Suchergebnisse für ‘bild tv’

medienlese – der Wochenrückblick

Die volle Wahlfreiheit, der Blogger als Schwein, gute Vorsätze.

Deutschlands Medienwoche war geprägt von einer Debatte um Jugendkriminalität. Weil es in Frankfurt, in München, Berlin und nochmal München zu Gewalttaten in U-Bahnen kam, kümmerten sich die Medien (und dann auch noch die Politik) fast ausschliesslich um diese Fragen. Auf bild.de konnte man dazu Stellung beziehen und entscheiden, was mit den Gewalttätern passieren soll. Abschieben? Wegschliessen? Umerziehen? Vorbildlich auch, dass bild.de ihren Usern die volle Wahlfreiheit liess. Wer wollte, konnte für alle drei Optionen gleichzeitig sein. Was wieder mal beweist, wie sinnlos Umfragen im Internet oft sind.

Die NZZ las ein offenbar schlechtes Journalismus-Lehrbuch über Videojournalismus. SRM. nervte sich über “die Mogelpackung”: “Von herkömmlichem Fernsehjournalismus unterscheidet er [der Videojournalismus] sich vor allem darin, dass der Journalist zu einer Art eierlegender Wollmilchsau mutiert, die nahezu alles kann – er ist zunächst Reporter, Kameramann und Tontechniker und dann auch noch sein eigener Redaktor und Cutter.” Dass das Buch nicht gut ist, kann ja sein, allerdings ist diese angeblich eierlegende Wollmilchsau keine Unmöglichkeit. Einige Blogger beweisen bereits, dass sie solche Schweine sein können.

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medienlese – der Wochenrückblick

Polyp Google, Altpapier für Tote.

Google als grausame und allesverschlingende Krake zu sehen ist offenbar ein beliebtes Bild, jedenfalls auf deutschschweizer Redaktionen. Nach Heute und der Sonntagszeitung stellte nun auch das Magazin das Unternehmen als glitschigen Polyp dar, dessen Riesenhaftigkeit und Fürchterlichkeit in der Dunkelheit der Tiefe des Datenmeeres nicht recht abzusehen ist. Dazu ists eine neue Konkurrenz, die die etablierten Verlagen um ihre traditionellen Werbeeinnahmen fürchten lässt. Aber das wird sicher nicht der Grund sein, warum die Firma so dargestellt wird.

K. Latsch vom Zürcher Presseverein konnte die Altpapierflut trotz eifrigem Bemühen nicht aufhalten. Trotz mehrfacher Abbestellung kriegt Latsch das Migros-Magazin (ehemals Brückenbauer) sowohl für sich, für seine verstorbene Mutter und für seine verstorbene Grossmutter.

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6 vor 9

Es bleibt in der Familie
(taz.de, Steffen Grimberg)
Die Medienwelt ist von fiesen Finanzinvestoren durchsetzt, bei denen das Gesetz der Börse zählt. Nur in Deutschland habens MedienfürstInnen lieber dynastisch.

Weshalb wird nicht mehr über Horst Seehofer und sein Baby berichtet?
(sz-magazin.sueddeutsche.de, Eveyln Roll)
Wenn Horst Seehofer heute von einem Journalisten gefragt werden würde, wie es seinem Baby geht und der Mutter des Kindes, Anette Fröhlich, oder wie seine Frau Karin und er inzwischen mit der ganzen Sache umgehen, würde er sagen: »So, wie es sich gehört. Und lassen Sie mich damit in Ruhe. Dazu ist alles gesagt.« Aber es fragt ihn keiner.

Wie das Web 2.0 die Gesellschaft verändert
(welt.de, Daniel Mandler)
Duane Nickull ist ?Senior Technical Evangelist? beim US-Softwareriesen Adobe. Seit mehr als zehn Jahren ist er im Internet-Geschäft. In einem Gespräch mit WELT ONLINE erklärt er, wie das Web sich weiterentwickelt. Daneben kritisiert er Adobes Linux-Support – und lässt es nicht aus, über das ?nächste große Ding? zu reden.

100 Tage TruemanTV
(trueman.tv, Marcel)
?Mir fällt es eigentlich nicht schwer, die Kamera zu tragen und immer dabei zu haben. Wenn man weiß, dass es in einem Jahr zu Ende ist, fällt einem der Gedanke an die Kamera nicht schwer. Es belastet mich auch nicht, auch wenn es sicher die meisten von Euch denken.?

Erst verspottet, jetzt bewundert
(handelsblatt.de, Katja Ridderbusch)
Cynthia Good hat Erfolg mit ihrem Wirtschaftsmagazin für Frauen. Denn immer mehr Damen rücken an die Spitze von US-Unternehmen.

Einstiegsdroge Internet
(sueddeutsche.de, Annette Ramelsberger)
12.000 Menschen in Deutschland stehen im jüngsten Pädophilie-Fall unter Verdacht. Das Internet sei eine Einstiegsdroge für Pädophile, sagt der Psychiater Werner Bartens: ?Die Bilder werden immer härter?.

Sink an einem anderen Tag

Es ist Weihnachten, da muss man auch mal ein Auge zudrücken.

Hätte damit aber immer noch eins mehr offen, als die Menschen, die bei Bild.de die Weihnachtsfernsehtipps verfassen. Vergangenen Freitag bestand rund die Hälfte der Highlights, die sie empfahlen, aus dem Weihnachtsprogramm 2006. Der Artikel ist dann unauffällig entsorgt worden, stattdessen machte sich nun eine andere Kollegin noch einmal an das Thema und schrieb:

Bei so viel Angebot fällt die Auswahl schwer.

Wir helfen Ihnen und zeigen hier die TV-Highlights für die Feiertage.

Tolle Hilfe. Schwer fällt zum Beispiel die Entscheidung zwischen den beiden Spielfilmen, die laut Bild.de beide gleichzeitig am 25. Dezember um 20.15 Uhr auf ProSieben laufen sollen: “Titanic” und “Pearl Harbor”…


…insbesondere, wenn sich dann herausstellt, dass keiner der beiden am 25. Dezember um 20.15 Uhr auf ProSieben läuft. “Pearl Harbor” kommt auf RTL, “Titanic” erst am 2. Weihnachtstag. Stattdessen zeigt ProSieben am 1. Weihnachtstag “Armageddon”, einen Film, den Bild.de als Highlight des 2. Weihnachtstages ankündigt.

Und Alexander von Schönburg, von “Bild” ganz unbeirrt als “Adels-Experte” bezeichnet, versucht zwar mit vermeintlichem Insiderwissen zu imponieren, wenn er in der “Bild” den Ablauf des Heiligabends bei den Windsors beschreibt:

Die englischen Royals haben sich in Schloss Sandringham versammelt. Ihr heutiger Tag: Morgens spazieren gehen oder Ausritt. Um 15 Uhr sitzen alle vor dem Fernseher, hören die Weihnachtsansprache der Queen. Danach trifft man sich im holzgetäfelten Rauchsalon zum Tee. Um 18 Uhr Bescherung im Weißen Salon… [etc. pp.]

Aber die Details (“Lammbraten, danach Pina-Colada-Mousse”) wären noch beeindruckender, wenn von Schönburg wenigstens wüsste, dass die Weihnachtsansprache der Queen erst am folgenden Tag, dem 25. Dezember, ausgestrahlt wird.

Mit Dank an Axel L.!

Nachtrag, 10.00 Uhr: Nun haben “Armageddon” und “Titanic” ihre richtigen Sendeplätze gefunden. “Pearl Harbor” empfiehlt Bild.de sicherheitshalber gar nicht mehr.

Allgemein  

Was geschah wirklich mit Gina Wild?

Den regelmäßigen Leser der täglichen “In & Out”-Rubrik von “Bild” beschleicht häufiger einmal der Verdacht, dass die Listen weniger allgemeine Trends widerspiegeln oder Ratschläge geben, sondern eher der Verarbeitung eigener Erfahrungen durch “Bild”-Redakteure dienen.

