht für korrekt.
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1. “Der Blogger, das Gold und die Startbahn” (wortfeld.de, Alexander Svensson)
Alexander Svensson sucht (bisher erfolglos) einen Blogger, der, wie der “Spiegel” berichtet, Isländer dazu brachte, in einer Winternacht “ebenso tapfer wie sinnlos anderthalb Tage die Startbahn” zu blockieren.
2. “Gamification: Warum die Paywall für Medien ein Irrtum ist” (netzwertig.com, Matthias Sala)
Matthias Sala empfiehlt Zeitungsportalen, sich an der erfolgreichen Spieleindustrie zu orientieren und Angebote im Centbereich zu offerieren, die mittels Kleinsttransaktionen erworben werden können: “Online-Zeitungen sollten dies auch anbieten: die schnelle Suche im Archiv, das Drucken einer Infografik in hoher Auflösung für PowerPoint, das Erstellen eines gelayouteten PDFs für ein Spezialthema oder das Freischalten genauer Statistiken eines Wirtschaftsartikels.”
3. “Genial, geliebt, gefährdet” (zeit.de, John F. Jungclaussen)
Die Guardian Media Group verliert “jede Woche über eine Million Pfund”. “Lohnkosten für 600 Journalisten, die in der integrierten Print- und Onlineredaktion arbeiten, müssen weiter bezahlt werden. Das Jahresgehalt des Chefredakteurs von 600.000 Pfund erscheint da immer extravaganter. ‘In drei bis fünf Jahren wird uns das Geld ausgehen’, rechnet Geschäftsführer Miller vor.”
4. “Der Zentrallappen des Grauens” (gehirn-und-geist.de, Steve Ayan)
Ein Bremer Hirnforscher habe den Sitz des Bösen im menschlichen Gehirn entdeckt, schreibt Bild.de. “Das alles wäre zum Lachen, wenn es nicht auch einen bitteren Beigeschmack hätte. Denn der krude Biologismus, den Boulevardmedien in Sachen Gehirn immer wieder bedienen, suggeriert letztlich: Die können nicht anders! Wer das Böse im Hirn hat, der handelt auch so.”
6. “Wir Empörten” (dasmagazin.ch, Christian Schmidt)
Am 13. November 2002 sinkt die Prestige, 64.000 Tonnen Schweröl laufen aus, verpesten die Küste Spaniens und Frankreichs. Ein Besuch vor Ort, zehn Jahre danach.
Es gibt Dinge in unserem Rechtsstaat, die will “Bild” einfach nicht akzeptieren. Vor allem die Tatsache, dass selbst Mörder und Kinderschänder grundlegende Rechte haben.
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zum Beispiel. Das spricht die “Bild”-Zeitung Menschen, die ein schweres Verbrechen begangen haben, in der Regel kurzerhand ab – und tut dann sogar so, als müsste man ihr dafür auch noch dankbar sein:
“Die Identität eines Straftäters ist grundsätzlich zu schützen”, sagt der Deutsche Presserat, der oberste Sittenwächter der Presse – und kritisiert aus diesem Grund immer wieder die BILD-Zeitung. Weil wir ganz anderer Meinung sind. Weil wir glauben, dass die Öffentlichkeit ein Recht darauf hat zu erfahren, wie ein Vergewaltiger, ein Kinderschänder und ein Mörder aussehen. Und wir deshalb Vergewaltiger, Kinderschänder und Mörder auch zeigen.
Und es wird sich auch in naher Zukunft vermutlich nicht viel daran ändern. Auch deshalb, weil “Bild” in solchen Fällen – abgesehen von den Maßnahmen des Presserats, die das Blatt in der Regel sowieso ignoriert – nur selten irgendwelche Konsequenzen zu erwarten hat, erst recht keine juristischen. Denn, wie wir schon vor ein paar Jahren mal geschrieben haben, ist …
(…) die Wahrscheinlichkeit, dass sich z.B. eine junge Frau, die gerade wegen des Verdachts, ihr eigenes Baby getötet zu haben, in Untersuchungshaft sitzt, juristisch gegen die Veröffentlichung eines Fotos von ihr zur Wehr setzt, für “Bild” ebenso überschaubar, wie es die aus einem eventuellen Gerichtsprozess resultierenden Schmerzensgeldforderungen sind.