Nur durch ein konkretes traumatisches Erlebnis lässt sich vermutlich auch dieser heutige Punkt erklären:

OUT: Zufällig gefundene Erotikfilme zertrampeln – erst den Partner fragen, ob’s seine sind

Da unsere Fantasie nicht ausreicht, die mutmaßliche Anekdote zu rekonstruieren, die zu dieser Warnung Anlass gab, haben wir jemanden gefragt, der sich mit sowas auskennt: Sigrid Neudecker, Mitarbeiterin von “Zeit Wissen” und Autorin des Sexblogs von zeit.de “Man muss ja nicht immer reden”. Hier ihr Erklärungsversuch:

Wer zertrampelt Erotikfilme / gefundene Fremdschlüpfer / Bilder von Exfreundinnen? Frauen. Frauen kommen damit noch durch. Wenn ein Mann so einem Verhalten an den Tag legt, sollte man a) ihm die Adresse eines guten Facharztes besorgen und b) die Schlösser austauschen.

Also: Eine Frau hat zertrampelt. Nur was soll der Zusatz “erst den Partner fragen, ob’s seine sind”? Wenn es seine sind, sollte man sie nicht zertrampeln, sonst schon? Ach nein, da hat das Wort “überhaupt” nicht mehr in die Zeile gepasst: “…ob’s überhaupt seine sind.”

Nicht, dass das dem Halbsatz tatsächlich Sinn gäbe. Denn nun steht man wieder vor zwei Varianten: a) Die Pornos gehörten dem Mann. b) Die Pornos gehörten nicht dem Mann. Aber irgendwie muss er ja trotzdem drangekommen sein. Womöglich hat er sie sich von einem Kollegen aus dem Nebenressort ausgeliehen und muss ihm nun beichten, dass seine eifersüchtige Freundin die leider platt gemacht hat.

Die naheliegendste Vermutung wäre, dass der diensthabende “In & Out”-Experte der Verleiher war. Und sein konkretes traumatisches Erlebnis bestünde darin, dass ein Kollege ihn dezent mit dem Geständnis konfrontierte: “Du, meine Alte hat deine Gina-Wild-DVD ruiniert. Hältst du’s noch bis zum Dschungelcamp aus oder soll ich dir gleich eine neue kaufen?”

Ha, nein, das ist es: Es waren privat gedrehte Pornofilmchen, auf denen die rasende Frau die Exfreundin des Gatten zu erkennen geglaubt hat! Und nachdem Männer beim Sex am liebsten die Frau und deren Manipulationen an seinem besten Stück filmen, war er selbst nicht zu sehen! Und der ominöse Zusatz bedeutet: “Erst fragen, ob es seine selbstgedrehten Filme sind!”

OUT: Zufällig gefundene Erotikfilme zertrampeln – erst den Partner fragen, ob’s seine sind. / Unterwäsche schenken, die nicht passt. So gut sollte man seine(n) Liebste(n) schon kennenSo passt alles dann auch noch zum nächsten Punkt auf der “Out”-Liste: Wer das beste Stück seines Freundes nicht gut genug kennt, um es auf einem Video zu identifizieren, kann ihm selbstverständlich auch keine passende Unterwäsche kaufen.

Gut, das wäre dann auch geklärt.

Der Geist der vergangenen Weihnacht


Stimmt. Ein Großteil der von Bild.de angekündigten “TV-Highlights” kommt einem irgendwie bekannt vor: “Moonlight Mile” (Hl. Abend, 20.15 Uhr, Pro7) zum Beispiel. Oder die “TV-Premiere” von “Tatsächlich… Liebe” (1. Weihnachtstag, 20.15 Uhr, RTL). Oder, anderes Beispiel, der erste Teil der “Der Herr der Ringe”-Trilogie…

Der erste Teil der spannenden Trilogie "Der Herr der Ringe - Die Gefährten" (26. Dezember, 20.15 Uhr, RTL) ist wieder im TV
Und, ja, es stimmt: Nicht nur “Moonlight Mile”, “Tatsächlich… Liebe” und “Der Herr der Ringe – die Gefährten”, sondern auch “Cast Away”, “Forrest Gump”, “Stuart Little”, “Muppets: Der Zauberer von Oz”, “Out of Sight” und “Leon, der Profi” — also immerhin die Hälfte der “TV-Highlights” von Bild.de waren bereits vor einem Jahr im Weihnachtsprogramm zu sehen. Sogar zur selben Uhrzeit!* Auf denselben Sendern! Also dort, wo in diesem Jahr, äh… “Ladykillers”, “Pearl Harbor”, “Der Flug des Phönix” “Armageddon”, “Titanic” , “Hogfather”, “Teuflische Engel”, “10.5 Apokalypse” und der Schluss von “Armageddon” laufen.

Anders gesagt: Wenn einem die “TV-Highlights” von Bild.de bekannt vorkommen, liegt das nicht notgedrungen an den “vielen Wiederholungen”, sondern daran, dass es zu einem Großteil die TV-Highlights des vergangenen Jahres sind.

*) außer “Moonlight Mile” (lief 2006 schon um 16 Uhr auf Pro7)

Mit Dank an Michael Q. und c_d_k für den Hinweis.

Nachtrag, 22.12.2007: Sieht ganz so aus, als hätte der Geist der gegenwärtigen Weihnacht bei Bild.de vorbeigeschaut und den kompletten Artikel ersatzlos gestrichen.

Wir sind Franz!


Jens Weinreich, 42, leitet das Sportressort der “Berliner Zeitung” und ist wegen seiner regelmäßigen Enthüllungen über die Schattenseiten des organisierten und kommerzialisierten Sports vielleicht einer der meistgehassten Sportjournalisten in Deutschland. Er kritisiert den “Fanjournalismus” im Stil Waldemar Hartmanns und das Hochjubeln von “Kirmesboxern” durch die jeweils übertragenden Sender und ist Autor mehrerer Bücher und Filme vor allem über Doping und kriminelle Machenschaften im Sport. 2005 gewann er den “Wächterpreis der Tagespresse” für seine Enthüllungen von Unregelmäßigkeiten bei der missglückten Olympia-Bewerbung Leipzigs und gründete das “Sportnetzwerk”, das kritischen Sportjournalismus fördern will.

Von Jens Weinreich

Oft habe ich den Kollegen verflucht, der mich zu diesem Beitrag überredet hat. Denn ich gestehe: Ich blättere gewöhnlich nicht in der “Bild”-Zeitung, und darauf lege ich Wert. Vielleicht ein oder zwei Mal im Monat schaue ich in dieses Blättchen. Es mag schrecklich unprofessionell klingen für einen Sportjournalisten, doch das ist mir egal. “Bild” ist für mich vor allem eines: irrelevant. Über Bundesliga und Nationalmannschaft erfahre ich auch ohne “Bild” genug, ob ich es will oder nicht. Und es ist wahrlich nicht so, dass “Bild” in diesem Unterhaltungssektor allen anderen voraus marschieren würde. Ganz im Gegenteil.

Ich will nur über die Sportseiten reden. Da habe ich in dieser Woche nichts gesehen, was ich nicht auch woanders gelesen hätte. Allerdings hat vieles gefehlt, journalistische Texte beispielsweise, aber das ist ja nichts Neues. Hintergründe zu den Dopingpraktiken im deutschen Sport, ob nun im Team Telekom oder an der Universitätsklinik Freiburg? Korruptionsskandale in zahlreichen Sportarten, etwa im Handball-Weltverband, wo gerade Olympiaqualifikationsspiele neu angesetzt werden mussten? “Bild” hat da nichts Eigenes zu bieten. Der frisch fertig gestellte Bericht des Bundesinnenministeriums (“Projektgruppe Sonderprüfung Doping”) wird in “Bild” nicht einmal erwähnt. (Ich hoffe, ich habe keine dreizeilige Kurzmeldung übersehen.)

Dennoch hat “Bild” heute wieder einen großen Sport-Tag. Man kapriziert sich auf die übliche Mischung: Helden, Sex und Zwistigkeiten. Der FC Bayern läuft immer: “Hitzfeld geht!” Nacktfotos gehen auch: “Sex-Skandal um schöne Olympia-Königin”. Und wenn ausnahmsweise mal fünf deutsche Fußballteams unter den letzten 32 Vereinen im zweitklassigen Uefa-Pokal stehen, titelt “Bild”, wie einfallsreich: “Wir sind Uefa-Cup!” Mit anderen Worten: Es fehlt dem Blatt an exklusiven Sportmeldungen. Selbst den ewig nörgelnden Fußballtorhüter Jens Lehmann (“Er muss da weg!”) schreibt man von anderen ab. Diesmal hat Lehmann mit dem Fußball-Zentralorgan “kicker” geredet. “Bild” zitiert nur, aber wenigstens mit Quellenangabe.

Lustig wird es allerdings in der Berliner “Bild”-Ausgabe auf der letzten Seite, die dem FC Bayern gewidmet ist. Dass Ottmar Hitzfeld den FC Bayern verlassen will, schreibe man “bereits seit Tagen”, plustert sich “Bild” auf. Ich weiß nicht, wer das in diesem Lande noch nicht geschrieben hätte. Egal, “Bild” nennt potenzielle Nachfolger, aber nur die üblichen Verdächtigen. Wenn mehrfach von “Bayern-Bossen” die Rede ist, wird zwar “Killer-Kalle” Karl-Heinz Rummenigge genannt, auch Uli Hoeneß — nur einen anderen, den Bayern-Präsidenten, sucht man vergebens in der Liste der Schuldigen am Hitzfeld-Drama.

Kein Wunder, denn Franz Beckenbauer ist als Lichtgestalt sakrosankt. Kritik an ihm verbietet sich. Franz ist nicht nur Kaiser, er ist Gott, wenn es sein muss, geht er über Wasser — und Bild macht ihn zur Not zum Bundeskanzler. Stolz präsentiert “Bild” auf dieser Bayern-Seite noch eine krude Rangliste des “Manager-Magazins”. Die Frage lautet: Wer regiert in Deutschland das Sport-Business? Die Antwort hätte man sich fast gedacht. “Auf Platz 1: ‘Bild’-Kolumnist Franz Beckenbauer.” Auf Rang 14, zwar hinter dem IOC-Präsidenten Jacques Rogge (7), aber vor Sportminister Wolfgang Schäuble (17), “noch ein Bild-Mann: Vize-Chefredakteur Alfred Draxler”.

Heißa, da ist die Sportwelt doch wieder in Ordnung, zumindest aus Sicht der “Bild”-Strategen. Wir sind Uefa-Pokal, wir sind Franz und wir sind wichtig. Wir sind übrigens auch ein bisschen unterwürfig: Wie erkundigte sich der “Bild”-Reporter Walter M. Straten vergangene Woche beim “Bild”-Kolumnisten Franz Beckenbauer? “Was ist dran an den Gerüchten, dass Sie ein Franz-Beckenbauer-Museum planen?” Der Springer-Lohnschreiber dementierte, vorerst noch. “Ein Museum mit meinem Namen?”, erwiderte der Kaiser, “definitiv nicht. Da müsste ich mich ja selbst reinstellen.”

“Bild” bleibt dran. Bis zur nächsten Kolumne.

 
Unsere Reihe BILDblogger für einen Tag beschließen, wenn alles klappt, Judith Holofernes und Max Goldt.

Da sollte man nicht locker lassen!


Bastian Pastewka, 35, ist Komiker, Schauspieler und Autor. Nach eigener Aussage ist er zudem “seit circa 12einhalb Jahren und wenigen Wochen aus dem Deutschen Fernsehen nicht mehr wegzudenken (‘Wochenshow’, ‘Ohne Worte’, ‘Pastewka in…’) und das weiß er auch. Er gewann mehrere TV-Preise (‘Goldene Kamera’, ‘Deutscher Fernsehpreis’ und zweimal die ‘Rose d’Or’), vor allem für seine aktuelle Serie ‘Pastewka’ (Sat.1). Er wurde einem breiten Publikum im Grunde nie bekannt, da seine Erfolgssitcom ‘Pastewka’ derzeit unter einer seltsamen Quotenschwäche leidet, die ihn zu rätselhaften Artikeln über deutlich erfolgreichere Sendungen ermuntert. Er liebt das Deutsche Fernsehen heiß und innig. Und er würde alles tun, um jemanden kennen zu lernen der bei Soaps heult, bei ‘Geile Zeit’ lacht oder Pastewkas Dauerironie entschlüsseln kann.
Morgen übrigens ist es bei Bedarf möglich, den Autor dieses Artikels zusammen mit der grandiosen Anke Engelke bei einer gemeinsamen Weihnachtsshow-Persiflage in verschiedenen Rollen zu erleben, was mit Eigenwerbung echt nichts zu tun hat, schwöre, aber ich spiele da Tine Wittler, und das hat ja einen Bezug zu dem Thema nebenan. Übrigens: Wer kapiert die Regeln von der Koffershow mit Guido Cantz? Hallo? …..Halllooooooooooo?”

Von Bastian Pastewka

Sehe nur ich die bedrohlichen Signale neuer Allianzen in dieser eiskalten Vorweihnachtszeit? Dass die “Bild” und der “Spiegel” sich weitaus näher gekommen sind, als mein Vater das gutheißen würde, ist ja bekannt; aber was veranstaltet die “BamS” vom vergangenen Sonntag denn nun für einen Kuschelkurs mit den Stars (das “Stars” würdet Ihr jetzt durchstreichen und durch irgendwas Bissiges ersetzen, aber ich weiß nicht wie das technisch geht!) von RTL?

Und ist es nur ein Zufall, dass dies genau in der Woche geschieht, in der die Axel Springer AG den Ausstieg aus der ProSiebenSat.1 Media AG vollziehen wird? Wie sonst ist zu erklären, dass sich gleich ganze drei Artikel Deutschlands kommerziell erfolgreichstem Privatsender widmen.

Es folgt eine knallharte Analyse, die Sie so nicht erwartet hätten:


Wir erfahren, dass Tine Wittler gerne mit Freunden raucht und eine Kneipe namens “Parallelwelt” zu einem Vereinsheim umfunktioniert hat. Hallo, Parallelwelt! Bin ich der Einzige, der hier einen Hinweis auf die RTL-Show “Einsatz in 4 Wänden” erkennt? (Und bin ich der Einzige, der das Foto der Expertin als Montage entlarvt? Ist die Hand mit der Zigarre bei näherer Betrachtung nicht doch eher Paris Hilton letztes Wochenende im “Felix”? Da sollte man nicht locker lassen!)


Schock Nummer 2: Rauchen ist trotz Tine Wittler doch gefährlich, wie TV-Star Christian Berkel beim Dreh zu dem Fernsehfilm “Mogadischu” laut “BamS” hautnah erleben musste. Jetzt kommts: Berkel “ging in seiner neuesten Rolle als Bundeskanzler Helmut Schmidt sogar bis ans Eingemachte und rauchte 80 Zigaretten pro Tag!”. Entschuldigung, bin ich der Einzige, der hier über den Begriff neueste stolperte? Jawohl, Christian Berkel schlüpfte schon einmal in die Rolle des Altkanzlers, und zwar in dem auch von “Bild” ausführlich goutierten TV-Drama “Die Sturmflut”. Und nun raten sie mal, auf welchem Sender diese zu sehen war?! Na, erkennen Sie es auch…?


Inka Bause verlängert ihren Vertrag bei RTL (da! daaaaaa!), und Bauern sind ja doch nicht so blöd, wie die “BamS” gleich enthüllen wird, um dies jedoch auf Bauernpräsident Sonnleitner zu schieben, um sich nicht die Blöße zu geben.

Und das nervt jetzt wirklich: Eine für seine Belanglosigkeit typische Reality-Doku, die mit ein paar Steinzeit-Klischees aufgemöbelt wurde, weil’s sonst nicht als Sendung taugt, wird nicht nur von unglaublichen acht Millionen Fans (durchstreichen und durch “Bauern” ersetzen) pro Woche verfolgt, nein, die Sendung erlebt abwechselnd Ablehnung und dann wieder Zuspruch durch “Bild”/”BamS”, so als hätte es die jeweiligen Vorgängerartikel nie gegeben. Und dabei ist der Adressat der Artikel im Grunde nie der Zuschauer, den man für sein Interesse an der Sendung belohnt/informiert/kritisiert; nein, es sind letztlich die gepeinigten Bauern selbst, die sich hier noch mal unwissentlich zum Affen machen dürfen. Die in dem Glauben gelassen werden, sie würden Humor beweisen, wenn ihre Aussagen in der “BamS” in Sprechblasen verkürzt oder in ihrer RTL-Sendung mit dem Baby-Elephant-Walk unterlegt werden.