Aber auch wenn sich nur selten jemand traut oder überhaupt befähigt fühlt, in so einer Situation juristisch gegen “Bild” vorzugehen – die Erfolgschancen eines solchen Prozesses sind gar nicht mal gering. Denn vor Gericht zieht die wackelige Argumentation der “Bild”-Juristen offenbar nur wenig. Das jedenfalls zeigt ein Urteil des Landgerichts Verden, das nun rechtskräftig geworden ist.
Verurteilt wurde der Axel-Springer-Verlag wegen der “Bild”-Berichterstattung über einen Prozess, in dem eine junge Frau angeklagt war, ihr neugeborenes Baby ermordet zu haben. Sie wurde wegen Totschlags in einem minderschweren Fall verurteilt.
“Bild” hatte den Prozess von Anfang an begleitet und die Frau, eine Polizistin, schon ab dem ersten Verhandlungstag im Januar 2011 ohne jede Unkenntlichmachung gezeigt sowie Details aus ihrem Privatleben veröffentlicht. Später klagte die Frau gegen die identifizierende Berichterstattung – und bekam Recht: Dem Axel-Springer-Verlag wurde gerichtlich untersagt, ungepixelte Fotos der Frau zu verbreiten. Außerdem muss er ihr 6000 Euro Schmerzensgeld zahlen.
Laut einer Pressemitteilung des Landgerichts argumentierte die Frau vor Gericht, “die Berichterstattung verstoße gegen die Unschuldsvermutung, weil sie den Tatvorwurf des Mordes nie gestanden und dieser sich auch im Verlaufe des Verfahrens nicht erwiesen habe”. Der Verlag hingegen hatte unter anderem eingewendet, bei der Frau “handele es sich um eine Person der Zeitgeschichte, weil sie Polizistin gewesen sei und eine schwerwiegende, außergewöhnliche Tat begangen habe”.
Die Richter betonten, bei Gewaltverbrechen sei “in der Regel ein über bloße Neugier und Sensationslust hinausgehendes Interesse an näherer Information” über den Täter und den Tathergang erforderlich, um eine identifizierende Berichterstattung zu rechtfertigen. Grundsätzlich sei hierbei also – das fordert im Übrigen auch das Bundesverfassungsgericht – “eine Abwägung zwischen den Rechten der Abgebildeten und der Pressefreiheit vorzunehmen”. In diesem Fall …
(…) überwiegten die berechtigten Interessen der Klägerin. Es sei schon nicht ersichtlich, dass es für die Berichterstattung auch auf die Identifizierbarkeit der Klägerin ankam. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Lichtbildes habe weder eine (erstinstanzliche) Verurteilung der Klägerin vorgelegen, noch habe diese sich in der Hauptverhandlung überhaupt schon zur Sache eingelassen.
Der Verlag ging zwar in Berufung, doch das Oberlandesgericht Celle bestätigte das Urteil des Landgerichts. Und die Kritik der dortigen Richter galt nicht nur den ungepixelten Fotos:
Der Senat beanstandet darüber hinaus die mit dem Lichtbild versehene Schlagzeile der Zeitung. Auch diese könnte bei Abwägung der Interessen zugunsten der Klägerin berücksichtigt werden.
Die auf das Lichtbild aufgebrachte Schlagzeile sei “tendenziös und vorverurteilend”, die Informationen aus der Pressemitteilung des Landgerichts Verden über diesen Fall seien in einer Art umgestaltet und umformuliert worden, dass hieraus eine “marktschreierische, sensationsheischende und vorverurteilende Überschrift” geworden sei.
“Umgestaltet” und “umformuliert” wurden die Informationen übrigens von “Bild”-Reporterin Astrid Sievert, die ihr, sagen wir: Talent darin schon mehrfach eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat. In der angesprochenen Pressemitteilung hatte es damals jedenfalls geheißen:
Die Staatsanwaltschaft wirft der Angeklagten vor, das Kind getötet zu haben, weil sie durch die ungewollte Schwangerschaft befürchtete finanzielle Einschränkungen nicht habe hinnehmen und ihren “bis dahin geführten hohen Lebensstandard” nicht habe reduzieren wollen.
In “Bild” lautete die Überschrift dann: “Polizistin ersticht ihr Baby mit Schere …weil sie ihr schönes Leben nicht aufgeben wollte”.
Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) ist seit dieser Woche nicht mehr Bundesbildungsministerin Prof. Dr. Annette Schavan (CDU), weil ihr die Heinrich-Heine-Universität zu Düsseldorf den Doktorgrad entzogen hat.* In der Dissertation von Frau Schavan seien “in bedeutendem Umfang nicht gekennzeichnete wörtliche Übernahmen fremder Texte zu finden”, begründete die Universität ihre Entscheidung.
Für Tilman Krause, Leitender Literaturredakteur bei der “Welt”, ist der Fall Schavan kein Einzelfall, sondern Symptom einer gesellschaftlichen Fehlentwicklung. Er schreibt:
Der Fall Schavan erinnert noch einmal an einen Umstand, der dem Vergessen anheimzufallen droht, aber zum Verständnis unserer Gegenwartsnöte unabdingbar ist: Der Ausverkauf von Bildung, der naive Glaube, jeder könne ein Intellektueller sein und der Aufstieg ins Bildungsbürgertum lasse sich in zwei, drei Jahren bewältigen – all diese törichten Illusionen sind auf sozialdemokratischem Mist gewachsen.
Krause fragt, was man von einer Frau halten solle, die, “aus einfachen Verhältnissen kommend, promovieren will um jeden Preis, hauptsächlich aber ohne vernünftig studiert zu haben” und die – “mit anderen Worten” – “Bildung missverstand wie Honecker den Sozialismus”.**
Nimmt man dazu noch die Tatsache, dass Annette Schavan ihre Fahrt ins akademische Glück im Fach Erziehungswissenschaften angestrebt hat und sich dafür an der Universität Düsseldorf immatrikulierte, dann hat man ein so lupenreines sozialdemokratisches Aufstiegsmuster beisammen, dass man schon fast wieder an der Daseinsberechtigung der CDU zweifeln möchte, wenn solche Lebensläufe sich jetzt dort finden statt in der SPD, wo sie hingehören.
Krause liefert dann eine “kleine Erinnerung an die universitäre Landschaft, wie sie sich im Jahr von Annette Schavans Dissertationsanstrengung, also 1980, darbot”. Erziehungswissenschaften seien damals in etwa das gewesen, was heute “Kulturmanagement” oder “Journalistik” seien: “ein Non-Fach, eine intellektuelle Simulation”.
Im Falle von Annette Schavan kam es aber laut Tilman Krause noch schlimmer:
Und nun Düsseldorf. Wer aus Nordrhein-Westfalen stammte und auf sich hielt, schickte seine Kinder doch nicht nach Düsseldorf! Bonn, Münster, Köln waren die renommierten Ausbildungsstätten, Bochum galt als interessante Reformuniversität, aber Düsseldorf, 1965 gegründet, stand nun wirklich für gar nichts – außer für den sozialdemokratischen Traum von der Hochschulreife für alle.
Die Uni Düsseldorf ist für Krause also quasi der betongewordene “sozialdemokratischen Traum von der Hochschulreife für alle”.
Und tatsächlich hatte die Landesregierung NRW 1965 die Umwandlung der bisherigen Medizinischen Akademie in eine “Universität Düsseldorf” beschlossen.
Nordrhein-Westfalen, den anderen Bundesländern bislang nur in den Einnahmen und Einwohnern weit voraus, entwickelt sich nun zum hochschulreichsten Land der Bundesrepublik. Treibende Kraft ist Kultusminister Professor Paul Mikat, Geburtshelfer von fünf Universitäten (Bochum, Dortmund, Ostwestfalen, Aachen, Düsseldorf).
Paul Mikat war Mitglied der CDU. So, wie überhaupt die ganze Landesregierung unter Ministerpräsident Franz Meyers (CDU) damals aus CDU und FDP bestand.
Mit Dank an Ralf B.
*) Nachtrag/Hinweis, 19.30 Uhr: Streng genommen ist es wohl so, dass Frau Schavan ihren Doktorgrad zumindest solange behält, bis das Verwaltungsgericht Düsseldorf über ihre Klage gegen die Aberkennung entschieden hat.
**) Nachtrag/Hinweis, 9. Februar: In der Onlineversion steht nun “die mit anderen Worten Bildung missverstand wie Ulbricht den Sozialismus”. Zuvor hatte dort – wie in der Printversion – “Honecker” gestanden. Die Universität Düsseldorf steht aber immer noch für den “sozialdemokratischen Traum”.