Denn so sind unsere anständigen Landwirte nun mal, sie treiben es auf dem Hochsitz auch nach 12 Stunden Trecker-Fahren, und sie lachen mit bis zu zwei Frauen (nein, nicht durchstreichen und durch “Ziegen” ersetzen!) im Bett, während der Knackpo unterm Schottenrock anschwillt! Haha!

Und das hat gesessen: Mit diesen “pikanten Sex-Geständnissen schlagen die Bauern jetzt zurück”; denn “BamS”-Autorin Nicole Pohl will uns glauben machen, dass “Sensibelchen Maik”, der “Standfeste Andreas” und der “Fröhliche Furthi” nicht etwa “als einsame Trottel” sondern als Helden in die Geschichte eingehen werden, wenn sie nach einer weiteren Staffel von “Bauer sucht Frau” am Männlichkeitswahn eingegangen oder auch nur beim Sich-Schämen vom Hochsitz gefallen sind. Liebe BamsBumsBauern! Lasst Euch doch nicht alles gefallen!

Lustig und Doof ist manchmal nicht das Gleiche!
 
BILDblogger für einen Tag ist morgen Martin Sonneborn.

  

Die verlorene Ehre des Andreas Türck

Von Sabine Sasse*

*) Erschienen unter dem Titel “Die Justiz und die Medien — Die Berichterstattung im Prozess gegen den TV-Moderator Andreas Türck” in “Rufmord und Medienopfer” von Christian Schertz und Thomas Schuler (Hg.), Christoph Links Verlag, Berlin, 2007, 272 Seiten, Euro 19,90.
Leicht gekürzter Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Am Ende gab es nur Verlierer: eine junge Frau, deren Privatleben über Wochen hinweg bis ins letzte Detail ausgeleuchtet und durch die Gazetten geschleift worden war und die nun als neurotisches, essgestörtes, psychisch labiles Mädchen mit einem Hang zu schnellem Sex und Drogen dastand; einen jungen Mann, der eine verheißungsvolle Zukunft als Moderator vor sich hatte, der beliebt und umschwärmt war und dem nun das Etikett “möglicher Vergewaltiger, arroganter Aufreißer und zynischer Frauenverachter” anhaftete und dessen Karriere ruiniert war; eine Presse, die mehr urteilte als berichtete, kübelweise Schmutz über die beiden ausgoss und ihnen den letzten Rest von Würde nahm; sowie eine Justiz, deren Motivation, diesen Fall zur Anklage zu bringen, bis heute im Dunkeln liegt.

“Ich muss ja jetzt mitmachen”

Es geht um den Prozess gegen Andreas Türck, der im Jahr 2005 angeklagt worden war, eine junge Frau vergewaltigt zu haben. Türck, geboren 1968, hat von 1998 bis 2002 auf ProSieben den täglichen Nachmittagstalk Andreas Türck moderiert und danach auf demselben Sender die Chart-Show. Im Jahr 2000 hatten ihn die Leserinnen des Frauenmagazins Amica zum “Erotischsten TV-Entertainer Deutschlands” gewählt. In der Nacht vom 24. auf den 25. August 2002 soll er Katharina B., eine junge Bankangestellte, die er kurz zuvor in einer Bar kennengelernt hatte, auf der Frankfurter Honsell-Brücke unter Gewaltanwendung zum Oralverkehr gezwungen haben. Der Vorfall passierte in Gegenwart eines damaligen Freundes von Türck und einer Freundin von B., die in Sichtweite standen und zwar den Akt beobachten konnten, aber nichts von einer Gewaltanwendung bemerkten. Auch kurz nach dem Tête-à-Tête deutete nichts im Verhalten von B. auf eine Vergewaltigung hin. B. wirkte laut späteren Aussagen der Beteiligten aufgekratzt, Türck eher peinlich berührt. Danach trennte man sich.

Noch in derselben Nacht erzählte B. telefonisch einem Freund, sie sei von Türck vergewaltigt worden, was der allerdings nicht glaubte, weil Katharina B. — das sagte er später vor Gericht aus — erst zwei Wochen vorher behauptet hatte, von zwei Jugoslawen vergewaltigt worden zu sein, was sich später als Lüge erwies. Was die beiden nicht wussten, war, dass B.s Bekannter wegen des Verdachts des Drogenhandels von der Polizei abgehört wurde, die auf diesem Wege Kenntnis von der Vergewaltigung erhielt. Um den Einsatz gegen den Dealer nicht zu gefährden, unternahmen die Beamten jedoch erst einmal nichts. Erst ein halbes Jahr später, nachdem der Mann dingfest gemacht worden war, tauchten Polizisten am Arbeitsplatz von Katharina B., einer Bank, auf und setzten sie unter Druck, Anzeige gegen Türck zu erstatten. Sie weigerte sich erst, brach dann aber ein und tat, wie ihr geheißen. Der Psychologin, die vor Gericht als Sachverständige auftrat, soll sie gesagt haben: “Ich muss ja jetzt mitmachen, sonst habe ich selbst noch ein Strafverfahren am Hals.”1

Am 3. April 2003 morgens um halb acht stand die Polizei vor Türcks Wohnung. Hausdurchsuchung wegen des Verdachts der Vergewaltigung in einem besonders schweren Fall. Türck beteuerte, dass er keinerlei Gewalt angewendet habe und die Initiative von Katharina B. ausgegangen sei.

Eine mediale Lawine

Über ein Jahr lang zogen sich die Ermittlungen hin, ohne dass irgendjemand Wind von der Sache bekam. Anfang 2004 zeichnete sich dann ab, dass der Prozess für die Staatsanwaltschaft nicht zu gewinnen war. Ein von ihr in Auftrag gegebenes Sachverständigen-Gutachten hatte auf schwere Auffälligkeiten des angeblichen Vergewaltigungsopfers Katharina B. hingewiesen, die von massiver Einschränkung der Aussagezuverlässigkeit, einer “Neigung, sich sozial erwünscht zu präsentieren”, von Drogenkonsum, Essstörungen und psychischer Labilität bis hin zu schweren Wahrnehmungsstörungen reichten. Trotzdem hielt die Staatsanwaltschaft an der Eröffnung des Prozesses fest. Und dann geschah etwas Seltsames: Plötzlich, geradezu aus heiterem Himmel, erfuhren die Medien von den Ermittlungen. Aber es waren weder Bild noch der Spiegel oder die Süddeutsche Zeitung, die die Sache aufdeckten, sondern Maintower, ein Regionalmagazin im Dritten Programm des Hessischen Rundfunks, dessen Rubriken wie “Ich und mein Garten” oder “Neues von der IAA” nicht gerade auf ausgeklü­gelte investigative Recherchetätigkeiten schließen lassen.

“Bild”-Schlagzeilen über die Ermittlungen

“Staatsanwalt ermittelt gegen TV-Star Andreas Türck”
“Unfassbarer Verdacht gegen den TV-Star: Hat Andreas Türck eine junge Frau (27) gewürgt und vergewaltigt?”
(23.3.2004)

“TV-Verbot für Andreas Türck: Pro7 feuerte ihn! Er bestreitet die Tat! Anwalt räumt sexuellen Kontakt ein!”
“Vergewaltigungs-Drama: Bringt diese Frau Andreas Türck hinter Gitter?”
(24.3.2004)

“‘Ich gehe durch die Hölle’. Der Fall Andreas Türck. Der unfassbare Vergewaltigungs-Verdacht: in BILD spricht heute das Mädchen, das den TV-Star belastet”
“Vergewaltigungs-Drama Andreas Türck. Jetzt spricht das Mädchen”
(25.3.2004)

“Andreas Türck sucht Zuflucht bei seinen Eltern … wie erklärt er ihnen alles?”
“Juristen erwarten Anklage wegen Vergewaltigung schon im nächsten Monat”
(26.3.2004)

“Wer sind die geheimnisvollen Zeugen? Affäre Andreas Türck”
(27.3.2004)

“Fall Andreas Türck: Staatsanwälte bei ProSieben”
(29.4.2004)

“Was trieb Andreas Türck am Arbeitsplatz? Personalakten bei PRO 7 beschlagnahmt!”
(30.4.2004)


(27.5.2004)

Die Sendung am 22. März 2004, in der die Vorwürfe gegen Türck publik gemacht wurden, trat eine mediale Lawine los. Am nächsten Tag berichteten Zeitungen, Onlineplattformen, Radio- und Fernsehsender flächendeckend vom mutmaßlichen Vergewaltiger Türck, der eine junge Frau, die er gerade kennengelernt hatte, “brutal vor einer Gaststätte vergewaltigt” haben sollte. Bild phantasierte unter “Berufung auf die Polizei”, es bestehe der Verdacht, dass Türck die Frau “in einer Seitenstraße” zu Boden geworfen und vergewaltigt habe, und startete einen regelrechten Diffamierungsfeldzug gegen Türck, in dem auch gleich die unfreiwillige Nebenklägerin Katharina B. schwer beschädigt wurde. ProSieben ließ zwar verkünden, dass man an die Unschuld des Moderators glaube, beurlaubte ihn aber noch am selben Tag.

Wer die Redaktion informiert hat, ist bis heute ungeklärt. Die beiden damals mit dem Fall beauftragten HR-Reporter geben unter Hinweis auf Informantenschutz ihre Quelle erwartungsgemäß nicht preis. Auch die Staatsanwaltschaft bestritt auf telefonische Anfrage vehement, irgendwelche Hinweise an die Medien gegeben zu haben. Erstens, so die Begründung, wäre das ein schwerer Fall von Amtspflichtverletzung, und zweitens: Was hätte sie davon gehabt?

Nach Faktenlage eine ganze Menge. Denn ab dem Zeitpunkt der Veröffentlichung war ein möglicher Schaden für den Angeklagten Türck nicht durch den Prozess verursacht, sondern durch die Berichterstattung in den Medien. Ein schöner Nebeneffekt, der durchaus geeignet ist, das Land Hessen vor einem Schadensersatzanspruch des Angeklagten zu bewahren.

Auf ewig stigmatisiert

Bereits vor Beginn des Prozesses und auch während dessen konnte man immer wieder lesen, dass, egal wie das Urteil ausgeht, die Fernsehkarriere von Andreas Türck vorbei sei. So orakelte die Bunte: “Unabhängig davon, wie das Urteil (voraussichtlich am 8. September) ausfallen wird — seinen TV-Job hat er bereits 2003 verloren. Und selbst bei einem Freispruch wird ein Makel vermutlich ewig haften bleiben.” “Das Kopfkino der meisten Menschen ist darauf programmiert, sich negative Dinge zu merken, auch wenn sie unwahr sind”, weiß Psychologin Christine Baumanns. Und: “Andreas Türck ist selbst nach einem Freispruch auf ewig stigmatisiert. Man wird in Zukunft ganz genau beobachten, wie er sich zu Frauen verhält.”2 Und die Zeit schrieb: “Andreas Türck hat von jetzt an ein düsteres Kapitel in seiner öffentlichen Biografie. Was einmal in den Medien und den Archiven ist, das lässt sich nicht ungeschehen machen in einer Gesellschaft, in der das Private auf so viel Interesse unter Zuschauern und Lesern stößt.”3 Das ist wohl war. Googelt man Andreas Türck, findet man auf den ersten Seiten der 47 600 Einträge fast ausschließlich Meldungen und Berichte über die Anklage und den Prozess.

Obwohl Andreas Türck nur einer von vielen Daily-Talk-Moderatoren war, in deren Sendungen die Leute aufeinander losgingen und peinliche Dinge aus ihrem Privatleben enthüllten, und obwohl er diese Sendung schon längst nicht mehr moderierte, wurde er nicht nur der Vergewaltigung angeklagt, sondern stand auch gleich als Vertreter des gesamten sogenannten Unterschichtenfernsehens vor Gericht.

“Es ist nicht die Prominenz des Angeklagten allein, die den Fall zum Medienereignis gemacht hat, zum öffentlichen Porno, den die Boulevardpresse genüsslich vorführt”, schrieb Jörg Burger am 1. September 2005 in der Zeit. “Allen voran Bild weidet sich an kleinsten Details, mit Tatortskizzen und einer Sex-Akte Türck”. Darin schmähen ihn ehemalige Kollegen als gewaltbereiten Schnö­sel. Es ist seine Vergangenheit als einer, der in den Niederungen des “Affektfernsehens” wühlte, der dafür sorgte, dass Menschen sich anbrüllten, aufeinander losgingen. Der Saubermann als Sexverbrecher, der Richter über andere Menschen nun selbst als Angeklagter — aus diesem Rollentausch bezieht das Drama Attraktion.

Für Bild war er schuldig

Über mehr als vier Wochen hinweg konnten Türck und mit ihm elf Millionen Bild-Konsumenten täglich lesen, was für ein mieser, verachtenswerter Charakter er doch sei. Beobachteten Bild-Reporter, wie Türck beim Betreten des Gerichtssaals einen Blick auf den Block der Gerichtszeichnerin warf, wurde er sogleich der Eitelkeit bezichtigt, als einer, den selbst angesichts dieser ernsten Situation nichts brennender interessierte als die Frage, ob er gut getroffen sei. Egal, was Türck auch tat, wie er sich anzog, wie er schaute, ob er lächelte oder nicht: Für Bild war er schuldig, und wenn er auch kein Vergewaltiger war, so war er doch zumindest “ein Verachter”: ein Verachter von Frauen, einer, der es zugelassen hat, dass ihn nachts auf einer Frankfurter Brücke eine Zufallsbekanntschaft oral befriedigt. Wenn dafür schon keine jahrelange Gefängnisstrafe möglich ist, dann doch wenigstens gesellschaftliche Ächtung. Um das zu erreichen, haben Bild und Bild am Sonntag (BamS) ordentlich am Rad gedreht.

Bild sollte nie irgendein Boulevard-Blatt, sondern eine Volkszeitung sein”, erklärte Bild-Chefredakteur Kai Diekmann am 15. September 2005 in der FAZ “Also Anwalt der Leser, Zuhörer, Ratgeber, Verteidiger, Helfer. Übersetzt heißt das: Bild sagt nicht nur, was passiert. Bild sagt auch, was die Republik fühlt. Die Schlagzeile ›Wir sind Papst‹ ist dafür ein Beispiel: Hier wurde die nationale Euphorie unbefangen auf den Punkt gebracht. Das ist unser Anliegen: zu dokumentieren, was die Menschen beschäftigt, was sie emotional umtreibt. Bild ist, um es mit einer Metapher aus der eher linken Ecke zu formulieren, die gedruckte Barrikade der Straße. Das ist ihre Macht.” Auf die Frage zur Berichterstattung über den Prozess gegen Andreas Türck antwortete Diekmann: “Dass wir nach der Eröffnung den Prozessverlauf mit allen be- und entlastenden Entwicklungen dokumentierten, ist bei einem Fernsehstar wie Türck so selbstverständlich wie bei O. J. Simpson oder Michael Jackson. Dafür sind Medien schließlich da.”

Die Berichterstattung von Bild und BamS ging über die reine Dokumentation jedoch weit hinaus. Es wurde Stimmung gemacht, besonders gegen Türck. Bild berichtete über den Prozess (Aktenzeichen AZ 6350JS207691/ 2003), vorwiegend groß bebildert auf der ersten Seite, unter anderem so: “Protokoll der Sex-Nacht” (4. 8.), “Sex im Drogenrausch? Sensationeller erster Tag im Prozess” (10.8.), “Die Sex-Akte Türck. Er braucht 6 Minuten, um eine Frau aufzureißen” (11. 8.), “Heute wird sie gefragt, ob sie Unterwäsche trug” (16. 8.), “Katharina (29) weinte gestern vor Gericht. So hat Türck mich vergewaltigt” (17. 8.), “Sie hat mir die Hose aufgeknöpft” (19. 8.), “Neuer Zeuge belastet das angebliche Opfer. Wollte SIE Türck aufreißen?” (24. 8.), “Neue Sex-Enthüllung. Wenige Tage nach Türck hatte sie schon wieder Sex” (26. 8.), “Hat sie sich alles nur eingebildet?” (31. 8.), “Gutachter glauben angeblichem Opfer nicht” (2. 9.), “Sieger Türck. Aber wird er jemals wieder glücklich?” (7. 9.).

“Mit offener Hose”

Damit bei Türck ein Gefühl von Glück gar nicht erst aufkommen konnte, veröffentlichte die BamS am 14. August 2005, als bereits erhebliche Zweifel an seiner Schuld bestanden und ein Freispruch mehr als möglich war, ein abstoßendes Pamphlet mit der Überschrift: “Hier steht Andreas Türck ein letztes Mal im Licht”. In dem arbeitet sich der Autor mit besorgniserregender Wut an dem TV-Moderator ab, “der vor Gericht plötzlich von seinem erbärmlichen Leben eingeholt wird”. In dem Text wird über Türcks “Krawallsendungen” hergezogen, in der Themen behandelt wurden wie “Andreas, meine Brüste machen dich verrückt!”, aber dasselbe Blatt lebt u. a. davon, dass nackte Mädchen lasziv ihre “Hupen” und “Möpse” darbieten und Semiprominente sich über ihr Sexleben und ihre Beziehungsprobleme auslassen.

Türck wird vorgehalten, dass er ein Mensch sei, der nur wenige Begabungen vorzuweisen habe, dessen Aktivitäten niemanden interessieren und dessen “Rückweg in die vorhersehbare Bedeutungslosigkeit” nur dadurch kurz gestoppt worden sei, dass er “etwas Unvorhersehbares tat”. Nur deshalb sitze er nicht im “Dschungelcamp”, “sondern als Angeklagter auf einem blauen Polsterstuhl im Saal 165 C des Frankfurter Landgerichts”, und niemand müsse also Mitleid mit ihm empfinden. Obwohl dem Berichterstatter zu diesem Zeitpunkt eigentlich hätte klar sein müssen, dass “am Ende dieses schäbigen kleinen Prozesses, der in einem schäbigen kleinen Saal stattfindet” (in Wirklichkeit war es der größte Gerichtssaal, den der Frankfurter Justizkomplex zu bieten hat), Türck mit höchster Wahrscheinlichkeit aufgrund widersprüchlicher Aussagen und mangelnder Beweise freigesprochen wird, ist der Mann für die BamS schuldig und verdient es nicht, jemals wieder auf die Beine oder eben “ins Licht” zu kommen. Und obwohl das alles “so schäbig, so klein” war, berichteten Bild und BamS an jedem Verhandlungstag und darüber hinaus in groß aufgemachten Artikeln über den Prozess und seine Beteiligten. Andreas Türck stand “gleichsam mit offener Hose vor der ganzen Nation”4, wie Gisela Friedrichsen im Spiegel treffend schrieb.

Die tragische Hauptperson

“Wir haben mit einer durchaus starken Berichterstattung gerechnet”, sagt Friederike Vilmar, Fachanwältin für Strafrecht und Nebenklagevertreterin,5 “aber das hat das, was wir erwartet haben, noch übertroffen. Auch in der Dauerhaftigkeit.” Frau B. sei durchaus auf den Medienansturm vorbereitet gewesen, sie sei “eine intelligente, arbeitende Mandantin. Natürlich kann man niemanden bewusst auf jede einzelne Situation vorbereiten, aber Frau B. war sich durchaus bewusst, was dort passieren kann.”

War sie das wirklich? Obwohl Andreas Türck im Mittelpunkt des Verfahrens stand und Anlass für das große Interesse war, war es im Endeffekt Katharina B., die zur tragischen Hauptperson mutierte. Jeden Tag war sie im Gerichtssaal und setzte sich den Blicken, den Fragen und den Kameras aus, was selbst die Vorsitzende Richterin Bärbel Stock verwunderte. Während Türck auf Anraten seiner Verteidiger Dr. Susanne Wagner und Rüdiger Weidhaas konsequent schwieg, wurde vor allem ihr Leben ausgebreitet, von der Presse penibel dokumentiert und unters Volk gebracht: ihre sexuellen Ausschweifungen, ihr Hang zu Alkohol und Drogen, ihre Essstörungen, ihre Stimmungsschwankungen, ihre aufreizende Art Männern gegenüber, ihr Hang, Geschichten zu erfinden. Katharina B. wohnte nicht nur jeden Tag dem Prozess bei, sie lehnte sogar den Ausschluss der Öffentlichkeit ab, als es ihr die Vorsitzende Richterin anbot.

Detailliert bis zum Samenerguss

Bild gab die Vernehmung der Nebenklägerin im Wortlaut wieder, ihr Schluchzen und Weinen, den angeblichen Tathergang bis hin zu Fragen, ob sein Glied erigiert war und es zum Samenerguss kam. Für die Nebenklagevertreterin Friederike Vilmar war das “der Moment der Richtigstellung. Sie hatte überhaupt keine Chance mehr, weil die Presse vorher so viel Mist und Dreck geschrieben hat, dass sie dachte, dadurch vielleicht einiges korrigieren zu können. Schreiben tun sie sowieso. Dann sollen sie es auch hören”. Bild, die die Aussage als Wortlautprotokoll wiedergab, habe das dann auch “einigermaßen vernünftig dargestellt”. Ein Wortlautprotokoll sei ihr “allemal lieber, als wenn irgendeiner hingeht und etwas schreibt, was nicht so gesagt worden ist”. Sie glaubt aber auch, “dass die Medien ihren Teil dazu beigetragen haben, dass von Anfang an eine ganz klare Parteinahme in der Berichterstattung war, die uns sehr, sehr geschadet hat”.

Vor allem von der Berichterstattung der Spiegel-Reporterin Gisela Friedrichsen war sie enttäuscht. “Da haben wir gedacht, das kann ja wohl nicht wahr sein.” Nach dem Prozess hat sie Chefredakteur Stefan Aust einen langen Brief geschrieben, in dem sie sich über die Art der Darstellung ihrer Mandantin, u. a. als “armes Hascherl”, verwahrte. Es habe sie verwundert, schrieb sie, dass bereits Frau Friedrichsens Artikel zum Prozessauftakt “eine klare Stellung gegen meine Mandantin und für Herrn Türck erkennen ließen. Diese Art der Verletzung des Neutralitätsgebots der Presse hatte ich von einer Spiegel-Mitarbeiterin, die sich selbst als Deutschlands bekannteste Gerichtsreporterin bezeichnet, nicht erwartet”.

In diesem Prozess nicht Partei zu ergreifen und sachlich zu bleiben, fiel jedoch auch anderen Medienvertretern schwer. Und so teilte sich die Berichterstattung frühzeitig in zwei Lager, in denen die Emotionen zeitweise so hochkochten, als gelte es, einen aus ihren Reihen zu verteidigen und den anderen möglichst bloßzustellen. Auffallend dabei ist, dass oft die weiblichen Reporter für Türck waren und Frau B. niedermachten, während sich einige männliche Kollegen -– wie Andreas Hauck in der BamS -– schützend vor Frau B. stellten und auf Türck eindroschen, als hätten sie noch eine persönliche Rechnung mit ihm offen.

Schämen für das eigene Geschlecht

Dieses interessante Verhalten erinnert an den Fall von Lisa Gier King, die 1999 angab, in einem Studentenwohnheim in Florida während einer Party, für die sie als Stripperin angeheuert worden war, vergewaltigt worden zu sein. Obwohl der gesamte, vier Stunden dauernde Abend mit zwei Kameras aufgezeichnet worden war (das Material wurde schließlich von dem US-Filmemacher Billy Corben zu dem Dokumentarfilm “Raw Deal – A Question of Consent” verarbeitet und man alles sehen konnte, schieden sich am Ende die Geister darüber, ob das Gesehene eine Vergewaltigung war oder ob die Frau den Sex provoziert und freiwillig mitgemacht hatte. “Bei Vorführungen von ›Raw Deal‹ auf dem Sundance-Festival oder in Edinburgh war das Publikum jeweils tief gespalten: Die meisten Männer sagten hinterher, was sie gesehen hatten, sei eine Vergewaltigung gewesen. Die weiblichen Zuschauer fanden, Lisa Gier King habe sich alles selbst zuzuschreiben. Es ist, als würde jeder sich für die Rolle schämen, die sein Geschlecht in dem Stück spielt.”6

Nach zehn Verhandlungstagen sah sich die Staatsanwaltschaft — wie von Türcks Anwälten prophezeit — gezwungen, mangels Beweisen den Antrag auf Freispruch des Angeklagten Türck zu stellen. “Wir mussten ermitteln”, rechtfertigte sich Oberstaatsanwalt Hubert Harth daraufhin in Bild, “sonst hätten wir uns strafbar gemacht.” Und er wehrte sich mit einer entblößenden Erklärung gegen den Vorwurf, Türcks Prominenz könne ein Grund für die Anklage gewesen sein: “Ich kannte ihn überhaupt nicht. Und die anderen Kollegen sehen auch kein Unterschichts-TV.”

Von Anfang an keinerlei Beweise

Doch auch nach dem am 7. September angekündigten und am 9. September erfolgten Freispruch hatte Andreas Türck keinen Grund zum Jubeln. Während sich der Großteil der Medien zu diesem Zeitpunkt mit der Fragwürdigkeit des Prozesses beschäftigte und Kritik an Staatsanwaltschaft und Richterin übte, verging sich Bild unter einem durchsichtigen Deckmäntelchen der Empörung weiter an ihm. Das Blatt wies darauf hin, dass dieser Freispruch ja eigentlich nur ein Freispruch zweiter Klasse sei, weil man Türck die Vergewaltigung nicht beweisen könne — was beim Leser die Schlussfolgerung ermöglichte, er könne die Tat doch begangen haben. Marion Horn, damals Stellvertretende Chefredakteurin von Bild, schrieb einen seltsamen Kommentar, in dem sie Andreas Türck und Katharina B. als Opfer einer Justiz beklagte, “die diesen Prozess zuließ und vier Wochen lang ein schmutziges Gerichtsspektakel inszenierte”. Dann kommt ein interessantes Eingeständnis: “Von Anfang an war klar, dass die Staatsanwältin keinerlei Beweise hat. Von Anfang an war durch Gutachten bekannt, dass die Aussagen von Katharina B. nicht belastend sind. War die Staatsanwältin so naiv zu glauben, dass Türck im Prozess unter Tränen gestehen würde? Oder wollte sie berühmt werden? Der Türck-Prozess wirft ein miserables Licht auf unsere Justiz.”

Das Licht, das dieser Prozess auf Bild und BamS wirft, ist allerdings nicht besser, denn aus dem Kommentar wird deutlich, dass auch Bild offenbar frühzeitig klar war, dass gegen Türck wenig Glaubhaftes vorlag. Trotzdem brachte sie eine Titelgeschichte nach der anderen, in der er als möglicher Vergewaltiger angeprangert wurde. Marion Horn, die Türck als “abgehalfterten Ex-Moderator” bezeichnet, versteigt sich dann noch zu dem Satz: “Was aber das schlimmste ist: Frauen, denen sexuell Gewalt angetan wird (und das sind täglich 400!) werden sich in Zukunft fünfmal überlegen, ob sie dies zur Anzeige bringen.” Im Umkehrschluss könnte das heißen, dass ein Mann auch dann verurteilt werden sollte, wenn alles für seine Unschuld spricht, damit sich Frauen auch in Zukunft trauen, Vergewaltigungen anzuzeigen. Eine gefährliche Argumentation.

Auch in dem Bericht über das Prozessende im Innenteil des Blatts wird Türck weiter runtergemacht. Er habe “– soviel Schmutz bleibt hängen — eine Frau, die er gerade kennengelernt hat, irgendwie auf die Knie sinken und sich von ihr oral befriedigen lassen. Danach hat er sie an einer Tankstelle einfach abgesetzt. Kein Anstand, keine Achtung, die Frau als billiger Wegwerfartikel”.

Bild-Kolumnist Franz-Josef Wagner beschreibt die beiden abschließend als “Romeo und Julia durchgedreht”, “die sich wie Hunde nachts auf einer Brücke oral befriedigen”. Er findet, “dass die Liebe in dieser Nacht vergewaltigt wurde und die Liebe nicht zwischen den Beinen sitzt. Wie wollt ihr jemals lieben?”7 Eine Seite zuvor räkelt “Top-Modell Maria” ihren nackten Luxuskörper und bringt “Männer zum Weinen”. Ist das die Liebe, von der Wagner spricht? Lernt man hier den Anstand, den die Bild-Redaktion so vehement von Türck fordert?

Opfer von Medien und Justiz

Heribert Prantl, innenpolitischer Redakteur der Süddeutschen Zeitung und ehemaliger Richter und Staatsanwalt, sagte in einem Interview mit SWF 3,8 dass Türck nicht hätte angeklagt werden dürfen und wenn doch, dass dieser Prozess in dem Fall nie hätte öffentlich verhandelt werden dürfen: “Diese Art des Voyeurismus, die Türcks Sendungen eigen war, jetzt in einem Strafprozess, einem öffentlichen Verfahren zu inszenieren, das geht zu weit. (…) Wenn das Strafverfahren diese Absicht ins Gegenteil verdreht, dass die Menschenwürde des echten oder angeblichen Opfers mit Füßen getreten wird und dann noch die Menschenwürde des Beschuldigten, in dem Fall des Moderators Andreas Türck, dann hat der Strafprozess nicht nur seinen Sinn nicht erreicht, sondern dann war er höchst schädlich.”

Andreas Türck und Katharina B. sind — und das macht den Fall so besonders — keine reinen Medienopfer. Sie sind ebenso Opfer einer Justiz, die mit allen Mitteln einen Prozess eröffnen wollte, der für sie von Anfang an nicht zu gewinnen war und den selbst die Nebenklägerin nicht wollte. Ohne die tendenziöse und vernichtende Berichterstattung der Boulevardpresse, allen voran Bild und Bild am Sonntag, wäre der Schaden für die beiden möglicherweise nicht ganz so groß geworden. So ist beides, die Art der Berichterstattung und die Pflichtwidrigkeit der Staatsanwaltschaft, kausal für die Katastrophe verantwortlich, die mit dem Prozess eingetreten ist.

“Mit den Folgen des Prozesses werden Katharina B. und Andreas Türck noch lange zu kämpfen haben”, vermutete auch Detlef Esslinger in der Südeutschen Zeitung.9 “Der Kammer wird auch klar gewesen sein, dass sie mit der Zulassung der Anklage die Karriere des Fernsehmoderators Türck zerstören würde. ProSieben nahm ihn sofort aus dem Programm, und vom Freispruch wird der Mann wenig haben, im Urteil der Öffentlichkeit wird er der Typ bleiben, der wegen Vergewaltigung vor Gericht stand. Warum ist nur dieses Verfahren jemals eröffnet worden?” Diese Frage wurde nie geklärt.

Katharina B. soll nach Aussagen ihrer Anwältin heute wieder ein normales Leben führen und auch noch immer bei der Bank beschäftigt sein. Andreas Türck zog sich nach dem Prozess aus der Öffentlichkeit zurück und lehnte Interviews zu seinem Fall und seiner beruflichen Zukunft konsequent ab. Im September 2007, fast auf den Tag genau zwei Jahre nach dem Urteil, tauchte er wieder auf und verkündete, gemeinsam mit der Mediaagentur “Pilot” den Ableger “Pilot Entertainment” gegründet zu haben, mit dem er in Zukunft “zielgruppengenaue Web-TV-Formate einschließlich der dazugehörigen Plattform” entwickeln und vermarkten wolle. Das Unternehmen erprobe seit einem Jahr Entertainment und Serviceformate, die den Anforderungen des Webs und Nutzerdialogs gerecht werden. “Meine Moderatorentätigkeit”, so Türck bei medienhandbuch.de am 29. September 2007, “steht dabei nicht an erster Stelle. Dennoch: Sag niemals nie.”

1) Bunte vom 1.9.2005
2) Bunte vom 25.8.2005
3) Zeit vom 8.9.2005
4) Spiegel vom 22.8.2005
5) Telefoninterview, geführt am 18.6.2007
6) Ansbert Kneip in: Der Spiegel, 13.9.2005
7) Alle Zitate aus Bild vom 8.9.2005
8) Südwestfunk, 3. Programm, 15.9.2005
9) Süddeutsche Zeitung vom 6.9.2005

“Millionen Deutsche jetzt betroffen. Blähungen”


Hans Leyendecker, 58, ist seit 1997 Leitender Redakteur der “Süddeutschen Zeitung”. Zuvor arbeitete er 18 Jahre lang für den “Spiegel” und gilt als einer der führenden investigativen Journalisten Deutschlands. Er ist Gründungsmitglied und Vize-Chef des Netzwerk Recherche — und begleitet auch die “Bild”-Zeitung immer wieder mit kritischen Artikeln.
Dennoch: In “Bild” nannte Maynhardt Graf Nayhauß ihn mal “Top-Rechercheur”, Franz Josef Wagner nannte ihn “Müllentsorger unseres Staates” — und an anderer Stelle schrieb Wagner in “Bild”: “Die Wahrheit kann niemand recherchieren — außer Jesus, Nietzsche, Buddha und Hans Leyendecker von der SZ (kleiner Witz meinerseits).” Weniger witzig: Am 8. Juni 2006 druckte “Bild” auf Seite 2 unter der Überschrift “Was macht der “SZ”-Reporter mit dem Sturmgewehr im Arm?” ein über zehn Jahre altes Leyendecker-Foto (wir berichteten). Leyendecker verstand die Veröffentlichung damals “als Versuch, mir zu drohen”.

Von Hans Leyendecker

Die Geldmaschine des Springer-Verlages, die “Bild”-Zeitung, berichtet gern über Gehälter und Millionen — die Gehälter der anderen, die Millionen der anderen. Diesmal auf Seite 1 und Seite 2: “Die Gehalts-Liste der Politiker” und wieder mal “Wahrheiten über den Mindestlohn”.

Die Botschaft ist einfach, ehrlich und nachvollziehbar: Das Millionen-Gehalt des Verlagschefs Döpfner bleibt tabu, das Millionen-Gehalt des Post-Konkurrenten Zumwinkel und seine Aktienoptionen sind ein Skandal. Nicht getarnt, nicht klammheimlich, sondern ganz offen macht das Massenblatt Politik im Verlagsinteresse und Klassenkampf von oben: Dass dabei Arbeiter etwa gegen höhere Mindestlöhne demonstrieren, hätte beispielsweise Bert Brecht sehr gefallen.

In der Freitag-Ausgabe berichtet “Prof. Sinn” vom Ifo-Institut über seine bitteren Wahrheiten, aber auch er kommt nicht über eine Statistenrolle hinaus. Was beim Thema Mindestlohn schon übellaunig verbreitet wurde, erinnert doch sehr an Brechts “Dreigroschenroman” und den Inhaber der Firma “Bettlers Freund”, Jonathan Jeremiah Peachum, der feststellte: “Es gibt nur einige wenige Dinge, die den Menschen erschüttern, einige wenige, aber das Schlimme ist, dass sie, mehrmals angewendet, schon nicht mehr wirken”.

Peachum ließ Bettler, die, “nicht immer die Gabe besaßen, unglücklich zu wirken”, durch Kunstgriffe noch elender aussehen. Zur “Veranlassung christlicher Barmherzigkeit” etwa hatte er sich verschiedene Ausstattungen wie “Opfer des Verkehrsfortschritts” oder “Opfer der Kriegskunst” ausgedacht und stellte in einem kleinen Atelier sogar künstliche Missbildungen her.

Kunstgriffe
“Peachum hatte ganz klein angefangen. Er unterstützte eine Zeitlang einige wenige Bettler mit seinem Rat, Einarmige, Blinde, sehr alt Aussehende… Verhältnismäßig bald erkannte er, dass das elende Aussehen, welches von der Natur hervorgebracht wurde, weit weniger wirkte, als ein durch einige Kunstgriffe berichtigtes Aussehen. Jene Leute, die nur einen Arm hatten, besaßen nicht immer die Gabe, unglücklich zu wirken. (…)”
(Zitiert aus Bertolt Brechts “Dreigroschenroman”)

Die Ladeninhaber zahlten den Bettlern, die vor den Geschäften saßen, einen Zoll, damit die weiterzogen. “Ausstattung E” beispielsweise war “Junger Mann, der bessere Tage gesehen hat”. Der Bettler Filch, ein mittelloser Mann aus gutem Hause, fragt Peachum: “Warum kann ich das nicht mit den besseren Tagen machen?” Peachums Antwort: “Weil einem niemand sein eigenes Elend glaubt, mein Sohn.”

So ist das mit dem Elend und dem Massenblatt. Ein Medium, das Menschen in die Jauchegrube stößt (al-Masri) und an anderer Stelle die Werte des christlichen Abendlandes verteidigt; ein Blatt, das Intimität als Rohstoff behandelt und gleichzeitig die Würde des Menschen einklagt, ist schizo, und das finden die meisten Betrachter normal.

Phrase und Sache werden eins. Es müsste eine Kommission über die “Bild”-Sprache konstituiert werden, die für jede erlegte Phrase eine Belohnung aussetzt. Die Mitglieder würden vor allem fündig bei einem Autor, der Körzdörfer heißt und offenbar Stummel-Sätze mag, wie Peachum, der künstliche Missbildungen herstellte: Über die “Kino-Legende Bud Spencer” schreibt Körzdörfer in der heutigen Ausgabe:
"Ein Schatten, der hinkt, mit Stock. Und Bart. Der menschliche Berg (194 cm, 160 Kilo, Schuhgröße 48) steht im Berliner Babelsberg-Studio vor einer gleißend strahlenden Kulissentüren."
Gibt es 1,94 Meter hohe, hinkende Schatten, und warum muss in dieser Scheinwelt auch noch alles “gleißend” sein? Und wie geht denn das:
"Wer ihn sieht, spult im Kopf die gefühlten Videos zurück."
Gefühlte Videos? Natürlich wäre es eine Illusion zu glauben, man könnte “Bild” (oder eine andere Zeitung) retten, wenn es gelingen könnte, die Sprache zu reinigen, aber ohne die Form ist nichts: “Hätten die Leute, die dazu verpflichtet sind, immer darauf geachtet, dass die Beistriche am richtigen Platz stehen, würde Shanghai nicht brennen”, hat Karl Kraus gesagt. Aber wer kennt da Beistriche.

Wahr ist aber auch, dass es dieser Zeitung zu keiner Zeit an Gegnern gefehlt hat. Dass das Blatt oft ein Anschlag auf den Anstand oder eine Geschmacklosigkeit ist, das haben Generationen von Kritikern zu Recht beklagt. Aber “Bild”-typisch ist geblieben, dass Koitus und Gebet auf eine Seite passen und die Moralblase neben Niedertracht steht. Redaktionen sind nicht für die Anzeigen verantwortlich, aber der Verlagsmensch, der auf der heutigen Seite eins die Anzeige einrücken ließ: “Millionen Deutsche jetzt betroffen. Blähungen”, muss der James Joyce der Verlagswelt oder ein heimlicher Rebell sein.

Es sind wirklich immer Millionen betroffen, doch die Blähungen bleiben oft seltsam folgenlos. Es riecht nur ein bisschen. Vor 24 Jahren schon hat Hans Magnus Enzensberger in seinem Aufsatz “Der Triumph der Bild-Zeitung oder Die Katastrophe der Pressefreiheit” darauf hingewiesen, dass der Zynismus der Leser nicht hinter dem Zynismus der Macher zurückstehe:

Jede Aufklärung über die Bild-Zeitung ist vergeblich, weil es nichts über sie zu sagen gibt, was nicht alle schon wüssten (…). Bild wird gelesen, nicht obwohl, sondern weil das Blatt von nichts handelt, jeden Inhalt liquidiert, weder Vergangenheit noch Zukunft kennt, alle historischen, moralischen, politischen Kategorien zertrümmert; nicht obwohl, sondern weil es droht, quatscht, ängstigt, schweinigelt, hetzt, leeres Stroh drischt, geifert, tröstet, manipuliert, verklärt lügt, blödet, vernichtet.

Prinzipiell sei “Bild” “nicht datierbar”, weil sich das Blatt permanent wiederhole, was beim Leser wiederum zur Beruhigung führe. “Bild” biete nicht jedem etwas, sondern allen nichts.

Niemand hat das Elend der Kritiker so nachvollziehbar wie Enzensberger umrissen. Aber immer wieder gibt es Selbstversuche, diesem Phänomen beizukommen: Günter Wallraff hat einen solchen Versuch unternommen, der unermüdliche Gerhard Henschel bleibt zornig, und seit einer Weile müht sich auch BILDblog. Dafür muss ihnen gedankt werden.
 
Der nächste BILDblogger für einen Tag ist (wahrscheinlich erst wieder am Montag) Oliver Gehrs.

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